Berlin

»Menschen haben nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt«

Ahmad Mansour ist renommierter Islamkenner und Vorreiter in der Prävention in der Jugendarbeit. Foto: Heike Steinweg

Berlin

»Menschen haben nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt«

Ahmad Mansour wundert sich nicht über die Schließung zweier Jugendzentren in Berlin. Ein Interview

von Sophie Albers Ben Chamo  26.04.2024 14:56 Uhr

Herr Mansour, in Berlin wurden zwei Jugendzentren für Mädchen geschlossen, weil deren Geschäftsführerinnen bei Demonstrationen und online anti-israelisch und antisemitisch aufgetreten sind. Hat Sie das überrascht?
Mich hat überrascht, dass man überhaupt mal Konsequenzen gezogen hat. Aber es hat mich nicht überrascht, dass es dazu gekommen ist, denn dass manche in der pädagogischen oder der Sozialarbeit solch antisemitische Einstellungen haben, ist leider kein Einzelfall.

Sie meinen, das ist nur die Spitze des Eisbergs?
Dass in der Sozialarbeit oder Pädagogik viele Leute mittlerweile mehr Sympathien für die Hamas als für Israel hegen, sollte uns leider nicht überraschen, denn wir erleben es ja überall in Deutschland. Warum sollten Pädagogen anders sein als die Gesamtgesellschaft? Dass die Leute dann aber auch ohne Hemmungen ihren Hass offen in die sozialen Medien tragen, ist für mich eine massive Grenzüberschreitung.

Und dass sie sich auf Demonstrationen vermummt gegen die Polizei stellen ...
Allerdings. Und noch etwas müssen wir erwähnen, auch wenn es ein Tabuthema ist: In meiner Arbeit merke ich, dass manche Menschen nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt haben; Menschen, die vorher immer von Links, Toleranz, Anti-Radikalisierung und Antisemitismusprävention gesprochen haben, die nun plötzlich nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit sind und auch kein Problem damit haben, islamistische Propaganda zu verteilen oder auf einen antisemitischen Kongress zu laufen.

Israel hat immer wieder Krisen und Kriege mit der Hamas erlebt, was ist diesmal anders? Was wurde da freigesetzt?
Emotionen auf einer ganz anderen Ebene. Dieses Mal, und das ist der Unterschied zu allen anderen Eskalationen, organisieren sich nicht nur Palästinenser selbst, sondern auch Anhänger der postkolonialen Studies und sogenannte Antirassisten, die das Ganze deutlich professioneller machen. Und die Tatsache, dass die Hamas gerade erfolgreich mit anderen Akteuren des politischen Islam die größte Kampagne der Menschheitsgeschichte in den sozialen Medien betreibt. Das Ergebnis ist eine Diskursverschiebung, Emotionalität und die Mobilisierung auf der Straße. Die Leute wollen nicht mehr neutral sein, sondern sie zeigen, wie gesagt, ihr wahres Gesicht.

Hätten Sie damit gerechnet, dass es so »gut« funktioniert?
Es wundert mich nicht. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass die BDS-Bewegung sich zunehmend professionalisiert, und wir haben es nicht einmal ernst genommen. Wir dachten, das sind irgendwelche Spinner. Aber ich habe es im Sommer selbst erleben müssen, wie sie mit professionellen Kampagnen versuchen, Menschen zu diffamieren. Und sie haben bereits in der Wissenschaft, in den Medien und sogar auch in der Gedenkstättenarbeit Fuß gefasst, wo sie gerade mit einem Historikerstreit 2.0 versuchen, postkoloniale Verbrechen mit denen der Nazizeit gleichzusetzen, so wie sie Rassismus und Antisemitismus gleichsetzen. Wer das hätte sehen wollen, hätte es auch gesehen. Aber wir waren naiv, wollten es nicht ernst nehmen. Vielleicht auch, weil wir uns selbst ein bisschen schützen wollten.

Und was nun?
Es gibt nichts Gutes am 7. Oktober, nichts Gutes an dem, was gerade in Europa vor sich geht und auch nichts Gutes daran, was mit diesen zwei Jugendzentren passiert ist. Aber vielleicht war es notwendig, damit wir endlich sehen, wer unsere Partner sind und wer nicht. Es ist an der Zeit, bestimmte Sachen infrage zu stellen: wie wir unsere Präventionsarbeit betreiben, wie wir in unserer Prävention gegen Antisemitismus vorgehen. Wir müssen Standards für alle diese Einrichtungen einführen. Wir müssen besser werden. Was wir auf gar keinen Fall tun dürfen, ist, zum Alltag zurückzukehren!

Und was ist mit den Mädchen und jungen Frauen, für die die Zentren vielleicht wichtige Konstanten waren?
Man sollte ihnen nicht ihre Räume nehmen, sondern möglichst schnell eine andere pädagogische Leitung finden, die die Arbeit weiterführt. Aber Antisemiten können nicht in der pädagogischen Arbeit tätig sein, niemals. Das können und dürfen wir nicht finanzieren, wenn wir »Nie wieder« und unsere historische Verantwortung ernst nehmen.

Mit dem deutsch-israelischen Psychologen und Jugendarbeitsexperten sprach Sophie Albers Ben Chamo.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025