Vatikan

Kirchenhistoriker Wolf beklagt mangelndes Interesse an Vatikan-Akten aus der NS-Zeit

»Gerade die deutsche Forschung bleibt beim Komplex ‚Papst Pius XII. und der Holocaust‘ in besonderer Weise gefordert« Foto: picture alliance / brandstaetter images/Austrian Archives (S)

Vatikan

Kirchenhistoriker Wolf beklagt mangelndes Interesse an Vatikan-Akten aus der NS-Zeit

Der damals amtierende Papst Pius XII. hat immer wieder Anlass zu historischen Kontroversen gegeben. Seit 2020 sind die Akten aus diesem Pontifikat zugänglich. Doch das Interesse aus Deutschland scheint gering

 01.01.2025 12:00 Uhr

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf beklagt eine mangelndes Interesse deutscher Wissenschaftler an den Vatikan-Akten aus der Amtszeit von Papst Pius XII. (1939-1958). Diese seien beim Thema »Pius XII. und der Holocaust« nach der Archivöffnung »deutlich unterrepräsentiert«, schreibt Wolf in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der »Herder Korrespondenz«. Dabei bleibe gerade die deutsche Forschung bei diesem Komplex in besonderer Weise gefordert. Der Vatikan gab die Bestände zu Pius XII. 2020 für die Forschung frei.

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Anders habe sich die Situation bei der Öffnung der Archive zu Vorgänger Pius XI. dargestellt, so Historiker Wolf. Als der Vatikan die »deutschen Bestände« aus der Amtszeit von Pius XI. im Jahr 2003 zugänglich machte, sei das Interesse der deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler groß gewesen. Papst Pius XI. amtierte ab 1922. Er starb im Februar 1939 ein gutes halbes Jahr vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Mögliche Gründe, warum die Vatikan-Akten zu Nachfolger Pius XII. deutsche Forscher weniger interessieren, seien bislang nicht bekannt, schreibt der Autor zahlreicher Bücher zu dem Thema. Neben gewissen Schwerpunkten der jeweiligen Generation von Forscherinnen und Forschern biete sich als eine mögliche Erklärung eine verstärkte Rezeption des »Colonial Turns« in der deutschen Geschichtswissenschaft an. »Die ‚Entdeckung‘ einer Vielzahl kolonialer Genozide sind unbestreitbar ein Verdienst dieser Forschungsrichtung. Gleichzeitig läuft sie latent Gefahr, den Holocaust als einen Genozid neben anderen aufzufassen und ihn dadurch zu relativieren«, hält Wolf mit Blick auf die auch in der allgemeinen Geschichtswissenschaft laufenden Forschungskontroverse fest.

Warnung vor einseitiger Betrachtung

Was die Auswertung der Vatikan-Akten anbelangt, bemängelt Wolf zudem eine Sprachlosigkeit zwischen Theologen und Historikern. »Verkürzt gesagt, gilt: Historiker halten wenig von spekulativer Theologie und Theologen gehen kaum in Archive. Dabei lassen sich weder das Verhalten Pius‘ XII. und seiner Kurie zum Holocaust ohne theologische Grundlagen verstehen noch Pius‘ theologische Positionierungen ohne den historischen Kontext einordnen. Gerade die lehramtlichen Äußerungen durchliefen komplexe Entstehungsprozesse, die erst durch gründliche Archivarbeit entschlüsselt werden können.« Sich auf den publizierten Endtext zu konzentrieren, genüge nicht, stellt der Historiker fest.

Anhand von Originalquellen ließen sich zahlreiche Fragen zu Pius XII. beantworten, betont Wolf. »Was wusste der Papst wann vom Holocaust? Wann war er über Vernichtungslager wie Auschwitz informiert? Hat er tatsächlich einen öffentlichen Protest gegen den Holocaust vorbereitet, wie seine Haushälterin Schwester Maria Pascalina Lehnert in ihren Erinnerungen behauptet?« Vor allem aber: »War Pius XII. tatsächlich ein ‚deutscher‘ Papst, der aus Angst vor dem Kommunismus zu viel Rücksicht auf Hitler und das Deutsche Reich nahm?«

Insgesamt lasse sich allerdings feststellen, dass die Konzentration der Forschung auf das Thema »Pius XII. und der Holocaust« zusehends aufgebrochen werde. Dadurch rücke die zweite, wesentlich längere Phase des Pontifikats von 1945 bis 1958 verstärkt in den Blick, so Wolf. »Eine große Rolle spielen nun Themen wie der Antikommunismus Pius‘ XII. in der Nachkriegszeit und die verstärkte Westbindung des Vatikans, die vatikanische ‚Gründung‘ der ‚Democrazia Cristiana‘ in Italien, die Ablehnung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina 1948, die Idee eines christlichen Abendlandes als Grundlage einer europäischen Einigung, die Indochina-Politik sowie der vatikanische Umgang mit der Kolonialpolitik und den Unabhängigkeitsbestrebungen, insbesondere afrikanischer Länder.« KNA

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