Essay

Kein Held

Claus Schenk Graf von Stauffenberg in seiner Wehrmachts-Uniform Foto: picture alliance / SZ Photo

Essay

Kein Held

Das Hitler-Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg jährt sich zum 80. Mal. Eine Einordnung

von Julien Reitzenstein  19.07.2024 21:00 Uhr

Am Abend des 20. Juli 1944 sollte Adolf Hitler tot und sein Regime kollabiert sein. Claus Schenk Graf von Stauffenberg fiel die Rolle des Attentäters zu. Aber nicht, weil der Oberst im Generalstab der Anführer der Verschwörung gegen das Regime war.

Selbst in den von den Verschwörern aufgestellten Vorschlagslisten für hohe Staats- und Ministerämter nach dem geplanten Umsturz mit weit mehr als 100 Namen findet sich der Stauffenbergs nicht. Aufgrund seiner Dienststellung als Chef des Stabs des Befehlshabers des Ersatzheeres nahm er allerdings regelmäßig an militärischen Lage­besprechungen bei Hitler teil – und war deshalb der Einzige der Verschwörer, der häufig in die Nähe des Diktators zu kommen vermochte.

Vor allem durch die Umstände des Scheiterns wurde Stauffenberg weltweit erst bekannt und dann berühmt als »der Hitler-Attentäter«. Die Erinnerung an die meisten anderen Verschwörer verblasste.

Im kollektiven Gedächtnis zu Vorbildern verklärt

Weil sie mit ihrem Plan der Beseitigung des Diktators den für Beamte und Militärs verpflichtenden Treueeid auf Hitler gebrochen hatten, galten die Verschwörer auch nach dem Krieg vielen als ehrlose Verräter. Es bedurfte vieler Jahre Abstand, bis Stauffenberg und seine Mitverschwörer stattdessen im kollektiven Gedächtnis zu Vorbildern verklärt und mit der Benennung von Straßen und Kasernen geehrt wurden. Auch aufgrund dieser Wandlungen in der Betrachtung des Hitler-Attentats gibt es heute eine große Bandbreite an Bewertungen der Person Stauffenbergs.

Laut einem überlieferten Entwurf der Verschwörer zu einem »Aufruf an das Deutsche Volk«, der nach einem erfolgreichen Umsturz hätte veröffentlicht werden sollen, beabsichtigten die Verschwörer unter anderem das Ende der Judenverfolgung und die Wiederherstellung des Rechtsstaats. Da es sich bei den Verschwörern um ein loses Netzwerk handelte, das unter ständiger Gefahr der Enttarnung agierte, kann ausgeschlossen werden, dass jeder Beteiligte alle Überlegungen und Planungen kannte und mittrug.

Vor allem durch die Umstände des Scheiterns wurde Stauffenberg weltweit erst bekannt und dann berühmt als »der Hitler-Attentäter«.

Es kann ebenso ausgeschlossen werden, dass Empörung über Massenmorde an Juden ein zentraler Grund für Stauffenbergs Abkehr vom Regime war, anders als bei seinem Mitverschwörer Axel von dem Bussche. Schon in der Reichswehr der Weimarer Zeit konnten Soldaten kein Wahlrecht ausüben und verstanden die Armee als unpolitischen Staat im Staate. Dieses Selbstverständnis lud viele Offiziere zum bequemen Wegsehen ein.

Während den meisten Menschen zugestanden wird, dass sie sich fortlaufend entwickeln und ihre Weltsicht mit ihnen, werden jene, die zu Helden verklärt werden, oft auf Zitate oder Einzelhandlungen in verschiedenen Lebensperioden reduziert. Aus diesen episodischen Betrachtungen eine abschließende Charakterbeurteilung abzuleiten, hat selten Tiefe. Zweifelsfrei begrüßte Stauffenberg die Machtübernahme der Nationalsozialisten – von der er sich vor allem ein Wiedererstarken Deutschlands versprach – und sah ihr Regime mit den Jahren dennoch zunehmend kritisch.

Vor der Machtübernahme wurde Stauffenberg politisch unter anderem von der Bewegung der Konservativen Revolution und dem Kreis um den Dichter Stefan George beeinflusst, dem er seit 1923 angehörte. Während einige Vertreter dieser Denkrichtung radikale Antisemiten waren, gab es auch differenziertere Vertreter und einige, die Antisemitismus ebenso ablehnten wie die nationalsozialistische Rassenlehre generell.

Sein Hauptmotiv war die Rettung Deutschlands – nicht die der Juden.

Zu dem der Konservativen Revolution nahestehenden George-Kreis gehörten Juden wie Karl Wolfskehl, Edgar Salin und Ernst Kantorowicz. Letzterer hielt im Semester seiner unfreiwilligen Emeritierung – dem Wintersemester 1933/34 – eine Vorlesung über »Das Geheime Deutschland«. Dieser kulturphilosophische Leitbegriff entstammt dem George-Kreis und beschäftigte Stauffenberg im Zuge der Attentatsvorbereitung bis zu seinem Tod.

Ideologien der Konservativen Revolution

Zeitzeugen berichten, er habe damals häufig Georges Gedicht »Der Widerchrist« zitiert, in dem es um einen »Fürst des Geziefers« geht, der »sein reich« verbreite. Nach einigen Quellen lauteten Stauffenbergs letzte Worte, bevor ihn die Kugeln des Hinrichtungskommandos am Abend des gescheiterten Umsturzversuchs trafen: »Es lebe das Geheime Deutschland!« Eine Befassung mit den Ideologien der Konservativen Revolution, aber auch den Schriften Kantorowiczʼ ist ein Schlüssel zum Verstehen Stauffenbergs.

Stauffenberg hat ohne jeden Zweifel seine Ehre, sein Leben und das Wohl seiner Familie riskiert, um Deutschland von Hitler und seinem mörderischen Regime zu befreien. Sein Hauptmotiv war nicht die Erlangung eines hohen Amtes oder die Rettung der Juden oder der Demokratie.

Er wollte wie seine Mitverschwörer vor allem Deutschland retten – und ebenso dessen Ruf in der Welt. Sein Mitverschwörer Henning von Tresckow sagte vor seinem Tod am Tag nach dem Attentat: »Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott Deutschland um unseretwillen nicht vernichten wird.«

Graf von Stauffenberg war nicht der Held, zu dem er oft verklärt wird. In seiner radikalen Konsequenz zur Beseitigung eines verbrecherischen Regimes agierte er jedoch heldenhaft, weil er trotz erheblicher Risiken uneigennützig handelte. Dafür verdient er Anerkennung, darin ist er Vorbild. Respekt ja, Heldenverehrung nein.

Der Autor ist Historiker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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