Meinung

Tyrannei der Mehrheit

Leo Latasch Foto: Gregor Zielke

Ein Leser der »Frankfurter Allgemeinen« drückt seine Meinung zur Beschneidung so aus: »Wollen wir dahin zurück? In das finstere Mittelalter? Wenn eine Religion von einem Zipfelchen Haut abhängt, au weia!!!« Nun ist Religion untrennbar mit Toleranz verbunden. Doch immer mehr entsteht der Eindruck, dass in der deutschen Beschneidungsdebatte die Toleranz geopfert wird. Nicht von den christlichen Kirchen, die die Forderung von Judentum und Islam unterstützen, weiterhin ihren Beschneidungsritus ausüben zu dürfen, aber vom sogenannten mündigen deutschen Bürger ist Widerstand zu hören.

Seine Begründung beginnt damit, dass wir doch in einem säkularen Staat leben, in dem Kirche und Staat getrennt sind und in dem es »ja wohl noch erlaubt sein« müsse, »archaische Bräuche« zu kritisieren. Auch wenn die Bedeutung von Religion und Tradition in der heutigen Gesellschaft zurückgeht, reicht die deutsche Toleranz nicht aus, religiöse Traditionen zu akzeptieren. Und wenn sie schon unbedingt glauben müssen, dann sollen sich doch bitte alle an der christlichen Religionslehre orientieren.

Medizin »Für die Christen spielt das schon lange keine Rolle mehr«, heißt es einem Blog zur Beschneidung. »Weshalb können die Juden sich nicht von solchen archaischen Bräuchen lösen?« Andere Religionen außer die der Mehrheitsgesellschaft werden schlicht abgelehnt, gerne auch unter dem Mäntelchen der Medizin: »Die Studien, die belegen, dass Beschneidung gesund ist, wurden von Juden beauftragt, bezahlt und durchgeführt. Sie sind getürkter als die deutsche Arbeitslosenstatistik«, glaubt ein »Spiegel«-Leser zu wissen.

Jenseits der heftig geführten Diskussion über Beschneidung ist ein dramatischer Mangel an Toleranz zu konstatieren. Toleranz, so definiert der Ethiker Michael Bongardt, bedeutet: »Ich dulde etwas, was ich aus meiner eigenen Perspektive mit guten Gründen für falsch halte.« Das gilt auch für die Beschneidung. Es geht also nicht darum, dass die Mehrheitsgesellschaft, verstehe sie sich mehr christlich oder mehr säkular, die jüdischen und islamischen Beschneidungsrituale gut findet. Es geht um Duldung, um Toleranz. Und die darf nicht geopfert werden.

Der Autor ist Rettungsmediziner in Frankfurt und einziges jüdisches Mitglied im Deutschen Ethikrat.

Gedenken an Hamas-Massaker

»Wir sind immer noch erschüttert«

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Montagabend bei einer Gedenkveranstaltung in Hamburg

 07.10.2024

Amsterdam

Antisemiten wollen Massaker-Gedenken stören

Dutzende von ihnen wurden festgenommen

 07.10.2024

Gedenken an 7. Oktober

Steinmeier kritisiert israelische Kriegsführung

Der Bundespräsident sagte, der Kampf gegen die Hamas habe bereits zu viele Menschenleben gekostet

 07.10.2024

Antisemitismus

Opfer des 7. Oktober waren an Unis »nicht der Rede wert«

Die Massaker der Hamas führten zu »brutaler Einsamkeit« von Juden, erklärte Doron Kiesel

 07.10.2024

Berlin

Ron Prosor: 7. Oktober ist ein schwerer Tag für Israel

Jubel für die Taten der Hamas auch auf deutschen Straßen nennt der israelische Botschafter »unmenschlich«

 07.10.2024

Meinung

Das Tremolo der Besserisraelis

Friedensengel Nasrallah, Kriegstreiber Netanjahu? Die deutsche Berichterstattung über den 7. Oktober und den Nahostkonflikt wird journalistischen Standards allzu oft nicht gerecht

von Michael Thaidigsmann  07.10.2024

Frankfurt am Main

»Propalästinensische« Demo darf stattfinden

Die Stadt kann das Urteil nicht mehr anfechten

 07.10.2024

Berlin

Scholz lässt gelbe Schleife ans Kanzleramt hängen

»Wir fühlen mit euch«, verspricht der Kanzler den Familien der Hamas-Geiseln

von Imanuel Marcus  07.10.2024

Berlin

Ein Jahr Ausnahmezustand

Der Zentralrat der Juden stellte heute das neue Lagebild zu den Auswirkungen des 7. Oktobers vor - mit alarmierenden Ergebnissen

 07.10.2024