Neonazis

Republik der Irren

Die Reichskriegsflagge ist in rechtsextremen Kreisen populär. Foto: dpa

Anfang Oktober wurde Daniel Sch. in Polen festgenommen. Der 39-Jährige war aus der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin, einer Einrichtung für psychisch Kranke, geflohen. In den dortigen Maßregelvollzug war er gekommen, nachdem ein von ihm angelegtes Depot mit 280 Kilogramm Sprengstoff, 127 Leuchtkörpern und 500 Sprengkapseln gefunden worden war. Am Tor stand auf einem Schild »Republik Freies Deutschland – Hoheitsgebiet«. Daniel Sch. versteht sich als »Reichsbürger«. Das ist eine Bewegung, die ihren Schwerpunkt in Brandenburg hat.

Lothar Bretterbauer (CDU) ist seit 23 Jahren Bürgermeister von Lübben. Er ist in dem Spreewaldstädtchen bei fast allen respektiert. Nur mit einem, dem »Reichsbürger« Daniel Sch., hat Bretterbauer Probleme: »Seit Monaten werden wir von ihm mit nervigen Briefen überhäuft. Der Bürger lehnt es ab, kommunale Abgaben zu zahlen. Auch unser Landrat, der hier in Lübben wohnt, wird ständig von ihm persönlich zur Rede gestellt. Wir sehen das schon als gewisse Bedrohung an.«

todesstrafe In einem Schreiben forderte der »Reichsbürger« gar die »Todesstrafe« für einen Gerichtsvollzieher. Das Innenministerium in Potsdam schätzt die Zahl der Brandenburger Mitglieder der Bewegung auf etwa 100. Sie lehnen die staatliche Ordnung der Bundesrepublik ab, deren Gesetze, selbst deren Ausweise besitzen für sie keine Gültigkeit. Für ihre »Republik Freies Deutschland«, die im vergangenen Jahr in Leipzig ausgerufen wurde, stellt eine selbst ernannte Exilregierung eigene Papiere aus. Es gibt sogar einen Exilkanzler.

Im Landkreis Potsdam-Mittelmark wurde der Landrat in einem Reichsbürger-Brief als »Herr SPD-Gauleiter« Wolfgang Blasig angeschrieben, in dem der Absender »Besatzungskosten« einforderte. Einige der »Reichsbürger« hängen überdies der Theorie an, dass die Nazis nach 1945 mit »Reichsflugscheiben« nach »Neuschwabenland« in die Antarktis geflüchtet seien.

Die Briefe, mit denen die »Reichsbürger« Rathäuser, Politiker, Schulen und sonstige Verwaltungsstellen traktieren, klingen dann beispielsweise so: »Sofern Sie mit den Dokumenten innerhalb der BRD auf Probleme stoßen, informieren Sie die Exilregierung. Mit reichsdeutschen Grüßen: K., Polizeipräsident der Exilregierung Deutsches Reich.« In den Verwaltungsstellen gehen – häufig nachts und per Fax – seitenlange Anträge und Traktate ein, die von den Mitarbeitern gelesen und bearbeitet werden müssen.

bußgeld Die krude Bewegung ist stellenweise mit organisierten Rechtsextremisten durchsetzt. In Luckenwalde beispielsweise gehört ihr eine Stadtverordnete der NPD an, die sich mit der ablehnenden Begründung der Reichsbürger geweigert hat, ein Bußgeld über 105 Euro zu zahlen, und sich stattdessen in Erzwingungshaft nehmen ließ.

Politikwissenschaftler wie Hajo Funke von der Freien Universität in Berlin sehen in der Bewegung ein hohes »Gefährdungspotenzial«. Denn neben der Staatsfeindlichkeit wird die Bewegung von verbindenden menschenfeindlichen Einstellungen ihrer Mitglieder getragen. Anders als in der NPD, die sich um Respektabilität und Wählergunst bemüht, kommen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus in den Pamphleten der Reichsbürger eindeutig und völlig unverklausuliert daher. Da wird etwa die »jüdische Hochfinanz« ins Visier genommen.

marionetten Auch einzelnen jüdischen Gemeinden wurde, ähnlich wie islamischen Gemeinden und Einrichtungen von Migranten, eine Hetzschrift zugeschickt, die deren »Ausweisung aus Deutschland« fordert. Darin heißt es unter anderem, man wolle »die durch die korrupten, kriminellen und dem deutschen Volk gegenüber verräterischen, jüdisch-freimaurerischen Politmarionetten der ›BRD‹ (…) gestartete Völkervernichtung durch Rassenvermischung stoppen und wieder rückgängig machen«. Daher werde man »alle Muslime (…) und alle Neger in ihre Heimatländer zurückschicken«.

In Brandenburg beschäftigt sich seit knapp zwei Jahren der Verfassungsschutz mit der »Reichsbürger«-Bewegung. Um deren nervenaufreibenden Attacken angemessen begegnen zu können, wurden bereits etliche Verwaltungsmitarbeiter im Umgang mit den Reichsbürgern geschult. In einigen Rathäusern kursieren daher Rundschreiben, wie mit ihnen zu verfahren sei. Darin heißt es: »Auf derartige Störmanöver wird künftig nicht mehr reagiert. Die Unterlagen sind an den Vorgesetzten weiterzuleiten und dort für eine eventuelle rechtliche Auseinandersetzung zu sammeln.« Auf den Behördenfluren in Brandenburg gelten die »Reichsbürger« hinter vorgehaltener Hand als »rechte Spinner«, die man allerdings im Auge behalten müsse. Der Prozess gegen »Reichsbürger« Daniel Sch. wird bald beginnen.

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025