Erziehung

Kinder wollen Glauben

Die Erziehung in der eigenen Religion gehört zur Vermittlung der Werte, die Eltern ihren Kindern weitergeben wollen. Foto: Flash 90

Das Landgericht Köln hat sich dazu berufen gefühlt, die Beschneidung »aus rein religiösen Gründen« als Körperverletzung zu werten und zudem muslimische Eltern darüber zu belehren, dass sie »gehalten sind, abzuwarten«, in welcher Weise ihr Sohn sich später zum Islam bekennen wird. Denn die Beschneidung, so das Urteil, »läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider.«

Der Frage der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit bei ritueller Beschneidung versus Religionsfreiheit will sich nach einigem Zögern der Gesetzgeber annehmen. Wenden wir uns also der im Kölner Urteil aufgeworfenen und öffentlich diskutierten Frage zu, ob die religiöse Prägung von Kindern überhaupt legitim oder möglicherweise schädlich ist und das Kind in seiner religiösen Wahlfreiheit behindert.

Diese Fragestellung ist interessant, da sie sich ausschließlich auf die Prägung religiöser Art bezieht. Es prägt aber doch jede Gesellschaft, jedes System die Menschen und zwar von ihrem ersten Lebenstag an. Es beginnt mit der Rolle der Mutter, ihren emotionalen Möglichkeiten, die durchaus nicht nur individuell, sondern vor allem kulturell beeinflusst sind. Die Feudalgesellschaft hat Kinder, hat Menschen geprägt, die Industriegesellschaft, Kriege haben sie geprägt, der Nationalsozialismus, der Kommunismus. Die Medien- und Konsumgesellschaft wirkt heute auf Kinder und Erwachsene in erheblichem Maße ein.

Religionsfreiheit Demgegenüber stehen die Religionsfreiheit und somit die Freiheit, die Kinder in der Religion ihrer Eltern zu erziehen. Religiöse Erziehung vermittelt universelle Werte wie die der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Fremdenliebe, des Dienstes am Nächsten. Diese universellen, religiösen Werte sollen Kindern die Möglichkeiten der Freiheit vermitteln, sich nicht vom Zeitgeist leiten zu lassen, sondern der Prägung durch die Gesellschaft einen eigenen Kopf, einen eigenen Geist, eigene Werte entgegenzusetzen.

Die Erziehung in der eigenen religiösen Kultur, in der eigenen Religion gehört zur Vermittlung der Werte, die Eltern ihren Kindern weitergeben wollen. Sie wollen ihnen eine starke Identität auf ihrem Lebensweg mitgeben, die auch die ihre ist. Umso mehr, umso stärker, wenn sie eine religiöse Minderheit darstellen, wie es die Muslime, aber besonders die Juden in einer christlich geprägten Umwelt, in der Bundesrepublik sind.

Welche Kraft diese durch die Familie vermittelte religiöse Identität hat, weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Eltern, beide in ihren frommen, jüdischen Elternhäusern und sehr orthodox erzogen, haben sich als junge Menschen bewusst für einen sozialistisch geprägten Atheismus entschieden. Und dennoch war meine Kindheit in meinem areligiösen Elternhaus voll von lebendigen Geschichten und Gestalten aus der Tora, über die so sehr menschlichen Menschen in ihrer Auseinandersetzung mit G’tt, mit ihren Mitmenschen, mit der Natur, Geschichten von Liebe und der Leidenschaft, Freundschaften und Feindseligkeiten.

Fundament Dazu gehörte auch die äußerst bewegte Geschichte Abrahams und seiner Familie und das religionsstiftende g’ttliche Gebot der Brit Mila. Die biblischen Gestalten aus meiner Kindheit haben mich beeinflusst bis zum heutigen Tage, ebenso wie auch die sozialistischen Gebote der Solidarität, der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Achtung anderer und Andersdenkender, die allesamt aus dem religiösen Judentum kommen und gleichermaßen die Fundamente des Christentums und des Islam sind.

Wie sehr das Kölner Gericht in seinem Urteil in einer kulturellen Enge verharrt, die den universellen Charakter religiöser Werte ignoriert und die religiöse Autonomie, die Religionsfreiheit übergeht oder fehlinterpretiert, wird deutlich, wenn man sich die Essenz der Urteilsbegründung genauer anschaut: Es ist eine muslimische Familie, die vom Kölner Gericht darüber belehrt wurde, dass »der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert« wird, und dass »diese Veränderung (...) dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider (läuft)«.

Hier wird – das steht dem Gericht zu – die Möglichkeit geäußert, das Kind wolle sich später für eine andere Religionszugehörigkeit entscheiden. Und es wird, allerdings ohne jeden Beweis, postuliert, dass die Beschneidung einer Konversion entgegenstehen würde, mithin keine andere Religion einen beschnittenen Moslem als Konvertiten bei sich aufnehmen würde. In dieser Aussage liegt eine historische Verschiebung, ein Kategorienfehler, über den noch nachzudenken wäre.

Doch vielleicht ist es in diesem Zusammenhang angebracht, schaut man auf das Alter der drei monotheistischen Religionen und auf die Vergänglichkeit von Gerichtsurteilen, ruhig zu sagen: Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.

Die Autorin ist Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main.

Terror

Sorge vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen

Die Auswirkungen des Kriegs gegen den Iran könnten auch in Deutschland zu spüren sein, warnt Felix Klein. Auch Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer rechnet mit erhöhter Terrorgefahr

von Christoph Arens  16.06.2025

Luftfahrtmesse

Frankreich schließt israelische Stände

Die Betreiber sollen entgegen der Auflagen Angriffswaffen ausgestellt haben

 16.06.2025

Krieg gegen Iran

Exodus aus Teheran

Der Krieg gegen das iranische Regime und dessen Atom- und Raketenprogramm treibt Bewohner der Hauptstadt in die Flucht

von Aref Taherkenareh, Arne Bänsch  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025

Brüssel

EU-Chefdiplomatin organisiert Krisenschalte zu Nahost-Krieg

Kann die EU einen Beitrag zur Deeskalation des Konflikts zwischen Israel und dem Iran leisten? Am Dienstag soll es eine Videokonferenz der zuständigen Außenminister geben

 16.06.2025

Nahost

Krieg gegen Iran: EU will mit USA Energiemarkt sichern

Seit dem Angriff Israels auf das iranische Atomprogramm steigen die Rohölpreise und in der Folge die Sprit- und Heizölpreise. Die EU und die USA sind alarmiert - und wollen notfalls handeln

 16.06.2025

Berlin

Karin Prien: »Ich gestatte mir keine Ängstlichkeit«

Die Bundesbildungsministerin spricht in einem Interview über ihre jüdischen Wurzeln. Und geht bei manchen Themen auf Distanz zu ihrem Parteivorsitzenden

von Alexander Missal  16.06.2025

Iran

Iran: Geheimdienstchef der Revolutionsgarden und sein Vize getötet

Israel hat seit Beginn des Krieges mit dem Iran bereits etliche führende Militärs getötet. Nun sind bei einem weiteren Angriff Geheimdienstvertreter der nationalen Eliteeinheit getötet worden

 15.06.2025

Berlin

Merz sagt Israel Hilfe zu und bekennt: Iran darf niemals über Atomwaffen verfügen

Deutschland wappne sich zudem für den Fall, dass der Iran israelische oder jüdische Ziele hierzulande ins Visier nehmen sollte

 15.06.2025