Arbeit

@usbeutung

In Zeit und Raum entgrenzte Arbeitsplätze zu schaffen, ist nicht mit jüdischer Ethik vereinbar. Foto: getty

Das Zeitalter des Neoliberalismus neigt sich seinem Ende zu, doch große Konzerne wie IBM setzen jetzt erst recht, bevor der Wind ganz umschlägt, auf eine weitere Flexibilisierung ihrer Angestellten: Neuerdings soll es um »liquide«, das heißt solche Arbeitsverhältnisse gehen, die die Angestellten dazu bringen, ihrem Betrieb rund um die Uhr eigenmotiviert und widerstandslos zur Verfügung zu stehen.

Ob das mit den im 20. Jahrhundert entwickelten Formen arbeitsrechtlicher Vorgaben eines sozialstaatlich gebändigten Kapitalismus verträglich ist, hat die Politik zu klären. Da sich aber auch deren Normen theologisch-kulturellen Vorgaben verdanken, ist zu fragen, ob dieser neueste Angriff auf die Stellung von abhängig Beschäftigten mit den bisher in Europa einflussreichen Traditionen – Judentum, Christentum und Aufklärung – vereinbar ist.

antike Diese jüdische Ethik hat alte Wurzeln. Die wirtschaftliche Verfasstheit der Juden in der späten Antike folgte nicht einer dynamischen, auf Wachstum beruhenden Gesellschaft, sondern – in Palästina – einer unter Deflation und Geldmangel lebenden Gemeinschaft sowie – in Persien – einer auf Sklaverei, Pächtern, Kleinbauern und einigen Großgrundbesitzern beruhenden Landwirtschaft.

Den Rabbinen erschien im Rahmen der vertrauten, sehr begrenzten, sklavenhalterischen, agrarischen und an der Küste kaufmännischen Gesellschaft des römisch beherrschten Palästinas beziehungsweise des sassanidischen Persien wirtschaftliches Handeln als eine hinzunehmende Notwendigkeit. Keine Rede kann davon sein, wie neuerdings verbreitet, dass dieses Judentum »wirtschaftsfreundlich« war. Nein, das Ideal der Rabbinen bestand in der antiken Konzeption eines auf Gelehrsamkeit, Studium und Gebet beruhenden Lebens, nicht jedoch wirtschaftlichen Handelns als Selbstzweck.

Beispielhaft dafür ist eine Äußerung des von 210 bis 230 in Galiläa regierenden Patriarchen Gamliel, von dem wir im Traktat »Sprüche der Väter« lesen: »Schön ist das Studium der Tora in Verbindung mit den Wegen der Welt, da beides die Sünde in Vergessenheit bringt. Und jedes Studium der Tora ohne Arbeit hat am Ende keine Dauer und fördert die Sünde.« Und zwar deshalb, weil materielle Armut dazu motiviert, zu ihrer Behebung Recht und Moral zu verletzen.

reichtum Welcherart aber die Arbeit ist, die materielle Armut aufhalten soll, vermerkt dieser Traktat nicht. Das Streben nach Reichtum jedenfalls ist kein erstrebenswertes Ideal – im vierten Abschnitt der »Sprüche der Väter« wird Rabbi Ben Soma zitiert: »Wer ist reich? Wer sich mit seinem Anteil freut, dem ist gesagt: Wenn du deiner Hände Mühen genießest, heil dir und wohl dir.«

Die Mischna, also die von den Rabbinen niedergeschriebene mündliche Tora, jedenfalls urteilt eindeutig zugunsten der abhängig Beschäftigten: Sie stellt im Traktat »Bawa Metzia« (83a) fest, dass jemand, der Lohnarbeiter gemietet hat, sie nicht zwingen darf, früher anzufangen und später aufzuhören – sofern das nicht Landesbrauch ist. Eine derartige Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse soll nach der Mischna noch nicht einmal durch den Anreiz höherer Löhne betrieben werden. Das Versprechen höherer Löhne ist nur zulässig, wenn es um einen Anreiz zu besserer Arbeit, nicht aber um eine Verlängerung des Arbeitstages geht.

Die Betonung des »Landesbrauchs« in der Mischna weist darauf hin, dass die Absicht von Konzernen, in Zeit und Raum entgrenzte Arbeitsplätze zu schaffen und sich so über alle arbeitskulturell und arbeitsrechtlich erkämpften Traditionen hinwegzusetzen, mit jüdischer Ethik nicht vereinbar ist.

Nun muss eine in der späten Antike und ihren Bedingungen entstandene Ethik der Lohnarbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der globalisierten Welt niemanden mehr beeindrucken. Freilich beruht diese auf der noch früher entstandenen Ethik der Tora mit ihrer Erzählung von der Erschaffung der Welt durch Gott und dem auf sechs Schöpfungstage folgenden Ruhetag, dem Schabbat. Der Schabbat aber ist ein Tag der Unterbrechung aller Geschäftigkeit, ein Tag, der der Menschheit nach jüdischem Glauben geschenkt und mit typischen Veränderungen von Christentum und Islam übernommen wurde.

Die allseitig verfügbare, liquide Arbeitskraft aber, die in scheinsouveräner Selbstständigkeit ihre Arbeit im digitalen Kapitalismus zu jeder Zeit und an jedem Ort verrichtet, begibt sich in ein neues Gehäuse der Hörigkeit. Die jüdische Freitagabendliturgie weiß, warum sie den Schabbat und die Befreiung aus Ägypten in einem Atemzug nennt.

Nahost

Israel: Wir stehen kurz vor Abschluss des Einsatzes in Gaza

US-Präsident Donald Trump sagte jüngst, dass es bald im Gaza-Krieg eine Waffenruhe geben könnte. Auch Israels Verteidigungsminister Katz äußert sich nun optimistisch

 30.06.2025

Debatte

Anti-Israel-Parolen: USA entziehen britischer Band Visa

Ein britischer Festivalauftritt mit israelfeindlichen Parolen wird live von der BBC übertragen. Der Sender steht unter Druck – und die USA kündigen an, der Band die Einreise zu verweigern

 30.06.2025

Interview

Nuklearforscher: »Das iranische Atomprogramm neu aufzubauen wird Jahre dauern«

Georg Steinhauser über die israelischen und amerikanischen Schläge gegen Atomanlagen im Iran, die Eigenschaften von Uran-235 und mögliche Szenarien für die Zukunft

von Michael Thaidigsmann  30.06.2025

Israel

Früherer Geheimdienstchef der israelischen Armee: Jerusalem musste das Atomprogramm der Mullahs stoppen

Im Juni 1981 war Amos Yadlin an der Zerstörung von Saddam Husseins Kernreaktor beteiligt. Nun hat er ausführlich über Israels Präventivschlag gegen das Mullah-Regime und den angeblichen »Völkermord« in Gaza Auskunft gegeben

von Imanuel Marcus  30.06.2025 Aktualisiert

Drohung

Iranische Zeitung fordert Todesstrafe gegen IAEA-Chef Grossi

Das staatliche Propagandablatt wirft Rafael Grossi vor, für Israel spioniert zu haben

 30.06.2025

Düsseldorf

Islamistischer Tiktok-Star gesteht Spendenbetrug

Der Islamist »Abdelhamid« hat unter seinen Followern Spenden »für Palästina« gesammelt und diese dann unter anderem für einen BMW ausgegeben. Das gestand er nun vorm Düsseldorfer Landgericht

von Martin Höke  30.06.2025

Düsseldorf

NRW: Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen

Fast 700 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert - ein Zuwachs von 27 Prozent

 30.06.2025

Uni Duisburg

Online-Mahnmal gegen Schändung jüdischer Friedhöfe gestartet

Die Universität Duisburg-Essen hat ein Online-Projekt zum Schutz jüdischer Friedhöfe vorgestellt. Grundlage dafür ist eine interaktive Karte

von Raphael Schlimbach  30.06.2025

Atomprogramm

Iran signalisiert Bereitschaft zu Verhandlungen

Nach den US-Angriffen auf iranische Nuklearanlagen wurden die Atomgespräche zunächst unterbrochen. Nun mehren sich Signale Teherans, an den Verhandlungstisch zurückzukehren - unter Bedingungen

 30.06.2025