Entschädigung

Nur ein Zwischenhalt

Opferverbände streiten mit der Bahn AG

von Katrin Richter, Martin Krauss  04.05.2010 13:47 Uhr

Wo die NS-Vergangenheit Station macht: der »Zug der Erinnerung« in Esslingen Foto: imago

Opferverbände streiten mit der Bahn AG

von Katrin Richter, Martin Krauss  04.05.2010 13:47 Uhr

Hans-Rüdiger Minow hatte es mal mit einer besonders kämpferischen Ansage versucht. »Die Sperrung der Bahnhöfe am 8. Mai werden wir notfalls durchbrechen«, hatte der Sprecher des Vereins »Zug der Erinnerung« am vergangenen Dienstag mitgeteilt. Denn der Waggon, der an die von der Reichsbahn in der NS-Zeit deportierten Juden erinnert, sollte am 8. Mai im Berliner Bahnhof Grunewald Station machen. Das hatte die Bahn mit Hinweis auf »betriebliche Gründe« abgelehnt.

Minows kämpferische Diktion scheint gewirkt zu haben: »Der Zug kann in Grunewald halten«, teilte nun ein Bahnsprecher der Jüdischen Allgemeinen mit. Ein Erfolg für die Initiative »Zug der Erinnerung«. Vom Bahnhof Grunewald – dort befindet sich auch der Gedenkort »Gleis 17« – wurden zwischen 1941 und 1945 mehr als 50.000 deutsche Juden deportiert.

pflicht Das Kapitel ihrer NS-Vergangenheit kann die Bahn aber damit nicht abschließen. Ende März taten sich 21 Opferverbände aus vier osteuropäischen Staaten in der »Warschauer Erklärung« zusammen. Sie fordern von der Bahn AG, »ihrer moralischen und finanziellen Pflicht« nachzukommen. 445 Millionen Euro, so haben die Opferverbände ausgerechnet, stünden ihnen zu. Der Betrag basiert auf vorsichtigen Schätzungen über den Gewinn, den die Reichsbahn mit der Deportation von Juden im »Dritten Reich« machte. »Kilometer für Kilometer« habe man Gebühren erhoben, heißt es in der Erklärung. Pro Kilometer hat das Unternehmen zwei Pfennig kassiert, oft mussten die Verschleppten den Betrag sogar selbst zahlen.

Die Bahn AG hält sich jedoch für den falschen Ansprechpartner: Man sei nicht Rechtsnachfolger der Reichsbahn. Nach Angaben eines Sprechers ist die Deutsche Bahn AG »eine eigenständige Rechtspersönlichkeit«. Die Opferverbände verweisen aber darauf, dass die Bahn gerade das 175. Firmen-Jubiläum in Deutschland feiert – sich also mit einen Teil der Bahngeschichte gerne in Verbindung bringen lässt.

Markian D. Demidow vom Ukrainischen Verband der Opfer des Nazismus sagt, dass sich die Verbände bislang immer selbstständig an die Bahn gewandt hatten. Die Erfahrung, die sie dabei machten, ist: »Die Deutschen behandeln uns wieder als Menschen zweiter Klasse.« Winfried Hermann, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, hält die neuen Forderungen für nachvollziehbar. Nur über die genannte Höhe könne er nicht urteilen. Ähnlich äußern sich seine Bundestagskollegen Patrick Döring (FDP) und Uwe Beckmeyer (SPD). Lediglich Dirk Fischer (CDU) hält sich für den falschen Adressaten: »Daher müssen dafür zuständige Institutionen diese Forderungen prüfen und bewerten.« Gesine Lötzsch, designierte Vorsitzende der Links-Partei und verkehrspolitische Sprecherin, erwartet, »dass der neue Chef der Deutschen Bahn Gespräche mit Vertretern der Opferverbände aufnimmt und der Verkehrsminister diese Gespräche aktiv unterstützt«.

bahnchef Derzeit überwiegt bei den Politikern die Überraschung über die Bahn. Winfried Hermann wundert sich, »dass wir dieses Problem jetzt wieder haben, weil der neue Bahnchef, Rüdiger Grube, doch bisher gezeigt hat, dass er mit dem Thema anders und besser umgeht als sein Vorgänger«. Die Verkehrspolitiker aller fünf Bundestagsfraktionen hatten sich in der Vergangenheit schon oft für den »Zug der Erinnerung« stark gemacht: Die Bahn solle die lobenswerte Initiative nicht länger blockieren und endlich damit aufhören, von ihr Geld für Trassen- und Stationsnutzung zu verlangen. »Aber wir können kaum einwirken«, gibt Patrick Döring zu und verweist auf die Organisationsprivatisierung 1994, durch die der Bund zwar Eigentümer des Unternehmens blieb, aber weitgehend auf Einfluss verzichtete. Das Schienennetz wird noch von der Bundesnetzagentur verwaltet. An die hatte sich deshalb auch die Initiative »Zug der Erinnerung« gewandt, um Spandau und Grunewald anfahren zu dürfen. Die Bahn jedoch sagte ein vereinbartes Treffen ab, es fehle dafür »jegliche Grundlage«.

drehverbot Nun darf der »Zug der Erinnerung« zwar in Grunewald Halt machen. Aber ob die Ausstellung dort vom 8. bis 20. Mai zu sehen sein wird, ist unklar. »Wir haben noch keine Informationen«, sagt Minow. Stattdessen habe die Bahn einem TV-Sender verboten, auf dem Mahnmalgelände Interviews zu führen. Die bestreitet das. Die Auseinandersetzung geht wohl in eine nächste Runde.

Berlin

Demonstranten wollen Vortrag von Volker Beck verhindern

Der Leiter des Tikvah-Instituts soll einen Vortrag über jüdische Feiertage halten

von Nils Kottmann  13.09.2024

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten attackieren Kultursenator Joe Chialo

Die Demonstranten sollen einen Mikrofonständer nach dem CDU-Politiker geworfen haben

 13.09.2024

Comedian

Antisemitismusbeauftragter: Hamburg sollte Auftritte von Nizar absagen

Der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel hat die geplanten Auftritte des Comedians Nizar Akremi kritisiert

von Carola Große-Wilde  13.09.2024

Umfrage

Umfrage zur Wahl in Brandenburg: AfD liegt deutlich vorn

Wird die rechtsextreme Partei wie in Thüringen die stärkste Kraft?

von Stefan Heinemeyer  13.09.2024

Islamisches Zentrum Hamburg

Deutschland ist Top-Islamisten los

Mohammad Hadi Mofatteh gilt als Stellvertreter des Ayatollah in Deutschland

 12.09.2024

Kultur

Der »King of Klezmer« ist jetzt Deutscher

Er wolle mit diesem symbolischen Akt auch für mehr Völkerverständigung werben, so Feidman

von Leticia Witte  12.09.2024

Fürstenwalde

Brandenburgs Innenminister verbietet Islamisches Zentrum

Das Zentrum sei dem Spektrum der Muslimbruderschaft und der Hamas zuzuordnen

 12.09.2024

Islamismus

Damit es aufhört

Der antisemitische Anschlag von München zeigt einmal mehr, wie stark Juden im Visier sind. Die Politik muss endlich eine wirksame Strategie gegen den Terror entwickeln

von Eren Güvercin  12.09.2024

Meinung

Ich sehe in Deutschland immer öfter, wovor ich aus dem Iran geflohen bin

Nach dem Anschlag von München fragt sich unsere Autorin, ob sie ihre Kinder noch schützen kann

von Shahrzad Eden Osterer  11.09.2024