integration

»Rassistisch«

Alltag ohne Kopftuch Foto: dpa

integration

»Rassistisch«

Ein Gutachten über Thilo Sarrazins umstrittenes Interview

von Martin Krauss  14.01.2010 00:00 Uhr

Das Urteil, das der Politologe Gideon Botsch über Aussagen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin fällt, ist eindeutig: »rassistisch«. Botsch, der am Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam arbeitet, hat im Auftrag von zwei Berliner SPD-Kreisverbänden ein Gutachten erstellt. Er untersuchte mit den Methoden der modernen Rassismusforschung das umstrittene Interview, das Sarrazin im vergangenen Jahr der Zeitschrift Lettre International gegeben hatte.»

Ich muss niemanden anerkennen«, hatte Sarrazin gesagt, »der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue Kopftuchmädchen produziert«. Ein Sturm der Empörung war über Sarrazin hereingebrochen, die Bundesbank, wo er mittlerweile im Vorstand sitzt, degradierte ihn, aber die Berliner SPD kam in einem Urteil der Kreisschiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf zu dem Schluss, er habe nicht parteischädigend und nicht ehrlos gehandelt.

Die SPD-Verbände Alt-Pankow und Spandau sehen das anders. Sie baten den Wissenschaftler Gideon Botsch, der über Antisemitismus und Rechtsextremismus forscht, das Interview genau zu analysieren. Auf 21 Seiten kommt Botsch zu vernichtenden Schlüssen. Rassismus attestiert er dem Sozialdemokraten, weil er »Besonderheiten einer sozialen Gruppe aus Abstammung und Vererbung ableitet«, sagt Botsch der Jüdischen Allgemeinen. Nicht nur sich gegen türkische und arabische Migranten richtenden Rassismus findet Botsch. Auch von Antisemitismus sei Sarrazins Interview nicht frei. »Hier werden antisemitische Stereotype wie das vom ‹gerissenen Juden’ nur ins Positive gewendet«, sagt Botsch zu Sarrazins Behauptung, Juden hätten »einen um 15 Prozent höheren IQ«.

Mit Islamkritik habe Sarrazins Interview nichts zu tun. »Begriffe wie Islam und Moschee tauchen nicht auf«, sagt Botsch. »Die in der Tat spannende Frage, welche Rolle der Islam für das Gelingen der Integration spielt, wird in dem Interview gar nicht diskutiert.«

Die Spandauer und Pankower Genossen wollen Sarrazin nun aus der Partei werfen. »Uns geht es darum«, erklärt Daniel Buchholz von der SPD Spandau, »dass er einigen Menschen schon fast die Menschenwürde abspricht«. Sarrazin selbst will sein Mitgliedsbuch behalten. Und in der Sache bleibt er bei seinen Ansichten: »Wenn ich sage, dass Araber keine blauen Augen haben, ist das eine Tatsache und nicht rassistisch.«

Essay

Ausweg Palästina

Große Teile der Linken sind mit der Komplexität der Gegenwart überfordert. Orientierung suchen sie ausgerechnet im Hass auf den jüdischen Staat. Mit progressiver Politik hat das wenig zu tun

von Jessica Ramczik, Monty Ott  13.09.2025

Sachsenhausen

120 Minuten Holocaust

Angesichts des grassierenden Antisemitismus sollen Schüler zum Besuch einer NS-Gedenkstätte verpflichtet werden. Doch was kann eine Führung vor Ort tatsächlich bewirken?

von Mascha Malburg  13.09.2025

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Kommentar

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat: Ausladung Shanis ist »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025