Halle-Prozess

Judenhass benennen

Mahnwache für die Opfer Jana Lange und Kevin Schwarze gegenüber dem Landgericht Magdeburg Foto: imago images/Christian Schroedter

Der Prozess gegen den Attentäter von Halle neigt sich seinem Ende zu: Die Plädoyers der Nebenklage sind am 8. Dezember beendet worden, auch die Verteidigung und der Angeklagte kamen noch einmal zu Wort, nur das Urteil steht noch aus. Es soll am 21. Dezember verkündet werden. Insgesamt 43 Nebenkläger, vertreten durch 21 Rechtsanwälte, haben den Prozess begleitet und mitgeprägt.

»Ich bin mir relativ sicher, dass der Prozess ohne die Nebenklage schon längst vorbei wäre«, sagt Nebenklägerin Christina Feist, »und dass wir immer noch im Narrativ eines Einzeltäters, eines Einzelfalls und vielleicht auch eines Missverständnisses feststecken würden.«

Stimme Den meisten Nebenklägern gehe es vor allem darum, eines deutlich zu machen: »Das ist kein Einzeltäter, das ist kein Einzelfall, und wir sprechen hier von einem größeren Ganzen, von einem großen Antisemitismus- und Rassismusproblem, von einem Problem mit rechten Ideologien. Ich glaube, das wäre ohne die Stimme der Nebenkläger vollkommen untergegangen«, so Feist.

Die Gesellschaft will das Ausmaß des Antisemitismus nicht wahrhaben.

Auch die Rechtsanwältin Kati Lang, die neben Feist noch drei weitere Opfer des Anschlags vertritt, glaubt, dass die Nebenklage viel erreicht hat, etwa, dass »die Betroffenen selbst zu Wort gekommen sind, im Verfahren einen umfangreichen Platz für ihre Perspektive geschaffen und auch genommen wurde, dass die Ideologie der Tat, insbesondere durch Sachverständige der Nebenklage, aufgearbeitet wurde, auch: Wie war so eine Internet-Radikalisierung möglich? Und dass die Kritik an der Polizei und den Ermittlungsbehörden Gegenstand des Verfahrens geworden ist«.

RICHTERIN Tatsächlich haben Experten ohne Ermittlungsbefugnisse, wie etwa die von der Nebenklage geladene Fachjournalistin Karolin Schwarz, die zu Rechtsextremismus im Internet arbeitet, mehr Informationen zum Hintergrund der Tat beisteuern können als das mit den Ermittlungen betraute, aber offenbar völlig überforderte Bundeskriminalamt, das es sogar versäumte, öffentlich zugängliche Beweise zu sichern.

Viele der Überlebenden des Anschlags machten in ihren Schlussplädoyers ihrem Frust über die Unwissenheit und den Unwillen der Behörden Luft. Und sie haben gezeigt, was es mit Menschen macht, wenn sie Opfer eines Terroranschlags werden. Ermöglicht hat das nicht nur die Resilienz der Überlebenden, sondern auch die Prozessführung der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens.

»Das ist kein Einzelfall, und wir sprechen hier von einem großen Antisemitismus- und Rassismusproblem, das wäre ohne die Stimme der Nebenkläger vollkommen untergegangen.«

Christina Feist

»Wir haben sehr eindrucksvolle Plädoyers gehört. Daran ist auch zu sehen, wie wichtig es den einzelnen Nebenklägern ist, noch einmal das eigene Wort zu setzen«, sagt Marina Chernivsky, Geschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK, die einige der Nebenklägerinnen und Nebenkläger nach dem Anschlag begleitet hat, und sieht darin eine selbstverständliche Reaktion auf extreme Gewalt und Unrechtserfahrungen. »Das ist eine Zurückgewinnung der eigenen Handlungsmacht und eine Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen.«

ENTSCHEIDUNG Gleichzeitig warnt sie davor, die Nebenklage ausschließlich aus der psychologischen Perspektive zu betrachten. »Da ist auch eine bewusste Entscheidung, im Prozess aktiv mitzuwirken. Viele Nebenklägerinnen und Nebenkläger setzen sich dafür ein, die juristische und politische Aufarbeitung voranzutreiben, nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte Gesellschaft.«

Aus den Plädoyers wird auch deutlich, dass die Überlebenden den Tag des Anschlags und die Zeit danach durchaus unterschiedlich erleben: So schilderte die Rechtsanwältin eines Arbeitskollegen des im »Kiez-Döner« ermordeten Kevin Schwarze, dass dieser sich immer noch selbst die Schuld am Tod des 20-Jährigen gibt.

Der Hallenser Gemeindevorsitzende Max Privorozki betonte, dass die Gemeinde viel Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft erfahren habe.

Der Hallenser Gemeindevorsitzende Max Privorozki betonte, dass die Gemeinde viel Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft erfahren habe. Anastassia Pletoukhina, die den Anschlag ebenfalls in der Synagoge überlebte, erzählt dagegen von der Entfremdung von Freunden, die nicht glauben können, dass der Antisemitismus im Land wirklich so schlimm ist.

Christina Feist hat ähnliche Erfahrungen gemacht. »Die Leute wollen es einfach nicht glauben«, sagt sie mit Blick auf die zahlreichen Nachrichten, die sie im Internet erreichen, in denen die Menschen immer wieder bezweifeln, dass Antisemitismus in Deutschland so ein großes Problem ist. »Das ist nicht nur ein Bildungsmangel, den es da gibt, das ist ein Unwille und ein nicht vorhandener Mut, sich das einzugestehen und da wirklich hinzuschauen.«

SOLIDARITÄT Bemerkenswert ist auch die Solidarität, mit der viele der Nebenkläger zusammenstehen: Immer wieder fordern sie, dass auch die Taten gegen Ismet Tekin und Aftax Ibrahim als Mordversuch gewertet werden, um das Leiden der beiden auch juristisch anzuerkennen. Und immer wieder nennen sie die Namen derer, die an diesem Tag ihr Leben lassen mussten: Kevin Schwarze und Jana Lange.

Die Nebenkläger fürchten, dass die Gefahr rechter Ideologien wieder in Vergessenheit gerät.

Die Überlebenden des Attentats von Halle haben im Gerichtssaal viel Raum bekommen, ihre Sicht der Dinge zu schildern – ob die deutsche Mehrheitsgesellschaft wirklich zugehört hat, ist nicht sicher. Christina Feist fürchtet, dass Antisemitismus und rechte Ideologien nach Prozessende wieder in Vergessenheit geraten. Auch deshalb hat sie sich entschieden, ein Schlussplädoyer zu halten, um jeden einzelnen aufzufordern, sich Antisemitismus und rechten Ideologien mit Wort und Tat entgegenzustellen, denn: »Schweigen ist keine Option.«

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