NRW

»Jeden Fall prüfen«

»Rechtsextrem, linksextrem oder aus dem Ausland importiert – Antisemitismus hat unterschiedliche Facetten«: NRW-Innenminister Herbert Reul Foto: imago images/Rüdiger Wölk

Herr Reul, nur durch Zufall ist im September eine antisemitische, rechte Chatgruppe bei der NRW-Polizei aufgeflogen. Inzwischen gibt es schon 200 Fälle.
Kommissar Zufall hilft uns oft, strafbare Taten aufzuklären. Bei 56.000 Polizeibeamtinnen und -beamten, die Teil unserer Gesellschaft sind, besteht immer die Gefahr, dass darunter auch Rechtsextremisten, Rassisten und Antisemiten sind. Dass diese Chatgruppe existierte, hat mich sehr erschüttert. Die 200 Hinweise, über die wir jetzt sprechen, haben uns übrigens in der Zeit von Anfang 2017 bis heute erreicht.

Sie gelten als jemand, der auf seine Beamten nichts kommen lässt. Haben Sie den Glauben an Ihre Untergebenen verloren?
Nein. 56.000 Beschäftigte und 200 Fälle – in Relation gesetzt, sind dies wenige Vorkommnisse. Aber ich habe einen anderen Maßstab: Schon ein Fall ist einer zu viel.

Muss die Öffentlichkeit noch mit weiteren unliebsamen Nachrichten in dieser Causa rechnen?
Das möchte ich nicht ausschließen. Wer ermittelt und sucht, muss damit rechnen, dass er fündig wird. Ich hoffe allerdings, dass durch meinen Umgang mit der Sache die Aufmerksamkeit innerhalb der Sicherheitsbehörde größer wird und die Nachdenklichkeit derjenigen zunimmt, die bisher damit leichtfertig umgegangen sind. Ich hoffe, es gelingt mir, die Guten von den Antisemiten und Rassisten zu trennen. Gutgläubigkeit und falsch verstandene Kameradschaft gelten nicht bei der NRW-Polizei. Jedem sollte klar sein: Antisemiten und Rassisten haben bei der Polizei nichts zu suchen. Auch den Mitläufern muss das klar sein. Aus der deutschen Geschichte wissen wir: Wer schweigt, macht sich auch schuldig. Auch wenn einige Fälle disziplinar- und strafrechtlich genau abgewogen werden müssen, ist dies keine juristische, sondern eine politisch-inhaltliche Frage. Wenn nur zwei Beamte antisemitische oder rassistische Chats austauschen, wird das nicht mehr geduldet.

Waren beschuldigte Beamte in Sicherheits­maßnahmen jüdischer Einrichtungen involviert oder hatten davon Kenntnis?
Nach bisherigem Kenntnisstand kann ich dies verneinen. Eine Ausnahme bildet in der Vergangenheit eine Gruppe von Beamten, die auch vor der Aachener Synagoge Dienst verrichtet haben. Dort wurden Filmzitate mit Bezug zum Nationalsozialismus in tendenziöser Weise über Funk verbreitet.

Wie wollen Sie künftig gegen antisemitische Chatgruppen und rechte Kameradschaften innerhalb der Polizei vorgehen?
Nicht Kontrolle verhindert solche Chatgruppen, sondern ein Klima innerhalb des Sicherheitsapparates, indem antisemitische oder rassistische Verhaltensweisen oder Äußerungen von Kollegen nicht akzeptiert und von den vorgesetzten Instanzen nicht geduldet werden. Wir müssen Überzeugung und ein Klima schaffen, in dem jeder und jede auf den anderen und die andere aufpasst.

Aus »Kameradschaft« sind Kolleginnen und Kollegen über antisemitische und rassistische Posts diskret hinweggegangen. Wie wollen Sie das Schweigen aufbrechen?
Indem ich diese Vorfälle öffentlich gemacht habe, dürfte jedem klar geworden sein, dass es kein Schweigen und Verschweigen mehr geben darf. Ich führe derzeit zahlreiche, wenn auch durch die Corona-Beschränkungen erschwerte Gespräche in Gruppen mit der mittleren und höheren Führungsebene, um meine Haltung deutlich zu machen und darüber zu diskutieren. Nur so geht es. Wer danach nicht begriffen hat, worum es geht, der wird Konsequenzen spüren.

Jetzt soll eine Polizeiinstitution einen kritischen Blick nach rechts auf die Polizei werfen. Würde es nicht mehr Vertrauen schaffen, wenn Sie damit unabhängige Forscher beauftragen würden?
Für mich schließt das eine das andere nicht aus. Für eine Untersuchung sind Personen notwendig, die sich in der Polizei auskennen, und ich brauche den wissenschaftlichen Sachverstand von außen. Die von mir geschaffene Stabsstelle hat die Aufgabe, innerhalb der Polizei zu ermitteln, dabei kann sie externen Sachverstand zu Hilfe nehmen. Es werden Studien, die bereits existieren, ausgewertet und Gespräche mit Wissenschaftlern geführt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stabsstelle haben die Freiheit, wenn nötig zu bestimmten Fragen Studien zu vergeben. Außerdem werde ich mich der Studie des Bundesinnenministeriums anschließen. Seit 2018 wird übrigens jeder bei uns in NRW durch den Verfassungsschutz überprüft. Seit dem Frühjahr 2020 gibt es in jeder Polizeibehörde einen Extremismusbeauftragten, der auch Aufklärungsarbeit in den Behörden leisten soll.

In Hessen hat eine, wenn auch nicht repräsentative Umfrage ergeben, dass jeder fünfte Beamte »verfestigte fremdenfeindliche oder rassistische Einstellungen« hatte. Könnte das auch auf Nordrhein-Westfalen zutreffen?
Ich möchte keinen einzigen Beamten mit solch einer Einstellung haben. Das will ich noch einmal deutlich machen, und dafür brauche ich 56.000 Helferinnen und Helfer. Wenn antisemitische oder fremdenfeindliche Fälle bekannt werden, muss eindeutig gehandelt werden. Deshalb klären wir sehr sorgfältig innerhalb der Sicherheitsbehörden auf und prüfen jeden Einzelfall. Aber wir werden keinen Fall dulden. Jede Polizistin und jeder Polizist in NRW kennt meine klare Haltung.

Mit dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen (CDU) sprach Hans-Ulrich Dillmann.

Australien

Polizei: Angreifer in Sydney waren Vater und Sohn 

Weitere Details des judenfeindlichen Terroranschlags werden bekannt

von Denise Sternberg  14.12.2025

Hintergrund

Der Held von Sydney

Laut australischen Medien handelt es sich um einen 43-jährigen muslimischen Vater von zwei Kindern, der einen Laden für lokale Produkte betreibt

 14.12.2025

Jerusalem

Israels Regierungschef wirft Australien Tatenlosigkeit gegen Judenhass vor

Nach einem Anschlag in Sydney fordert Netanjahu von Australien entschlosseneres Handeln gegen Judenhass. Er macht der Regierung einen schweren Vorwurf

 14.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert