Strafrecht

»Mit Tötung gelassen umgehen«

Bundesjustizminister Heiko Maas Foto: dpa

Die Überarbeitung des Mordparagrafen im Strafgesetzbuch ist eines der größten Vorhaben von Bundesjustizminister Heiko Maas. Die Formulierung der Tötungsdelikte seien »historisch schwer belastet und schwammig formuliert«, sagt der SPD-Politiker. »Ihren Beginn hat diese Geschichte 1941, als Roland Freisler, einer der furchtbarsten Juristen im Nationalsozialismus, den Mordparagraf der Strafrechtsideologie der Nazis anpasste.«

Doch mit der Diskussion um den Mordparagrafen lebt auch etwas anderes wieder auf: die Verjährungsdebatte. 1969 war die Verjährung von Mord von ursprünglich 20 auf 30 Jahre ausgeweitet worden, 1979 wurde sie abgeschafft. Hintergrund war der nationalsozialistische Völkermord. NS-Mörder sollten Zeit ihres Lebens für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden können.

reife gesellschaft Jetzt aber heißt es in der Juni-Ausgabe der renommierten Zeitschrift »Strafverteidiger«: »Wird der Mordtatbestand aufgehoben, kann zumindest §78 Abs 2 StgB in der geltenden Fassung keinen Bestand mehr haben.« Das ist jener Paragraf, der die Nichtverjährung von Mord und Mordversuch regelt. Der Autor, der Potsdamer Strafrechtler Wolfgang Mitsch, schreibt weiter: »Ein ernsthaftes Bedürfnis, auch den letzten noch unentdeckten NS-Mörder kurz vor seinem Tod der gerechten Bestrafung zuführen zu können, existiert im Jahr 2014 sicher nicht mehr.«

Also plädiert er für die Verjährung: »Davon abgesehen sollte eine politisch reife Gesellschaft die Fähigkeit haben, mit der Frustration eines nach 30 Jahren immer noch nicht aufgeklärten Tötungsverbrechens gelassen umzugehen und ihren Frieden mit dem anonymen, vielleicht unauffällig in der Mitte lebenden Mörder zu schließen.«

Während der Vorstoß, die aus der NS-Zeit stammenden Paragrafen zu Mord und Totschlag zu reformieren, weitgehend begrüßt wird, stellt man sich im Bundesjustizministerium gegen den Versuch, die Neuregelung mit einer Verjährungsregelung zu verknüpfen. »Mord wird weiterhin nicht verjähren. Das steht für uns nicht zur Diskussion«, so die klare Aussage aus dem Ministerium.

verfolgung Von der Einführung der Verjährung wäre auch die Arbeit der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg betroffen. Dabei betont deren stellvertretender Leiter, Thomas Will, dass man weiter an Fällen arbeitet: 68 Vorermittlungsverfahren seien in den letzten anderthalb Jahren eingeleitet worden, 15 von ihnen seien noch offen. Bezüglich etwa 200 ehemaliger Auschwitz-Wachleute werde gerade recherchiert. Und ganz aktuell wurden Ermittlungen gegen 17 frühere Wärter des KZ Majdanek, darunter vier Frauen, bekannt. »Würde Mord verjähren«, sagt Will, »wäre die strafrechtliche Grundlage unserer Arbeit hinfällig.«

»Angesichts der jahrzehntelangen Verschleppung von Verfahren gegen nazistische Gewaltverbrecher in der Bundesrepublik, erscheint mir das äußerst bedenklich«, kommentiert der Gothaer Rechtsanwalt Ralph Dobrawa, der sich intensiv mit dem Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 beschäftigt hat, die Forderung nach Wiedereinführung der Verjährung. Auch für Tötungsdelikte, die keine NS-Taten sind, lehnt Dobrawa eine Verjährung von Mord ab: »Die Hinterbliebenen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was passiert ist. Ein Verfahren, auch nach Jahrzehnten, ist für sie oft die einzige Möglichkeit, mit dem Geschehenen abzuschließen und ihren Frieden zu finden.« Der Strafrechtsexperte verweist auch darauf, dass es heute durch neue Verfahren wie den genetischen Fingerabdruck deutlich bessere Möglichkeiten der Aufklärung gibt, die man nutzen müsse.

Die Neuregelung des Paragrafen 211 des Strafgesetzbuchs sollte, davon sind Dobrawa, Will und das Justizministerium überzeugt, unabhängig von einer etwaigen Verjährungsdebatte bald umgesetzt werden. »Mörder ist«, heißt es in der bis heute noch gültigen Fassung, »wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.« Das ist »eine Art Mörderprofil«, so hat es Schleswig-Holsteins Justizministerin Anke Spoorendonk ausgedrückt. »Ein solches Täterprofil passte haargenau zur Rassentypologie der Nazis.«

Meinung

Ein Friedensplan, der keiner ist?

Die von den Amerikanern vorgelegten Punkte zur Beendigung des Ukraine-Kriegs sind kein fairer Vorschlag, sondern eine Belohnung für den russischen Aggressor

von Alexander Friedman  24.11.2025

Münster

Gericht macht Unterschiede bei propalästinensischen Parolen

Wann ist Kritik am Staat Israel von der Meinungsfreiheit gedeckt? Ein Gericht in NRW sieht das generelle Verbot, das Existenzrecht Israels zu bestreiten, als rechtswidrig an

 24.11.2025

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 24.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  24.11.2025

Potsdam

BSW-Fraktionsvize tritt nach Reaktion auf AfD-Zitat zurück

Die Landtagsfraktion in Brandenburg ist nach vier Parteiaustritten in einer Krise. Nun tritt auch noch Fraktionsvize Dorst von seinem Amt zurück. Die Hintergründe

 24.11.2025

Soziale Medien

Plattform X: Israelfeindliche und antisemitische Inhalte aus Pakistan und der Türkei

Ein neues Transparenz-Feature zeigt: Angeblich von westlichen »Israelkritikern« betriebene Konten werden in Wirklichkeit aus anderen Teilen der Welt bearbeitet

 24.11.2025

Washington D.C.

Trump kündigt Einstufung der Muslimbrüder als Terrororganisation an

Der Organisation würde mit diesem Schritt der Zugang zu finanzieller Unterstützung verwehrt. Die Muslimbruderschaft wird immer wieder mit radikalen Ablegern in Verbindung gebracht

 24.11.2025

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025