Interview

»›Nie wieder ist jetzt«

Dani Dayan Foto: Flash90

Herr Dayan, Staats- und Regierungschefs aus aller Welt besuchen Yad Vashem und erklären dort: »Nie wieder!«. Erscheinen diese Beteuerungen jetzt nach dem 7. Oktober doch nur als Lippenbekenntnisse?
Jedes Mal, wenn ein Staatsoberhaupt oder sonstiger Würdenträger diese Worte sagt, frage ich mich, ob es aufrichtig gemeint oder nur eine Pflichtübung ist. Mein Lackmustest ist, ob diese Führungspersönlichkeit das Land, das er oder sie vertritt, eine starke, robuste, klare Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus hat und sie umsetzt. Wenn dies so ist, dann glaube ich an die Aufrichtigkeit der Worte. Wenn diese Person andererseits dem Antisemitismus gegenüber gleichgültig ist, dann ist klar, dass es heuchlerisch ist, nach Yad Vashem zu kommen und ein »Nie wieder« zu verkünden. Und besonderes in diesen Tagen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dabei ausdrücklich auch die neuen Formen des Antisemitismus gemeint sind, insbesondere die ausdrücklichen Aufrufe zur Vernichtung des jüdischen Staates – ob aus Teheran, Beirut oder Gaza.

Sie haben UN-Generalsekretär António Guterres vorgeworfen, den Test nicht bestanden zu haben. Warum?
Wir haben öffentlich seine Aussage, die Ereignisse des 7. Oktobers seien nicht in einem Vakuum geschehen, kritisiert. Was geschah, ist nicht ein weiteres Ereignis in dem immer wieder erwähnten Kreislauf der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern. Es war eine ganz andere Ebene der Grausamkeit, des Sadismus und der Barbarei, die man niemals in einen Zusammenhang stellen sollte. Generalsekretär Guterres hat den moralischen Test nicht bestanden.

Was denken Sie, wenn Politiker Vergleiche zwischen der Hamas und den Nazis anstellen?
Die Schoa war ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Wir sollten also sehr vorsichtig sein, wenn wir Begriffe wie Schoa, Holocaust oder Nazis verwenden. Wir in Yad Vashem sind Experten für die Nazi-Ideologie, nicht für die barbarische Ideologie der Hamas. Wir haben sie nicht erforscht. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Ideologie und Taten der Hamas auf einen Genozid ausgerichtet sind. Aber wenn man historische Vergleiche anstellt, sollte man die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede beachten. Der Hauptunterschied ist die Existenz des Staates Israel.

Was folgt daraus?
Eine der Lehren aus der Schoa, die ich gegenüber führenden Politikern aus aller Welt immer wieder anspreche, ist, dass man dem Antisemitismus in all seinen Formen entschlossen entgegentreten sollte. Leider hat die Welt dem Antisemitismus nicht Einhalt geboten, als er seine ersten Anzeichen zeigte. Jetzt befinden wir uns bereits in einer zweiten Phase. Der Antisemitismus hat in den vergangenen Wochen zugenommen, und jetzt ist das eine echte Prüfung für die politische Führung der Welt. »Nie wieder« ist jetzt. Die Zeit zum Handeln ist jetzt!

Mit dem Vorstandsvorsitzenden von Yad Vashem sprach Detlef David Kauschke.

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025