Terror gegen Israel

»Ohne Wenn und Aber«

Ron Prosor, der Botschafter Israels in der Bundesrepublik Foto: Marco Limberg

Herr Botschafter, Sie sind offensichtlich im Dauereinsatz. Gespräche – vermutlich auch mit deutschen Regierungsvertretern – wechseln sich bei Ihnen bestimmt ab mit Telefonaten mit Jerusalem, Interviews. Und Sie waren am Sonntag bei der Solidaritätsdemo am Brandenburger Tor. Es geht immer weiter. Wie geht es Ihnen gerade?
Den Umständen entsprechend. Erst mal muss ich sagen, dass wir uns im Krieg befinden. Das heißt: Wir arbeiten Tag und Nacht. Obwohl es schwierig ist, denke ich immer wieder daran, dass es für die Soldaten viel schwieriger ist, für Polizisten und andere, die in Israel am Kampf gegen den Terror beteiligt sind.

An Schabbat kam die schreckliche Nachricht über den Terrorangriff. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie es erfuhren? Wie überraschend war ein Angriff in diesem Umfang?
Erstmal war er sehr überraschend. Ich habe es um 6:30 Uhr gehört, am Telefon. Und dann von meinen militärischen Kontakten, dem Außenministerium und dem Büro des Premierministers. Ich muss zugeben: Es war am Anfang schwer zu verstehen, dass wir uns plötzlich im Krieg befanden. Und es erinnert mich an meine Zeiten in Washington, am 11. September 2001. Blauer Himmel, schöner Tag und plötzlich machte es Bumm! Ich glaube, dass am Samstag viele überrascht waren. Dann, wenn man es begriffen hat, denkt man natürlich sofort über seine Familie, seine Liebsten und ihr Wohlergehen nach.

Samstag, der 7. Oktober wird für immer ein schwarzer Tag für Israel sein. Es handelt sich um den tödlichsten Tag für den jüdischen Staat.

Die Bilder, auf denen junge Israelis abgeschlachtet werden, in die Wälder fliehen, in ihrem eigenen Haus verbrannt werden, von Müttern, die ihre Kinder halten und von diesen Barbaren erschossen wurden, bringen uns zurück zu dem, was wir auf europäischem Boden gesehen haben.

Ereignisse wie Babyn Jar.

Ja, oder ähnliche Gräueltaten. Frauen wurden vor ihren eigenen Kindern vergewaltigt. Hinrichtungen erfolgten. Das sind Barbaren. Bestien.

Hat Israel vor dem Angriff zu sehr darauf vertraut, dass Terrororganisationen nur kleinere Angriffe starten, mit ein paar Raketen, da sie wissen, dass die IDF sie sonst zerschlägt?
Niemand in Israel hat darauf vertraut. Aber ich glaube, dass diese Art und Weise zu denken in Europa verbreitet war, wo über Wandel durch Handel gesprochen wurde. Die Idee war: Wenn es den Palästinensern wirtschaftlich besser geht, wird alles besser. Erst am Freitag, also einen Tag vor dem Angriff, haben wir 18.500 Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser erteilt, damit sie aus Gaza herauskommen.

Ich war Botschafter bei den Vereinten Nationen, wo wir ständig mit Dämonisierung und Delegitimierung konfrontiert waren. Unsere Sicherheitsmaßnahmen wurden scharf kritisiert, auch an den Grenzübergängen zu Gaza. Wissen Sie, was die Hamas-Terroristen jetzt getan haben? Sie haben die einzigen beiden Grenzübergänge in die Luft gesprengt, die einzigen Punkte, über die Nahrungsmittel, Medikamente und Wasser nach Gaza gelangten. Das heißt: Der Führung der Hamas ist das Wohlergehen ihrer Bevölkerung völlig egal. Auch dies ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Warum ist die Hamas das mit ihrer Terrorattacke verbundene, große Risiko eingegangen? Warum spielt der Terror jetzt mit dem Feuer? Was glauben Sie?
Ja, das sind immer so die Fragen, die wir in demokratischen Staaten nicht wirklich beantworten können. Also dies erscheint uns als unlogisch. Die Terroristen wissen, was folgt – und machen es trotzdem.

Der Westen verharmlost ihre Ideologie. Die Ideologie der Hamas ist klar: Sie sagen es, sie wiederholen es, aber wir wollen es nicht hören. »Wir wollen Israel und die Juden vernichten«, sagen sie. »Wir wollen Israelis ins Meer werfen.« Sie sagen: »Jeden Juden oder jede Jüdin, der oder die sich hinter einem Baum versteckt, werden wir ermorden.« Und viele dachten, sie meinen es nicht ernst. Es reicht. Kein Verständnis mehr. Die Infrastruktur des Terrors muss beseitigt werden, ohne Wenn und Aber.

Hunderte Familien haben Angehörige verloren. Das Leid kann man nicht in Worte fassen. Was kann eine Regierung beitragen, um Leid zu lindern und den Menschen zumindest ein kleines Stück ihrer Verzweiflung zu nehmen? Gibt es da etwas?
Als Botschafter und als Mensch bin ich sehr betroffen, wenn ich das Leid sehe. Was jetzt in Israel stattgefunden hat, darf sich nie wiederholen. Ich bin traurig. Außerdem bin ich wütend. Sehr wütend. Dass sowas passieren konnte im jüdischen Staat. Wir müssen die Gefahr jetzt beseitigen. Wir können es uns nicht leisten, dass es in zwei Jahren wieder losgeht. Wir hören immer: »Die Hamas hat es nun verstanden.« Nein, das haben sie nicht.

Nach unseren Reaktionen nehmen sich die Terroristen die Zeit, ihre Waffenlager wieder aufzustocken und sorgen dafür, dass sie mehr Raketen bekommen, bevor sie dann wieder angreifen. Ich bin wütend. Auch auf andere in der Welt, die nicht verstehen, womit wir es hier zu tun haben. Außerdem kommt immer dieser erhobene Zeigefinger gegenüber Israel.

Ich bin aber auch sehr stolz darauf, dass wir uns als jüdischer Staat jetzt selbst verteidigen können. Wir haben eine Armee und wir werden die Hamas besiegen. Wir werden sie beseitigen. Hinzu kommt: Wir stehen zusammen, denn die Hamas macht keinen Unterschied zwischen orthodoxen und säkularen Juden, zwischen linksorientierten, rechtsorientierten oder konservativen Juden oder Reformjuden. Wenn wir jetzt zusammenstehen, sind wir unbesiegbar.

Israel war ja sehr mit sich selber beschäftigt, bis Samstag. Die Justizreform sorgte für Demonstrationen gegen die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu, die auch international kritisiert wurde. Auch gab es einen wachsenden Konflikt zwischen ultraorthodoxen und eher säkularen Juden. Und jetzt, seit dem Angriff, kommt Israel zusammen. Jetzt kommen die Reservisten zurück, die vorher gesagt haben: »Wir arbeiten nicht mehr für euch«, weil sie protestieren wollten. Wie stabil ist diese neue Einheit Israels?
Wenn es von außen eine Bedrohung gibt, wenn Juden auf der Straße regelrecht abgeschlachtet werden, dann versteht jeder Israeli, was los ist. Dann versteht jeder, dass wir einen Feind haben und dass wir zusammenhalten müssen, um als Staat Israel unabhängig zu bleiben, um in dieser Region zu überleben. Also kommen wir jetzt zusammen.

Die ARD hat Ihnen am Samstag viermal hintereinander dieselbe Frage gestellt. Wir stellen sie nur einmal: Wie kann es sein, dass Israels Geheimdienste nichts von dem großangelegten Terrorangriff wussten, bevor er begann?
Wie ich bereits im Fernsehen gesagt habe: Dies nicht nur eine gute Frage, sondern eine hervorragende Frage, die wichtig ist. Aber wir werden uns damit am Ende des Krieges beschäftigen und sehen, was wir tun müssen, damit es in Zukunft nicht wieder passiert.

Israel hat angekündigt, dafür sorgen zu wollen, dass die Hamas nicht mehr angreifen kann. Bedeutet dies eine gewaltsame Entmachtung der Terrorgruppe in Gaza? Wie schwierig wird dies?
Wie Sie sehen, bin ich kein Soldat und kein General, sondern Botschafter. Ich glaube, wir Israelis verstehen, dass wir einen Preis bezahlen werden mit unseren Soldaten. Unsere Offiziere müssen diese Infrastruktur des Terrors wirklich beseitigen. Auf welche Art und Weise wir dies tun, das überlasse ich den Militärs.

Was ich sagen kann: Wir haben keine Wahl. Auch weil die gesamte Nachbarschaft zuguckt, muss klargestellt und demonstriert werden, dass diejenigen, die Krieg mit Israel anfangen, einen sehr hohen Preis dafür bezahlen werden.

Wenn wir von Verantwortung sprechen, wird immer wieder Teheran erwähnt, da das dortige Regime die Hamas und die Hisbollah finanziert. Wird der Iran für den Terrorangriff bezahlen müssen? In welcher Form?
Es ist eine Tatsache, dass der Iran, die Mullahs, den Terror finanzieren. Hinzu kommt: Sie schicken Waffen, sie schicken Raketen, sie schicken Drohnen. Sie schicken sie an die Huthis im Jemen, an die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon. Wir wissen, dass Iran dahintersteckt. Aber die Hamas-Führung hat die Verantwortung, niemand anders.

Ein weiteres Problem ist das Atomprogramm.
Ja, das Atomprogramm. Der Iran versucht zudem, die ganze Nachbarschaft zu verändern. Aber wir müssen uns jetzt auf die Hamas konzentrieren. Wir werden gewinnen. Denn wir haben keine andere Wahl.

Wie will Israel die vielen Geiseln befreien, die die Hamas-Terroristen genommen haben? Die Situation ist in diesem Zusammenhang nicht nur tragisch, sondern auch kompliziert.
In der Tat ist es kompliziert. Sie halten Familien, Kinder, Großmütter als Geiseln. Jeder Israeli, der Generalstabschef, der Premierminister will sie schützen. Wir denken Tag und Nacht darüber nach. Aber wir müssen auch klarstellen: Es geht jetzt darum, die Hamas-Führung und die Infrastruktur des Terrors zu beseitigen. Das ist unsere erste Priorität. Es ist klar, dass wir alles tun werden, um unschuldige Menschen nicht zu treffen. Aber ich weiß, dass auch Unschuldige ihr Leben verlieren werden – aufgrund des Ausmaßes, in dem wir jetzt zurückschlagen werden. Und auch, weil die Hamas die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde missbraucht. Für alle Opfer ist die Hamas verantwortlich.

Die Operation Eiserne Schwerter hat am Samstag begonnen. Zuerst ging es um die Bekämpfung der Terroristen, die Israel infiltriert haben. Dann begannen Luftangriffe gegen die Terror-Infrastruktur. Was erwarten Sie nun? In welchen Phasen wird Israel gegen den Terror vorgehen? Und wie lang wird es dauern?
Es wird lange dauern. Wir sind im Krieg. Dies ist keine Militäroperation, wie wir sie in der jüngsten Vergangenheit gesehen haben, denn so würde der Terror in zwei Jahren zurückkommen. Nein, wir befinden uns jetzt im Kriegszustand. Das heißt: Die Infrastruktur der Hamas wird beseitigt, vernichtet. Jetzt gerade sind wir in der Phase, in der wir israelische Städte, Kibbuzim und Dörfer befreit haben. Wir konzentrieren uns auf die Aufgabe.

Organisationen wie Amnesty International, die regelmäßig Verschwörungstheorien über Israel verbreiten und dem Terror damit helfen, sagen nun plötzlich, »beide Seiten« sollten sich zurückhalten, Zivilisten schützen und die »Kampfhandlungen« sofort einstellen. Was ist davon zu halten?
Bei offenem Mikrofon darf ich nicht sagen, was ich davon halte. Es gibt keine »Spirale der Gewalt«, es gibt keine »beiden Seiten«. Hamas ist eine Terrororganisation, die Israel den Krieg erklärt hat. Und wir werden die Sache diesmal ohne Wenn und Aber beenden. Die Terroristen sind Bestien, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind.

Bei der Kundgebung am Brandenburger Tor am Sonntag haben Sie gesagt, die Angreifer seien keine Kämpfer oder Militanten. »Das sind Terroristen. Punkt.« Das war indirekte Kritik an einigen Medien in Deutschland, die auch wieder das Wort »Gewaltspirale« verwenden. Was ist da los? Wird hier etwas nicht verstanden? Oder ist dies Absicht?
Ich glaube, dass es absichtlich so formuliert wird. Und wir müssen das Problem gegenüber jenen ansprechen, die die Situation und den Terror mit diesen Begriffen oder Formulierungen verharmlosen. Unlängst gab es die Schlagzeile »Auto fährt in Menschenmenge«. Das war kein selbstfahrendes Auto, sondern ein Terrorist, der Juden, der Israelis ermordet hat. Auch war in Publikationen von »Schießereien« die Rede. Wenn Menschen einfach erschossen werden, weil sie Israelis oder Juden sind, dann kann nicht von Schießereien die Rede sein. Dies sind gezielte Morde.

Was sollte Deutschland nun tun? Im Gespräch ist unter anderem ein Verbot von Samidoun, einer angeblich harmlosen NGO, die aber zur PFLP gehört. Was meinen Sie dazu?
Ich habe die Sache mit Samidoun angesprochen. Dies ist eine Organisation, die mitten in Berlin nicht nur antisemitische und antiisraelische Parolen ruft, sondern sie sammelt auch Geld – angeblich für Waisenhäuser und soziale Projekte. Das Geld geht aber direkt zur Hamas. Es muss mit Gesetzen dafür gesorgt werden, dass dies Konsequenzen hat. Das heißt: All diejenigen, die zu Gewalt aufrufen und Hass gegen Israel und Juden verbreiten, müssen bestraft werden.

Samidoun ist das Trojanische Pferd. Die Gruppe missbraucht die Demokratie. Sie laufen hier frei in Berlin umher und werden so zum Vorbild für andere, die denken sie könnten genau dasselbe tun und Jugendliche entsprechend beeinflussen. Dagegen muss vorgegangen werden – und zwar nicht nur mit Worten.

Hinzu kommt: Es müssen Probleme angesprochen werden, die man wegen Politischer Correctness nicht sagt. Der Judenhass von zu Hause wird in die Schulen getragen. Diese Aufhetzung, die dann zu Gewalt führt, ist eine Katastrophe.

Sie haben bereits gewarnt, es bestehe nun auch Gefahr für jüdische Organisationen in Deutschland. Wie sieht diese aus und was muss passieren, damit Juden in Deutschland möglichst sicher sind?
Die Bundesregierung tut wirklich alles. Aber die Tatsache, dass jüdische Schulen, Synagogen, jüdische Institutionen überhaupt beschützt werden müssen – im Gegensatz zu Moscheen oder Kirchen – ist eine Abnormalität. Man muss die Sache angehen, damit Juden mit Kippa und Israelis in Berlin oder andernorts auf die Straße gehen können, ohne fürchten zu müssen, angegriffen zu werden.

Das Interview führte Imanuel Marcus.

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