Chanukka

Raus aus der Ruhezone

Chanukka im Unterricht: Hebräischstunde in der Jüdischen Gemeinde Münster Foto: ddp

In diesen Wochen gehen wir durch die Straßen und sehen überall Lichter: Lichterketten an Balkonen, leuchtende Sterne, beleuchtete Weihnachtsmänner, die Hausfassaden erklimmen, und manch einer hat sogar Lichterketten in Form eines Rentier-Schlittens im Vorgarten drapiert. Ganz zu schweigen von Einkaufszentren und Shoppingmalls oder gar Weihnachtsmärkten, wo der Lichterglanz manchmal fast schon blendet.

Wir gehen durch die dezemberdunklen Straßen und bleiben plötzlich stehen: An einem Fenster leuchten auch Kerzen, vier sind es schon, nebeneinander. Oder vielleicht auch sieben oder acht. Jemand hat eine Chanukkia ins Fenster gestellt. In solchen – seltenen – Momenten wird uns warm ums Herz. Ein Gefühl, als ob auch in uns ein Licht anginge, das Wärme verbreitet. Erst recht geht es mir so, wenn zu Chanukka die Familie zusammenkommt und wir gemeinsam unsere Chanukkaleuchter entzünden. Dann fühle ich mich zu Hause.

kampfgeist
Das Licht der Chanukkia erinnert uns an den Kampfgeist der Makkabäer. Sie gaben nicht auf, sie verloren ihre Hoffnung nicht – und eroberten so den entweihten Tempel zurück. Und die Chanukkia erinnert uns an das Wunder von damals: Nur einen einzigen unversehrten Ölkrug hatten die Syrer zurückgelassen. Das hätte für den Tempelleuchter gerade mal für einen Tag gereicht. Die Makkabäer entzündeten den Leuchter dennoch – und das Öl reichte acht Tage lang, bis neues Öl hergestellt war.

Die Legende enthält für mich eine entscheidende Botschaft: Die Makkabäer setzten sich nicht einfach hin und warteten auf ein Wunder, das schon irgendwie alles richten würde. Nein, sie handelten. Sie entzündeten den siebenarmigen Leuchter. Wer in schwierigen Situationen einfach darauf vertraut, dass ein Wunder geschieht, hat von vorneherein verloren. Lösungen fallen uns meistens nicht einfach in den Schoß. Der bequeme Weg, der oft auch etwas Resignatives in sich hat, führt in der Regel nicht zum Ziel.

Im September haben wir, die jüdische Gemeinschaft, das eindrucksvoll demonstriert: Wir waren im Sommer schockiert von den antiisraelischen Protestmärschen durch die deutschen Innenstädte und von den judenfeindlichen Parolen, die dort – ungestraft – gerufen wurden. Nie hätten wir gedacht, dass wir uns so etwas noch einmal anhören müssten. Noch nie mussten wie beobachten, dass Israel in so großen Teilen der Bevölkerung Deutschlands infrage gestellt wurde.

wunder Doch wir haben nicht resigniert. Wir haben dem Treiben nicht einfach schweigend zugesehen und gehofft, dass ein Wunder schon irgendwie die Dinge wieder ins Lot bringen würde. Wir sind aufgestanden! Obwohl der Zentralrat der Juden sehr kurzfristig zur Kundgebung in Berlin aufgerufen hatte, haben unsere Gemeinden alle Kräfte mobilisiert, um ihre Mitglieder nach Berlin zu bringen. Sie kamen aus allen Ecken der Republik, um das Zeichen zu setzen: »Steh auf! Nie wieder Judenhass!« Erst als wir so mobilisiert hatten, ist auch die Politik wirklich aufgewacht. Und schließlich waren die Spitzen der Politik und Gesellschaft alle am Brandenburger Tor versammelt.

Für mich war das ein Zeichen der Hoffnung. An solche Momente muss ich in diesem Jahr an Chanukka denken. Es geht darum, Licht in diese Welt zu bringen. Kleine Wunder zu vollbringen.

Ein Tag voller kleiner Wunder ist für mich auch der Mitzvah Day, den der Zentralrat der Juden jetzt zum zweiten Mal bundesweit ausgerichtet hat. An diesem Tag bringen Hunderte unserer Gemeindemitglieder Licht zu anderen Menschen: zu Flüchtlingen, deren Unterkünfte sie verschönern. Zu alten Menschen, denen sie Freude bringen. Zu behinderten Menschen, mit denen sie einen Ausflug machen. Zu Polizisten, die Tag und Nacht vor unseren Einrichtungen Wache schieben, denen sie kleine Geschenke überreichen.

licht Um kleine Wunder geht es auch bei der Jewrovision im kommenden Februar in Köln. »Make a difference« lautet das Motto. Wir könnten es auch übersetzen mit: Bringe Licht in diese Welt! Leiste deinen kleinen Beitrag, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Tikkun Olam! Und wenn uns die Show-Acts der Jugendlichen dann verzaubern, ist das nicht wirklich ein Wunder? Bewundernswert ist es auf jeden Fall. Auch ein solcher Show-Act entsteht nicht von selbst. Er erfordert viel Fleiß, viele Ideen, viel Kraft, um auch die Rückschläge zu überwinden.

Was für die Jugendlichen bei der Jewrovision gilt, sollte für uns alle der Maßstab sein: Wir müssen heraus aus der Komfortzone, wir müssen mutig sein, um unsere Ziele zu erreichen. Manchmal tun wir dann Dinge, die der Vernunft scheinbar widersprechen. Wir gehen einen neuen Weg – weil wir nämlich an Wunder glauben. Wer nicht an Wunder glaubt, wird sie auch nicht erleben.

In diesem Sinne wünsche ich der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und weltweit ein fröhliches Lichterfest! Happy Chanukka, Chag Chanukka Sameach!

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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