SPD-Nahostpolitik

Sanktionen gegen Israel und kein Wort zur Hamas

Der SPD-Abgeordete Adis Ahmetovic bei einer Veranstaltung seiner Partei in Hannover Foto: picture alliance / Noah Wedel

Hat die deutsche Sozialdemokratie in der Israel-Politik einen abrupten Kurswechsel vollzogen?

Wer das zu Wochenbeginn auf den Social-Media-Kanälen der Bundestagsfraktion verbreitete Papier von Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Abgeordneten, Adis Ahmetovic, durch liest, könnte zumindest den Eindruck gewinnen. Besonders, weil zunächst suggeriert wurde, es handele sich hier um viel mehr als nur die Privatmeinung von zwei Mitgliedern der 120-köpfigen der Fraktion. »Als Fraktion schlagen wir weitere Maßnahmen vor«, hieß es am Dienstag in einem Post auf X.

Doch auf der Webseite der SPD-Bundestagsfraktion erscheint der Text nur mehr als »Statement von Adis Ahmetovic und Rolf Mützenich«. War es also doch kein gemeinsames Positionspapier der SPD-Fraktion? Ahmetovic versicherte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, sein Papier sei »mit zahlreichen Abgeordneten und der Führung der SPD-Fraktion abgestimmt«.

Der »Point of no return« sei in Gaza jetzt erreicht, auch, weil das von der EU mit der israelischen Regierung vor zwei Wochen vereinbarte Abkommen zur Verbesserung des humanitären Zugangs»wirkungslos« geblieben und nur »ein weiteres leeres Versprechen der israelischen Regierung« gewesen sei, während in Gaza »Menschen sterben«, so die Autoren.

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Israel plane, so die beiden SPD-Politiker, eine »erzwungene und dauerhafte Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung« aus dem Gazastreifen. Man erlebe gerade einen »systematischen Vertreibungsprozess«, der »klare und umgehende Konsequenzen« für die deutsche Haltung gegenüber Israel haben müsse. »Die völkerrechtswidrige Besatzung und die fortgesetzte Missachtung grundlegender Menschenrechte lassen keinen politischen Interpretationsspielraum mehr zu«, so die beiden Politiker.

Dann werden Mützenich und Ahmetovic konkret. Sie fordern die Bundesregierung auf, sich anderen Staaten anzuschließen und sich insbesondere für die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel starkzumachen. Zudem soll auf europäischer Ebene ein Stopp von Rüstungsexporten an den jüdischen Staat durchgesetzt werden – zumindest für Waffen, die Israel »völkerrechtswidrig« einsetze. Welche das sind, wird nicht gesagt. Der Schritt sei aber »aus unserer Sicht geboten, um unsere völkerrechtliche Verantwortung, die in unserem Grundgesetz verankert ist, konsequent zu erfüllen«, so die beiden Verfasser weiter.

Die Hamas und ihre Rolle wird in ihrem Papier mit keiner Silbe erwähnt. Ihre Erwartungen richten sie ausschließlich an die Adresse Israels. Die Freilassung der israelischen Geiseln, die weiterhin in der Gewalt der Terrororganisation sind, könne nur gelingen, wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gebe.

Zu guter Letzt fordern Mützenich und Ahmetovic von der Bundesregierung, »sich beim arabischen Wiederaufbauplan für Gaza aktiv einzubringen und sich der UK-Initiative mit den 28 weiteren internationalen Partnern – wie zum Beispiel Frankreich, Kanada und Österreich – anzuschließen.«

Die Erklärung basiere auf dem Beschluss des SPD-Bundesparteitags von Ende Juni und reflektiere nicht nur »einen breiten Konsens innerhalb der Fraktion«, sondern stehe auch »im Einklang mit der Linie der Bundesregierung«, sagte Ahmetovic dieser Zeitung.

Richtig ist, dass sich auch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Reem Alabali (SPD), sich gewünscht hätte, dass Deutschland sich dem von Großbritannien initiierten Erklärung von mittlerweile 30 Staaten anschließt. Alabali machte dies auch öffentlich.

EU-Abkommen mit Israel wird in Frage gestellt

Doch an der Behauptung Ahmetovics, man liege mit den Forderungen auf einer Linie mit der Bundesregierung, deren Teil die SPD ist, stimmt einiges nicht. So hat Deutschland auf EU-Ebene bislang die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens strikt abgelehnt. »Wir brauchen dieses Abkommen und sollten es in keiner Weise in Zweifel ziehen«, hatte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) vor vier Wochen klargemacht und gewarnt, weitere Diskussionen darüber zu führen. Für die Maßnahme bräuchte es Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedsstaaten – und die ist bislang nicht in Sicht.

Im Beschluss des SPD-Parteitags vom Juni wird der seit 2000 bestehende, von den 27 Mitgliedsstaaten der EU ratifizierte Vertrag, der unter anderem die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Israel regelt, mit keiner Silbe erwähnt. Auch zum Thema Waffenexporten findet sich dort nichts. Johann Wadephul machte im Interview mit der »Zeit« am Mittwoch erneut klar, dass Deutschland »grundsätzlich« weiter Waffen an Israel liefern wolle.

Wörtlich sagte er der Wochenzeitung: »Es gab eine nachweisliche Drosselung von Lieferungen durch die Vorgängerregierung, die ich damals nicht für richtig gehalten habe. Alle Regierungen seit Konrad Adenauer haben Waffen an Israel geliefert, und das führen wir selbstverständlich fort. Diese deutsche Unterstützung ergibt sich ganz klar aus unserem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Trotzdem kann es Einschränkungen geben.« Die Entscheidung im Einzelfall liege beim Bundessicherheitsrat, und der tage nun einmal geheim, so der Außenminister.

Zankapfel Waffenlieferungen

Eine Ausfuhr von Rüstungsgütern, die »völkerrechtswidrig« eingesetzt werden, ist bereits jetzt gesetzlich untersagt. Einem Bericht der »Zeit« zufolge hat die Bundesregierung in diesem Jahr die Ausfuhr von Rüstungsgütern an Israel im Wert von 90 Millionen Euro genehmigt. Im April hatten CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass Deutschland Israel »bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit« auch künftig unterstützen werde.

Doch Adis Ahmetovic argumentiert nun damit, dass sich die Lage der Palästinenser zugespitzt habe. Man dürfe »die Augen nicht verschließen vor dem Leid, das sich in Gaza abspielt: Kinder, die verhungern. Familien, die ihre Angehörigen unter Trümmern begraben. Menschen, die auf der Suche nach Essen erschossen werden. Ziel meiner gestrigen Erklärung ist, den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza im Rahmen des humanitären Völkerrechts zu stärken«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen.

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Israel habe sich nicht an die Zusagen gehalten, den Zugang humanitärer Organisationen nach Gaza und die Versorgung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Belege dafür nannte er jedoch nicht. Zur Begründung verwies er lediglich auf die sich verschlechternde humanitäre Situation in Gaza. Über die mögliche Verantwortung der Hamas und anderer Terrorgruppen in der palästinensischen Küstenenklave verlor er kein Wort.

Stattdessen verwies Ahmetovic darauf, dass auch der SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sein gemeinsam mit Mützenich verfasstes Papier unterstütze. »Unser Fraktionsvorsitzender teilt die Sorge über die humanitäre Katastrophe in Gaza und unterstützt die Forderung, sich der Haltung unserer engsten Partner - darunter Frankreich, Kanada und Österreich - anzuschließen. Die britische Initiative fordert im Übrigen nicht nur ein Ende der Kampfhandlungen, sondern ebenso explizit die sofortige Freilassung aller Geiseln«, so Ahmetovic.

Kritik vom Zentralrat an der SPD

Die Achtung des humanitären Völkerrechts sei für die SPD »nicht verhandelbar«, so der Außenpolitiker. Wer Zivilisten angreife oder den Zugang zu humanitäre Hilfe verweigere, verstoße gegen fundamentale Prinzipien des Rechts. »Darauf hinzuweisen, ist kein Widerspruch zur Solidarität mit Israel, sondern Ausdruck rechtsstaatlicher Konsequenz. Auch in schwierigen Fragen gilt für uns: Menschenrechte sind unteilbar. Das macht verantwortungsvolle Außenpolitik aus«, sagte Ahmetovic.

Wie groß die Unterstützung in der eigenen Partei für seine Forderung nach Sanktionen gegen Israel ist, ist unklar. Kritik am Kurswechsel kam von Josef Schuster. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland nannte die Stellungnahme von Mützenich und Ahmetovic »in ihrer Einseitigkeit verstörend«. Sie ignorierten »die Realität im Nahen Osten und befreien die Hamas von jeglicher Verantwortung für das Leid der Palästinenser.»

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann wies die Forderung zurück. «Dieser einseitige Druck auf Israel, das ist doch genau das, was die Hamas will», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

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