Gemeindetag

»Unser Bild wird nur besser, wenn Sie anzeigen«

Moderator Christian Staffa, BKA-Chef Holger Münch, EU-Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein und Harry Schnabel vom Zentralrat der Juden (v.l.) Foto: Clara Wischnewski

»Mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust sind wir alles andere als gefeit vor Antisemitismus und antisemitischen Straftaten«, sagt Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). Es klingt ernüchternd und dramatisch – und ist doch allen bekannt.

Im Rahmen des Gemeindetags sind am Donnerstag in Berlin mehr als 100 Zuhörer zu einem Podiumsgespräch zusammengekommen: »Der Rechtsstaat am Limit?«, so der Titel. Etliche weitere damit verbundene Fragen stehen im Raum: Welche Möglichkeiten hat der Rechtsstaat angesichts der wachsenden Zahl antisemitischer Übergriffe? Sind Justiz und Sicherheitsbehörden auf diese Herausforderungen vorbereitet? Wo fehlt es an notwendigen Gesetzen, und wo mangelt es an der konsequenten Ahndung von Straftaten? Wo fehlt es an Bildung und wo an der Sensibilität im Umgang mit Judenhass?

Neben Münch haben die EU-Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein und Harry Schnabel vom Präsidium des Zentralrats auf dem Podium Platz genommen. Sie stehen dem Publikum Rede und Antwort.

»Pro Tag erleben wir drei Gewalttaten von rechts«, sagt Münch und hebt hervor, dass der Antisemitismus eines der verbindenden Elemente im rechten Spektrum ist. Die Zahl der antisemitischen Straftaten steige seit Jahren, und auch 2019 würden es mehr sein als vergangenes Jahr. Mit 89 Prozent seien die Straftaten »hochgradig von der rechten Szene dominiert«.

DISSONANZ Doch wie kommt es zu der Dissonanz, dass Gemeindemitglieder in einer Umfrage sagten, 80 Prozent der antisemitischen Übergriffe kämen von Muslimen, will der Moderator Christian Staffa wissen, seit Oktober Antisemitismusbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Da appelliert Münch an die Zuhörer im Saal: »Unser Bild wird nur besser, wenn Sie anzeigen. Lieber einmal mehr anzeigen!«

Nach der sogenannten Flüchtlingskrise habe zusätzliche Verrohung eingesetzt. Da müsse sich der Rechtsstaat neu anpassen, sagt Münch.

Nach der sogenannten Flüchtlingskrise habe zusätzliche Verrohung eingesetzt. Da müsse sich der Rechtsstaat neu anpassen, sagt Münch. Wir brauchen Staatsanwaltschaften, die sich auf bestimmte Themen spezialisieren.

Harry Schnabel verweist auf Bayern, wo sich Staatsanwälte darauf geeinigt haben, dass bei antisemitischen Taten Strafverfahren grundsätzlich nicht eingestellt werden. Er fordert, dass die Gesetze tatsächlich auch angewendet werden. »In der Vergangenheit ist das in beschämendem Maße nicht geschehen.« Gaulands Vogelschiss zum Beispiel erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung. Doch leider gebe es seit Anfang der 90er-Jahre nur noch wenige Staatsanwälte, die für das Thema Antisemitismus sensibilisiert sind. »Sie wissen nicht mehr genug von Auschwitz.«

Katharina von Schnurbein betont, es sei wichtig, die Staatsanwälte und Richter auf Basis der Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) zu schulen. Daraufhin entgegnet Münch: Ein Programm für die Sensibilisierung von Richtern einzuführen, sei schwierig, das die Justiz in Deutschland unabhängig sei.

»Wenn man sie nicht mehr sensibilisieren kann, sobald sie Richter sind, muss man sie in der Ausbildung sensibilisieren«, sagte Katharina von Schnurbein.

Darauf entgegnet Schnurbein: »Wenn man sie nicht mehr sensibilisieren kann, sobald sie Richter sind, muss man sie in der Ausbildung sensibilisieren.« Applaus aus dem Publikum.

RECHTSLASTIG Mit ernsten Worten meldet sich aus dem Publikum Michael Szentei-Heise von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf zu Wort: »In jeder Sicherheitsbehörde sind Teile der Mitarbeiter ziemlich rechts.« Und dann wendet er sich direkt an den BKA-Präsidenten: »Sie haben Feinde der Demokratie in ihren Behörden.« Und das Publikum applaudiert.

Münch kontert ironisch: »Ich habe die dankbare Rolle, als Vertreter aller Sicherheitsbehörden hier zu sitzen« und beschreibt, wie stark sich die Zahl seiner Mitarbeiter in den kommenden Jahren erhöhen wird. »Dabei ist es entscheidend, dass wir junge Leute haben, deren Kompass richtig eingestellt ist. Wir schauen uns unsere Anwärter genau an«, sagt er, »wir wollen nicht Spiegelbild der Gesellschaft sein.«

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Europäische Union

Sanktionspaket: Wie die EU-Kommission Israel treffen will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025