Kontroverse

Thilo, Euro und Schoa

Streitbar und selbstbewusst: Thilo Sarrazin mit seinem neuen Buch Foto: dpa

Thilo Sarrazin, SPD-Politiker und ehemaliger Bundesbanker sowie erfolgreicher Sachbuchautor, hat ein neues Werk vorgelegt: Europa braucht den Euro nicht heißt es, und eingedenk von Sarrazins erstem Bestseller Deutschland schafft sich ab, der ihm Rassismus- und Antisemitismusvorwürfe eingetragen hat, war bei der Buchpräsentation im Berliner Hotel Adlon am Dienstag auch jede Menge Polizei vorgefahren.

reflex Heftige Kritik fängt sich Sarrazin auch diesmal ein, selbst wenn sein Buch doch nur, wie Autor und Verlag beteuern, ein finanzpolitisches Thema behandele. Aber über Befürworter von Euro-Bonds etwa schreibt Sarrazin, sie seien »getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir all unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände legen«.

Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, warf Sarrazin daraufhin im »Tagesspiegel« vor, »in seiner Gier nach größtmöglicher Aufmerksamkeit« nicht einmal davor zurückzuschrecken, »den Holocaust für seine Zwecke zu instrumentalisieren und zu missbrauchen«.

Doch bei der Präsentation am Dienstag legte Sarrazin Wert auf die Feststellung, er zitiere nur: »Nicht ich, die Befürworter des Euros stellen doch den Zusammenhang mit dem Holocaust her.« Andererseits aber äußerte Sarrazin klar, historische Verpflichtungen, die sich aus der Schoa für die Währungspolitik ergäben, lehne er grundsätzlich ab. Schließlich sei der Zweite Weltkrieg fast sieben Jahrzehnte vorbei, und es sei falsch, wenn Deutschland jetzt, etwa mit Blick auf Griechenland, »für die Folgen finanzieller Fehlentwicklungen in Nachbarländern verantwortlich gemacht« werde.

Holocaust Der Gedanke, dass die deutsche Schuld an Weltkrieg und Schoa vernünftige Entscheidungen verhindert habe, findet sich in der Tat öfter in Sarrazins Buch. Einmal schreibt er verächtlich über die Einwanderungspolitik: »... als ob Krieg, Holocaust und Vertreibung es den Deutschen moralisch auferlegt hätten, passiv zu dulden, wer sich in ihrem kleiner gewordenen Land sonst noch ansiedeln will«. Auch an anderen Stellen beklagt Sarrazin eine bestimmte »Mentalität der Völker«, die man ändern müsse. Ansonsten »sollte man vorher prüfen, wem man zu welchen Bedingungen Kredit gibt«.

Den Ex-Bundesbanker stört auch, dass seit dem Zweiten Weltkrieg Englisch zur internationalen Arbeitssprache avanciert sei und es eine »weiter wachsende Dominanz des Englischen« gebe, während noch 1920 die Hälfte aller weltweit veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen auf Deutsch erschienen sei.

Sarrazins neues Buch trägt den Untertitel »Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat«. In einem Überblick gibt der »historisch beschlagene Zeitgenosse« (Sarrazin über Sarrazin) die seines Erachtens wichtigen Daten der europäischen Geschichte wieder: Die Spannung zwischen den Weltmächten »kam 1914 zur Entladung. Sie endete nach 1945 mit der Entmachtung und Teilung Europas«. Damit hat Sarrazin die für seine Sicht der Welt wichtigen historischen Daten zur Genüge berücksichtigt.

Interessen Kritisch zu Sarrazins geschichtlichen Exkursen äußert sich etwa der konservative Historiker Paul Nolte: »An Wirtschaft und Währung hängt die europäische Aussöhnung«, sagte Nolte der »Bild«-Zeitung. »Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass es wieder Kriege gibt, wenn Europa zerfällt.«

Aus der Politik wurden überwiegend Sarrazins währungspolitische Ideen kritisiert. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem Sarrazin vorwirft, nationale Interessen zu vernachlässigen, sagte der »Bild am Sonntag«, der frühere Finanzpolitiker rede entweder »aus Überzeugung einen himmelschreienden Blödsinn oder er macht es mit einem verachtenswerten Kalkül«. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin urteilte in »Welt Online«: »Sarrazin rutscht immer weiter nach rechts ins Abseits. Es ist erbärmlich, dass er den Holocaust heranzieht, um seinen Thesen zu Euro-Bonds größtmögliche Aufmerksamkeit zu sichern.«

Kritik gibt es auch aus Sarrazins Partei. Der SPD-Politiker Carsten Schneider wirft ihm in der »Passauer Neuen Presse« vor, »nationalistisch und reaktionär« gegen den Euro zu agitieren.

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025

Urteil

»Impfen macht frei«-Bild ist Volksverhetzung

Ein 65-Jähriger hatte während der Corona-Pandemie die Schutzmaßnahmen der Regierung mit dem Holocaust verglichen

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025