Den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments bekam die »United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees« zwar nicht – die Fraktionen von Sozialdemokraten und Linkspartei hatten das umstrittene Palästinenser-Hilfswerk der Vereinten Nationen nominiert.
Aber die Organisation hatte am Mittwoch trotzdem allen Grund zu jubeln. Denn der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag stellte in einem (nicht bindenden) Rechtsgutachten fest, dass keine Zweifel daran bestünden, dass die UNRWA unparteiisch agiere. Zumindest, was die humanitäre Arbeit in Gaza anbelangt.
Das Hilfswerk sei in den letzten Jahrzehnten »Dreh- und Angelpunkt der Hilfs- und Entwicklungsprogramme der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im besetzten palästinensischen Gebiet und in benachbarten Staaten« gewesen, befanden die Richter. Israel müsse deshalb mit ihm zusammenarbeiten – insbesondere, was die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen angehe. Den Beschluss der Knesset vom Oktober 2024, mit dem Israels Zusammenarbeit mit der UNRWA offiziell beendet wurde, wollten sie nicht anerkennen.
»UNRWA agiert unparteiisch«
Denn nicht nur die UNRWA selbst sieht sich kurz- und mittelfristig als unverzichtbar an. Auch der Internationale Gerichtshof sieht das so. Dass die Organisation als Ganzes diskreditiert sei, weil mehr als ein Zehntel ihrer Mitarbeiter – die UNRWA-Belegschaft besteht überwiegend aus palästinensischen Ortskräften – Mitglieder von Hamas seien und einige am 7. Oktober 2023 am Terror gegen Israelis beteiligt waren, ließ der IGH nicht gelten. Ein israelischer Bericht hatte bereits vor einiger Zeit festgestellt, dass im Gazastreifen mindestens 1462 der dortigen UNRWA-Mitarbeiter Mitglieder der Hamas oder anderer terroristischer Gruppierungen seien. Schon zuvor hatte Israel der UNRWA mit Konsequenzen gedroht, sollte sie nichts gegen die Unterwanderung unternehmen.
Der Gerichtshof referierte in seiner »Advisory Opinion« zwar die von Israel vorgebrachten Indizien für die Verstrickung der UNRWA in den Terror der Hamas. »Aus den Akten«, folgerten die IGH-Richter aber, gehe nicht hervor, »dass die UNRWA bei der Verteilung humanitärer Hilfe und der Erbringung von Dienstleistungen im besetzten palästinensischen Gebiet Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, der Rasse, der religiösen Überzeugung, der sozialen Herkunft oder der politischen Meinung vorgenommen hat.« Es gebe »keine Anhaltspunkte dafür, dass die UNRWA bei der Verteilung humanitärer Hilfe im Gazastreifen oder anderswo eine nachteilige Unterscheidung getroffen hat.«
Zudem kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die ihm »vorliegenden Informationen nicht ausreichen, um die mangelnde Neutralität der UNRWA im Hinblick auf die Beurteilung ihrer Unparteilichkeit als Organisation« festzustellen. Die Vereinten Nationen hätten die Vorwürfe Israels ernstgenommen - und sie hätten umgehend darauf reagiert, wie sowohl eine interne Untersuchung als auch der Prüfbericht der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna vom Februar 2024 belege. Der Colonna-Bericht, so der IGH, enthalte keine Feststellungen, die die Unparteilichkeit der UNRWA in Frage ziehen würden.
Der IGH stützt sich auf Angaben der Vereinten Nationen
Israel habe auch »nicht begründet«, dass tatsächlich 12 Prozent aller UNRWA-Mitarbeiter in Gaza Hamas-Mitglieder seien. Und schließlich, so der IGH, habe »die UN« ja glaubhaft versichert, dass die UNRWA die von Colonna vorgeschlagenen Reformen umsetze.
Für Hillel Neuer von der Genfer NGO UN Watch wirkt diese Begründung geradezu lächerlich. »Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen hat also ganz unparteiisch entschieden, dass die UNRWA der Vereinten Nationen reformiert wird, weil die Vereinten Nationen das so beschlossen haben«, spottete Neuer auf X.
Echte Zweifel an der UNRWA äußert das IGH-Gutachten an keiner Stelle. Die UN-Vollversammlung hatte es vor einem Jahr in Auftrag gegeben, um höchstrichterlich prüfen zu lassen, ob Israel seine Pflichten gegenüber den Palästinensern in den seit 1967 besetzen Gebieten einhält.
USA: »korrupte Entscheidung«
Israel tut es nicht, befanden nun die Richter. Denn Israel sei auch in Gaza immer noch »Besatzungsmacht«. Auch der vollständige Abzug im Jahr 2005 habe daran nichts geändert. Deshalb müsse Jerusalem dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerung in Gaza angemessen versorgt werden könne, befanden die Richter. Das sei nicht oder nur unzureichend passiert.
Mehrfach habe Israel die Einfuhr von Hilfsgütern stark eingeschränkt und von März bis Mai diesen Jahres sogar vollständig blockiert. Das wiederum habe zu »katastrophalen« Zuständen und »Anzeichen einer Hungersnot« in der Palästinenserenklave geführt, führt der IGH aus. Auch das von Israel präferierte private Verteilungssystem über die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) sei kein adäquater Ersatz für die UNRWA und die übrigen UN-Organisationen gewesen.
Zum Beweis für seine Thesen stützt sich der Gerichtshof überwiegend auf verschiedene andere Organisationen der Vereinten Nationen. Diese würden belegen, dass es »derzeit keine realistische Alternative zur UNRWA, die die von palästinensischen Flüchtlingen benötigten Dienstleistungen und Hilfe angemessen bereitstellen könnte« gebe, und das habe auch UN-Generalsekretär António Guterres klargestellt. Man sei daher der Ansicht, so die Richter, dass Israel verpflichtet sei, »den Hilfsmaßnahmen der Vereinten Nationen und ihrer Einrichtungen, einschließlich der UNRWA, zuzustimmen und zu erleichtern.«
Während Kritiker Israels und die UNRWA über den Spruch aus Den Haag jubelten, sprach das State Department in Washington von einer »neuerlichen korrupten Entscheidung des IGH« und einem »Missbrauch der Ermessensfreiheit bei Gutachten«.
In einer Stellungnahme erklärte das Ministerium: »Während Präsident Trump und Außenminister Rubio unermüdlich daran arbeiten, Frieden in die Region zu bringen, gibt dieses sogenannte ›Gericht‹ eine offen politisierte, nicht bindende ›Stellungnahme‹ ab, in der Israel unfairerweise angegriffen wird, während die UNRWA für ihre tiefe Verstrickung in den Terrorismus der Hamas und ihre materielle Unterstützung dafür einen Freifahrtschein erhält.«

Auch das israelische Außenministerium stellte umgehend klar, man lehne die Schlussfolgerungen des IGH-Gutachtens »kategorisch ab« und werde auch künftig nicht mit der UNRWA zusammenarbeiten. Denn die sei eine Organisation, die »von terroristischen Aktivitäten durchsetzt« sei.
Abweichende Meinung von IGH-Vizepräsidentin
Auch am Haager Gerichtshof gab es unter den 15 Richtern eine Gegenstimme. Vizepräsidentin Julia Sebutinde vertrat die Auffassung, dass das Gericht die Unterwanderung der UNRWA durch die Hamas nicht »ausreichend berücksichtigt« habe. Die ugandische Juristin, die sich bereits bei vergangenen IGH-Entscheidungen der israelischen Position angeschlossen hatte, schrieb in ihrer abweichenden Meinung, es gebe keine Verpflichtung für Staaten, UN-Organisationen zu unterstützen, die gegen die Grundsätze der UN-Charta verstießen. Israel sei deshalb nicht verpflichtet, mit der UNRWA zusammenzuarbeiten.
»Entscheidend ist, dass Israel seinen humanitären Verpflichtungen in einer Weise nachkommen muss, die seine legitimen Sicherheitsinteressen nicht unangemessen beeinträchtigt«, so Sebutinde. Die Gerichtsmehrheit habe den von Israel vorgebrachten Bedenken nicht genügend Gewicht beigemessen. Und sie habe außerdem die Aufrichtigkeit Israels bei der Geltendmachung der Bedenken angezweifelt.