Interview

QAnon und die vermeintliche Verschwörung von Juden

Unter den Aufrührern, die am Mittwoch das US-Kapitol in Washington gestürmt haben, während die Abgeordneten das Wahlergebnis der US-Präsidentschaftswahl verifizierten, waren auch Anhänger der QAnon-Bewegung – einer weltweiten Verschwörungsbewegung, die auch Verbindungen in die deutsche »Querdenker«-Szene hat. Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte und Experte für Verschwörungsmythen, Michael Blume, sieht darin auch eine Gefahr zur Radikalisierung in Deutschland.

Herr Blume, gibt es einen Zusammenhang zwischen der antisemitischen QAnon-Bewegung und der gewaltsamen Erstürmung des US-Kapitols am Mittwochabend?
Ich sehe eine enge Verbindung. QAnon ist eine internationale Verschwörungsbewegung. Sie richtet sich gegen eine vermeintliche Weltverschwörung von Juden und Demokratinnen wie Hillary Clinton und Angela Merkel. Diese Bewegung ist sehr groß. Bei der Erstürmung des US-Kapitols waren mehrere Menschen zu sehen, die Symbole von QAnon getragen haben. Der sogenannte QShamane, der mit Hörnern und einer Kriegsbemalung auftritt, hat es sogar bis in den Sitzungssaal geschafft. Hier sieht man auch, dass die Religions- und Politikwissenschaft gefragt ist.

Wer ist die Figur dieses »Schamanen«?
Es handelt sich um einen Schauspieler, der unter dem Namen Jake Angeli immer wieder bei QAnon auftritt und ganz gezielt das Motiv des unerschrockenen Kämpfers des Guten gegen die Weltverschwörung aufgreift. Das zeigt sehr gut, dass es falsch ist, dabei von Verschwörungstheorien zu sprechen. Wir haben es nicht mit Menschen zu tun, die ein lustiges Hobby haben, sondern mit Menschen, die an eine Weltverschwörung glauben.

Sie sagen, Religions- und Politikwissenschaftler sind gefragt. Warum?
Wir gehen davon aus, dass eigentlich alle Menschen vernünftig sind und dass wir alle auf der gleichen Ebene von Wahrheit miteinander agieren. Durch die sozialen Medien verstärkt, melden sich jedoch Menschen aus dieser gemeinsamen Realität ab und ziehen sich in eine parallele Realität zurück. Diese Menschen sagen etwa, das Coronavirus sei eine Erfindung, Juden und Frauen kontrollierten die Weltregierungen, Schwarze seien eine Bedrohung. Es handelt sich oft um ältere weiße Männer, teilweise auch Frauen, mit einem Hang zur Esoterik, die davon überzeugt sind, dass die Veränderungen unserer Gesellschaft keine normalen demokratischen Prozesse sind, sondern Ergebnisse einer Weltverschwörung. Deswegen fällt es diesen Menschen auch schwer, den Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris anzuerkennen.

Gab es die enge Verbindung von Trump-Anhängern und QAnon schon vorher?
Das gab es vorher schon. Wir hatten auch bei der deutschen führenden Verschwörungsbewegung, den »Querdenkern«, immer wieder Bezüge zu QAnon. Michael Ballweg, der »Querdenken«-Gründer, hat sogar in Berlin bei einer Demonstration den QAnon-Slogan »Where we go one, we go all« skandiert. Am Mittwoch hat die »Querdenken«-Gruppe in Leipzig zum Sturm auf das US-Konsulat aufgerufen. Beide Bewegungen sind ineinander verflochten. Der Sturm auf das Kapitol war für die QAnon-Anhänger mit der Hoffnung verbunden, dass jetzt doch noch die Weltverschwörung zerschlagen wird. Das hat mit klassischer politischer und demokratischer Vernunft nichts mehr zu tun. Die Menschen glauben wirklich, sie sind in einem Endkampf zwischen Gut und Böse.

Wie gefährlich ist der Angriff auf das Kapitol für andere westliche Demokratien?
Im Grundsatz haben alle Demokratien gerade weltweit mit Verschwörungsmythen zu kämpfen. Wir haben auf der einen Seite globale Phänomene, die durch die sozialen Medien weiter verbreitet werden, auf der anderen Seite wird das heruntergebrochen auf das jeweilige lokale Geschehen. Umso länger Menschen in Verschwörungsbewegungen dabei sind, desto mehr radikalisieren sie sich. Sie verlieren den Zugang zur Realität. Ich sehe aber für die deutsche Demokratie keine Gefahr, die Bundesrepublik ist stabil. Aber ich sehe die Gefahr, dass sich Einzelne bis zur Gewaltbereitschaft radikalisieren. Leider müssen wir daher mit Gewalttaten auch in Deutschland rechnen.

Gibt es ein größeres Risiko, wenn sich Politiker aus dem Parteienspektrum des Bundestags, etwa der AfD, mit den Zielen der Verschwörungstheoretiker gemein machen?
Ja, ich warne davor. Keine Partei sollte sich mit Verschwörungsbewegungen verbinden. Wir sehen das auch in den USA. Wenn sich eine Verschwörungsbewegung immer weiter radikalisiert, dann wendet sie sich am Ende auch gegen ihre eigenen Verbündeten, etwa gegen die Republikaner. Am Mittwoch wurde zum Beispiel gefordert, Vize-Präsident Mike Pence zu hängen, der Donald Trump jahrelang treu gedient hat und zum christlich-evangelikalen Flügel der US-Politik gehört. Ich kann nur an alle Parteien appellieren, sich nicht auf Bündnisse mit Verschwörungsbewegungen einzulassen. Ich kenne kein Beispiel in der Geschichte, wo das gut ausgegangen wäre.

Was können Bürgerinnen und Bürger tun, um Verschwörungsbewegungen entgegenzutreten?
Das Allerwichtigste ist es, sich selbst kundig zu machen. Dann ist man geschützt. Es geht nicht um Verschwörungstheorien, sondern um Verschwörungsmythen – um die Frage, wie nehme ich die Welt und meine Mitmenschen wahr. Es geht um Gefühle, um Ängste, um Hoffnungen. Wer das verstanden hat, kann auch andere schützen. Wer auf andere losgeht und sie als »Covidioten« beschimpft oder mit wissenschaftliche Studien bombardiert, wird keinen Effekt haben. Es geht eher um Seelsorge, um die emotionale Seite des Menschen. Wir sind nicht so rational, wie wir gerne tun.

Das Gespräch mit Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragten führte Franziska Hein.

USA

Wer Jude ist, bestimmt nun er

Donald Trump wird immer mehr wie der berühmt-berüchtigte Wiener Bürgermeister Karl Lueger

von Michael Thaidigsmann  19.03.2025 Aktualisiert

Wirtschaft

Google zahlt 32 Milliarden Dollar für israelische Sicherheitsfirma Wiz

Ein erster Versuch scheiterte, damals standen 23 Milliarden Dollar im Raum. Nun schluckt der Internet-Konzern eine Cybersicherheitsfirma - und nimmt dafür viel Geld in die Hand

 19.03.2025

Weimar

Zwischen Halbmond und Hakenkreuz - Wie Muslime der Waffen-SS nach Buchenwald kamen

Ende 1944 erreichen das Konzentrationslager Buchenwald wenigstens zwei Transporte mit muslimischen Gefangenen. Die mehr als 100 Bosnier sind Angehörige der Waffen-SS und in ihrer Heimat desertiert. Bislang ist wenig über ihr Schicksal bekannt

von Matthias Thüsing  19.03.2025

Interview

»Ich stehe zur Verfügung«

Felix Klein über seine künftigen Vorhaben, Erfolge und Misserfolge im Kampf gegen Judenhass sowie die umstrittene Antisemitismus-Konferenz in Jerusalem

von Nils Kottmann  18.03.2025

Meinung

Jürgen Trittin verharmlost den NS-Terror

Der Ex-Bundesumweltminister stellt Donald Trump auf eine Stufe mit den Nazis. Das ist völlig daneben

von Michael Thaidigsmann  18.03.2025

New York

Annalena Baerbock soll Präsidentin der UN-Generalversammlung werden

Nach der Bundestagswahl hatte Außenministerin Annalena Baerbock erklärt, sie wolle einen Gang zurückschalten. Nun ist klar: Die Grünen-Politikerin will auf einen Posten nach New York wechseln

 18.03.2025

USA

US-Regierung verteidigt Festnahme von Hamas-Unterstützer

Amerikanischen Medien zufolge sitzt der israelfeindliche Aktivist Machmud Chalil weiterhin ohne offizielle Anklage in Haft

 18.03.2025

Washington D.C./Paris

Trump-Sprecherin: Freiheitsstatue bleibt in den USA

Der französische Politiker Raphaël Glucksmann hatte die USA mehr oder weniger ernsthaft aufgefordert, die Freiheitsstatue zurückgeben

 18.03.2025

Jerusalem

Wegen Operation »Kraft und Schwert«: Ben-Gvir wird wieder Teil der Regierung

Auch die anderen Minister der Partei Otzma Yehudit nehmen ihre Arbeit in der Koalition wieder auf

 18.03.2025