Gedenken

»Vergessen heißt verraten«

»Weg der Erinnerung« in der Gedenkstätte Bergen-Belsen Foto: imago/ecomedia/robert fishman

Die Jugendlichen sitzen auf dem Radweg an der Landesstraße zwischen Bergen und Belsen. Die Sonne strahlt, Vögel zwitschern, ab und zu rast ein Auto vorbei - doch die Erinnerung an das Grauen ist nur wenige Meter entfernt. Ganz nah ist die Rampe, die vor knapp 80 Jahren die Ankunftsstation vieler Menschen ins Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle war.

Auch Anne Frank (1929-1945) kam hier an - das jüdische Mädchen, das am 12. Juni vor 93 Jahren geboren wurde und mit dem sich die Jugendlichen aus diesem Anlass ausführlich beschäftigt haben. Mit Pinsel und Farbe, Malwagen und Sprühdosen machen sie nun den Weg wieder sichtbar, auf dem die Gefangenen einst ins Lager getrieben wurden. »Man bekommt schon Gänsehaut«, erzählt Niclas, einer aus der Gruppe.

Sie alle sind Konfirmanden der evangelischen St.-Lamberti-Gemeinde aus dem benachbarten Bergen - genauso alt wie Anne Frank, als sie sich in Amsterdam vor den Nazis verstecken musste und in ihrem Versteck ihr weltberühmtes Tagebuch schrieb.

Sorgsam pinseln sie weiße Farbe auf eine silberne Schablone. Lenni blickt kurz auf den Buchstaben auf dem Boden vor sich, dann taucht der 13-Jährige den Pinsel ein und malt den Buchstaben noch einmal aus. Vorsichtig nehmen die Jugendlichen die Schablone hoch: »Ver« ist schon zu erkennen, der Anfang des ersten Wortes. »Vergessen heißt verraten« wird hier nachher stehen, ein Zitat der KZ-Überlebenden Hanna Levy-Hass. Im Sommer 1944 wurde sie hier entlanggetrieben.

Drei Tage lang tauchen die 36 Jugendlichen in die düstere Geschichte direkt in der Nachbarschaft ihres Wohnortes ein. Sie beschäftigen sich mit den Fakten rund um das KZ, in dem auch Anne Frank starb, nachdem die Nazis ihr Versteck entdeckt hatten. Sie lernen Biografien kennen. Und sie werden selbst aktiv: »Über das eigene Tun Geschichte erleben«, nennt Diakonin Sonja Winterhoff das.

Hinter der Aktion steht neben der Kirchengemeinde die Jugendbildungsstätte Anne-Frank-Haus des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) im nahen Oldau.

Während fünf Jugendliche nahe der Rampe das Zitat malen, sind die anderen einige hundert Meter entfernt dabei, eine weiße Linie am Rande des Radweges aufzutragen. Mit Malwagen und Sprühdosen markieren sie den »Weg der Erinnerung« - nicht immer ganz gerade, aber schließlich soll das Ganze auch nicht wie eine offizielle Markierung der Straßenbehörde aussehen.

»Die Menschen sind hier damals auch nicht gerade gegangen«, sagt Helena. Sie blickt auf die Linie. »Da kann man sich vorstellen, wie die hier langgelaufen sind«, sagt die 13-Jährige nachdenklich. So eine Aktion sei doch ein anderer Zugang zur Geschichte als über Schulbücher, sagt sie. Was sie besonders beeindruckt: »Im KZ waren ganz viele Kinder, die waren wie wir. Da ist gar kein Unterschied.«

Das Projekt wolle die Jugendlichen sensibilisieren, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, erläutert CVJM-Jugendbildungsreferent Moritz Thies vom Anne-Frank-Haus. »Wir machen den Jugendlichen deutlich, dass sie keine Verantwortung für das Geschehene haben - aber eine Verantwortung, dass so etwas nicht wieder passiert.« Für Thies ist das gerade angesichts eines wieder erstarkenden Antisemitismus eine wichtige Aufgabe.

Der »Weg der Erinnerung« mit Informationstafeln über das Lager entstand bereits 2007. Vor zwei Jahren haben die Initiatoren begonnen, die an vielen Stellen bereits verblichene Kennzeichnung aufzuarbeiten und um Zitate Überlebender zu ergänzen - diesmal erstmals mit einem ganzen Konfirmanden-Jahrgang.

Für die Jugendlichen ist die NS-Zeit zunächst scheinbar weit weg, die Zeit ihrer Urgroßeltern. »Aber wenn man überlegt, ist das gar nicht lange her«, sagt Helena. Denn viele Jugendliche haben noch die Geschichten aus ihren Familien im Ohr, die sie von ihren Großeltern erzählt bekamen.

Bevor sie zu Pinsel und Farbe gegriffen haben, haben die Teenager zunächst selbst zu Fuß den sechs Kilometer langen Weg von der Rampe bis zum ehemaligen KZ zurückgelegt. An der Rampe besuchten sie auch den Nachbau eines der Güterwaggons, in dem die Menschen teilweise durch halb Europa gekarrt wurden, wie der Konfirmand Luis erzählt:

»Da habe ich einen Eindruck bekommen, wie die Menschen gequält wurden und richtig mitgefühlt, was die durchgemacht haben.«

Berlin

Israelfeindliche Demonstranten wollen Vortrag von Volker Beck verhindern

Der Leiter des Tikvah-Instituts soll einen Vortrag über jüdische Feiertage halten

von Nils Kottmann  13.09.2024

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten attackieren Kultursenator Joe Chialo

Die Demonstranten bedrängten den CDU-Politiker und sollen einen Mikrofonständer nach ihm geworfen haben

 13.09.2024

Comedian

Hensel: Hamburg sollte Auftritte von Nizar absagen

Der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel hat die geplanten Auftritte des Comedians Nizar Akremi kritisiert

von Carola Große-Wilde  13.09.2024

Umfrage

Umfrage zur Wahl in Brandenburg: AfD liegt deutlich vorn

Wird die rechtsextreme Partei wie in Thüringen die stärkste Kraft?

von Stefan Heinemeyer  13.09.2024

Islamisches Zentrum Hamburg

Deutschland ist Top-Islamisten los

Mohammad Hadi Mofatteh gilt als Stellvertreter des Ayatollah in Deutschland

 12.09.2024

Fürstenwalde

Brandenburgs Innenminister verbietet Islamisches Zentrum

Das Zentrum sei dem Spektrum der Muslimbruderschaft und der Hamas zuzuordnen

 12.09.2024

Islamismus

Damit es aufhört

Der antisemitische Anschlag von München zeigt einmal mehr, wie stark Juden im Visier sind. Die Politik muss endlich eine wirksame Strategie gegen den Terror entwickeln

von Eren Güvercin  12.09.2024

Meinung

Ich sehe in Deutschland immer öfter, wovor ich aus dem Iran geflohen bin

Nach dem Anschlag von München fragt sich unsere Autorin, ob sie ihre Kinder noch schützen kann

von Shahrzad Eden Osterer  11.09.2024

Frankfurt am Main

Gericht lehnt Eilantrag gegen Rüstungsexporte nach Israel ab

Fünf Palästinenser wollten Waffenlieferungen verhindern

 11.09.2024