Meinung

Jüdische Polemik und deutsche Streitkultur

Viola Roggenkamp Foto: dpa

Streitkultur – darum soll es gehen auf dem ersten Reich-Ranicki-Symposium an diesem Freitag in Frankfurt am Main. Das zehnstündige Programm sieht aus wie eine Namensliste von Anwärtern auf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Wir können jetzt noch nicht wissen, ob es auf dem Symposium wider Erwarten doch zu heftigen Meinungsverschiedenheiten kommt, aber eines wissen wir: Wollte man der vornehmsten Pflicht des Wortes, ja der Bedeutung des Buches überhaupt gerecht werden, müsste der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Streitpreis heißen.

Undenkbar in Deutschland. Streit gilt dem deutschen Gemüt als etwas Unkontrollierbares und Hemmungsloses. Noch schlimmer seine verpönte Schwester, die Polemik. Sie liebt die Gemeinheit, die Bosheit, die Hinterlist und sogar das Vorurteil. Was könnte verwerflicher sein? Die Polemik reizt den Geist, sie schärft die Empfindlichkeit. Das will sie! Das soll sie! Aber lässt man sie denn?

Diesel-Skandal Dazu ein aktuelles Beispiel? Hier ist es: Die Bundeskanzlerin beklagt das beschädigte Ansehen der deutschen Automobilindustrie durch den Diesel-Skandal. Oh, welch ein Jammer! Und wer muss einem da eigentlich leidtun? Natürlich die Automobilindustrie und ihre Kanzlerin. Weshalb diese deutsche Schandtat, dieses Verbrechen an der allgemeinen Luft zum Atmen, warum diese dreiste Geldgier polemisch zugespitzt nicht bei diesem Namen nennen: einmal Vergaser, immer Vergaser!

Stets hatte die Polemik den Geruch des Jüdischen. Auch deshalb nennt sie sich heute in Deutschland lieber Streitkultur. Überhaupt Kultur, das klingt dem deutschen Gemüt nach Erhabenem, nach Gehobenem. Da wird sogar der Streit zu etwas total Tolerantem, egal welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Hautfarbe, welcher sexuellen Orientierung. Und die Polemik? Sie wird sich niemals unter ein Kopftuch zwingen lassen, und darum wird man sie nicht einladen können. Hat sie doch selbst schuld.

Die Autorin ist Schriftstellerin und Publizistin.

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025