Migration

Sagen, was ist

Teilnehmer einer israelfeindlichen Kundgebung in Berlin-Neukölln verbrennen eine selbst gemalte Fahne mit einem Davidstern (Dezember 2017). Foto: picture alliance / Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V./dpa

Migration

Sagen, was ist

Wie kann es gelingen, muslimischen Judenhass klar zu benennen, ohne das Geschäft der AfD zu betreiben? Ein Vorschlag von Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  03.08.2023 07:45 Uhr

Als Jude soll man an Tikkun Olam, der Verbesserung der Welt, arbeiten. Man will anständiger sein, als man eigentlich ist, um den Antisemiten keinen Vorwand zum hässlichen Denken und Tun zu liefern. Aber welcher Jud’ gesteht sich ein, dass die Antisemiten keinen Vorwand benötigen, um Israeliten zu hassen? Jean-Paul Sartre brachte es auf den Punkt: »Der Antisemit müsste die Juden erfinden, wenn es sie nicht bereits gäbe.«

Die Judenfeinde gibt’s, einerlei, wie untadelig sich die Hebräer benehmen. Diese Erkenntnis, die wir alle erfahren haben, im Privaten wie in der »Sonderbehandlung« Israels durch BDS, sollte uns ein Maß an Unbeschwertheit verleihen. Doch die Juden wollen sich wie die meisten Menschen nicht ihre Ohnmacht eingestehen. Daher bemühen sie sich wie ein Hamster im Laufrad unentwegt, durch Demutsgesten der Judenfeindschaft den Boden zu entziehen. Anstatt sich einzugestehen, dass die Antisemiten sie als Popanz brauchen.

hamsterrad Steigen wir aus dem Hamsterrad und untersuchen wir den Judenhass, statt ihn vergeblich zu beklagen. Nutzen wir die vielen wissenschaftlichen Studien über unsere Quälgeister. Die letzte wurde soeben im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung verfasst. Ihr eindeutiges Ergebnis mag lediglich die politisch Korrekten überraschen: »Antisemitische Einstellungen sind unter Muslimen (in Deutschland) stärker verbreitet als im Rest der Bevölkerung.«

Vier Prozent der Deutschen beurteilen die Juden als »hinterhältig«. Bei den Muslimen stimmen dreimal so viele dieser Aussage zu.

So beurteilen vier Prozent der Deutschen die Juden als »hinterhältig«. Bei den Muslimen stimmen dreimal so viele dieser Aussage zu. 26 Prozent der Muslime sehen die Welt durch die Juden »beherrscht«, beim Rest sind es »nur« zwölf Prozent. Jeder 50. Deutsche findet »Gewalt gegen Juden gerechtfertigt«, bei Muslimen sind es 3,5-mal so viel.

Die Zahlen sind schmerzlich – sie enthalten aber auch eine zuversichtlich stimmende Aussage. Die unentwegten Bemühungen von Erziehungseinrichtungen, demokratischen Medien, Verbänden und nicht zuletzt der Justiz tragen offenbar Früchte. Sie sind kein Wundermittel, aber wirksame Arzneien. Dies wird deutlich, wenn man die Werte mit jenen der muslimischen Community vergleicht. Diese Feststellung ist keineswegs islamophob. Kein Mensch kommt mit Vorurteilen zur Welt. Weder Juden noch Christen noch Muslime. Aber das Sein, sprich die Sozialisation, hat erheblichen Einfluss auf das Bewusstsein.

Die Jahrzehnte währende antisemitische Propaganda schürt Hass.

Dabei allein den Koran und Mohammed für die Judenfeindschaft des Islam verantwortlich zu machen, ist diskriminierend. Der Prophet war von den Juden enttäuscht, weil sie den von ihm verkündeten Glauben nicht annehmen wollten. Mohammed schmähte die Hebräer. Aber das tat Luther nicht weniger. Auch in der Tora finden sich harte Aussagen. Niemand soll diesen Aufrufen heute folgen! Hier muss vielmehr die Erziehung zur Toleranz einsetzen. Im Elternhaus, in der Schule, in der Gesellschaft.

alibi Doch dies geschieht in der Reihe der 57 islamischen Staaten nicht. Im Gegenteil! In Iran, Somalia und Gaza dient der Islam als Alibi zum Schüren des Judenhasses. Auch anderswo wird unentwegt gegen Israel und die Juden Stimmung gemacht.

Der türkische Staatspräsident Recep Tay­yip Erdogan gefällt sich als Volksverhetzer. Er schmäht Zionismus als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, nennt Israel einen »terroristischen Staat« und beschuldigt die Israelis, Adolf Hitler in Sachen Barbarei zu übertreffen. Die Jahrzehnte währende anti-israelische und antisemitische Propaganda schürt Vorurteile und Hass. Durch Familienbande und zunehmend mithilfe von Fernsehen und sozialen Medien werden antijüdische Feindschaften gesät.

Die Ergebnisse spiegeln sich wie erwähnt seit Langem in der Forschung wider. Die Ethnologin und Politikwissenschaftlerin Sina Arnold vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin beschäftigt sich seit Jahren mit Untersuchungen zum Judenhass. Sie teilt den Antisemitismus in Deutschland in drei Kategorien ein: klassisch, sekundär, israelfeindlich.

vorurteile Sie hätte auch ein Dutzend Arten nennen können, wie jeder weiß, der sich mit der Materie beschäftigt oder unter Antisemitismus leidet. Dabei kommt sie zu dem vorhersehbaren Ergebnis, dass antisemitische Vorurteile wie »Juden sind gierig« und »Israel gleicht den Nazis« unter Muslimen weiter verbreitet sind als bei Menschen eines anderen oder keines Glaubens.

Bemerkenswert ist, dass speziell antisemitische Klischees auch von Anhängern der AfD überdurchschnittlich geteilt werden.

Bemerkenswert ist, dass speziell antisemitische Klischees auch von Anhängern der AfD überdurchschnittlich geteilt werden. In ihren Statements spielt sich die rechtsextreme Partei als Beschützerin der Juden auf. »Rührend« möchte sie dies tun, indem sie die Zuwanderung aus islamischen Ländern unterbinden will – um die Juden vor ihren Feinden zu schützen. Doch immer wieder verraten sich die Faschisten-Bewunderer.

Etwa, wenn Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« schmäht. Oder Alexander Gauland die Nazi-Zeit als »Vogelschiss« der deutschen Geschichte abtut. Auf diese falschen Freunde mitsamt ihren jüdischen Lakaien verzichten wir.

Wir deutschen Juden reihen uns vielmehr unter die Demokraten dieses Landes ein. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Für alle! Ginge die Grundgesetz­präambel in Erfüllung, verschwänden alle Vorurteile. Wir arbeiten an der Verwirklichung des Wunschtraums.

Der Autor ist Historiker und Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Buch »Rafi, Judenbub«.

Berlin

Henryk M. Broder: Das Urvertrauen in die Politik ist dahin

Es scheine, als lebten Regierungspolitiker »in einer eigenen Welt«, in der »sie die wahren Probleme ausblenden und deshalb auch nicht bearbeiten«, so der »Welt«-Kolumnist

 18.05.2025

Meinung

Ohne Wissen und Gewissen 

Der taz-Redakteur Daniel Bax, studierter Islamwissenschaftler, sollte seinen Beruf wechseln. Die taz sollte ihm dabei helfen

von Maria Ossowski  18.05.2025

Kommentar

Den Nachkommen der Schoa-Opfer kaltschnäuzig und nassforsch die Leviten gelesen

Ausgerechnet zum 60. Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen kritisiert die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann die Kriegsführung in Gaza, und das auch noch, ohne die Hamas zu erwähnen

von Esther Schapira  18.05.2025

Basel

Farbanschlag auf Yuval Raphael vereitelt

Crew-Mitglied des ESC wurde von Farbe getroffen

 18.05.2025

Karin Prien

»Insofern bin ich eine jüdische Ministerin«

Die neue Bildungs- und Familienministerin will ihren Familienhintergrund auch in ihre Arbeit einbringen

 17.05.2025

Berlin

Weimer kritisiert Drohungen gegen Israel beim ESC

Israel gänzlich vom ESC auszuschließen, ist »das Allerletzte« sagt der Kulturstaatsminister

 17.05.2025

Nahost-Diplomatie

Medien: Syrien und Israel führen indirekte Gespräche. Trump: »Al-Sharaa ist ein starker Typ«

Der US-Präsident forciert bei seinem Nahostbesuch die Idee weiterer Abraham-Abkommen mit Israel - auch Syrien soll Interesse signalisiert haben

 16.05.2025

Justiz

Ankläger von Weltstrafgericht tritt zurück

Chefankläger Karim Khan wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt

 16.05.2025

Interview

»Es hätte viel kürzer und klarer sein müssen«

Peter Neumann über das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, die internationale Debatte darüber und ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei

von Nils Kottmann  16.05.2025