Gedenkstätten

In der Pflicht

Ähnliche Schrecken, gleiches Gedenken? KZ Sachsenhausen und sowjetisches Speziallager Nr. 7 Foto: Heide Sobotka

»Die Einschätzung von Prof. Dr. Habbo Knoch trifft nicht zu.« Mit dieser lapidaren Feststellung beginnt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion. Die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag hatte sich vor einem Vierteljahr durch eine Analyse in der Jüdischen Allgemeinen alarmiert gefühlt.

Darin hatte der Historiker Habbo Knoch kein gutes Haar an der gedenkpolitischen Ausrichtung der schwarz-roten Bundesregierung gelassen. »Im Koalitionsvertrag spielt die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen keine besondere Rolle«, schrieb der damalige Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in seinem Beitrag.

gleichsetzung Knoch, inzwischen Professor in Köln, befürchtete im Rahmen einer neuen Gedenkstättenkonzeption die Gleichsetzung »von NS-Verbrechen und SED-Unrecht« und kam zu dem Schluss: »Hier wird ein geschichtspolitischer Paradigmenwechsel vollzogen.« Eine Einschätzung, die man bei der Bundestagsfraktion der Linkspartei teilte, die deshalb eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung formulierte.

Tatsächlich, so die Vorhaltung in der Anfrage, finde »sich zum Thema NS-Vergangenheit sehr wenig im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD«. Nachholbedarf im Bereich der Erinnerungspo- litik sehe die Große Koalition offenbar nur bei der Erinnerung an SED-Unrecht. Dabei sei, so die Linksfraktion, beim Gedenken an den Nationalsozialismus keineswegs alles in Ordnung. Moniert wurden vor allem die mangelnde finanzielle Ausstattung von NS-Gedenkstätten, die bis heute fehlende Entschädigung für sowjetische Kriegsgefangene, die zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, sowie der geplante Gedenktag zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung.

vertrag »Der Behauptung, der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bedeute einen ›geschichtspolitischen Paradigmenwechsel‹, tritt die Bundesregierung entschieden entgegen«, heißt es in der nun veröffentlichten Antwort. Vielmehr stelle der Koalitionsvertrag eindeutig klar, dass »die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und den Widerstand gegen das NS-Regime auch künftig wachgehalten werden« solle.

Schwarz-Rot halte die finanzielle und personelle Ausstattung in den vom Bund mitgeförderten Gedenkstätten zu den NS-Verbrechen »grundsätzlich für ausreichend«. Eine Förderungsverlagerung hin zu den Täterorten habe es nicht gegeben und sei auch nicht vorgesehen. Eine Förderung von sogenannten Täterorten sei lediglich nicht ausgeschlossen.

In ihrer Antwort räumt die Bundesregierung aber auch ein, sie strebe »keine Form der Entschädigung bzw. eines finanziellen Ausgleichs für die sowjetischen Kriegsgefangenen an, die Zwangsarbeit leisten mussten und im Rahmen der Zwangsarbeiterentschädigung leer ausgingen«. Auch den umstrittenen Gedenktag zur »Erinnerung an Flucht und Vertreibung« solle es gemäß Koalitionsvertrag geben, die Beratungen dazu seien aber noch nicht abgeschlossen.

Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion, kritisiert die Antwort der Bundesregierung heftig: »Die Erinnerung an die NS-Vergangenheit wird von der Bundesregierung nur noch als Pflichtaufgabe wahrgenommen«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. »Weder sieht die Große Koalition Handlungsbedarf bei der Finanzierung der NS-Gedenkstätten, die seit Jahren aufgrund der erfreulich großen Nachfrage nach Führungen und pädagogischer Begleitung an der Grenze ihrer Belastbarkeit stehen, noch will sie etwas für die Gruppen von NS-Opfern tun, die bis heute ohne jede Entschädigung geblieben sind.«

zwangsarbeiter Es sei beschämend, dass die zur Zwangsarbeit gezwungenen sowjetischen Kriegsgefangenen bis heute von jeder Form der Entschädigung ausgeschlossen worden seien. »Die Bundesregierung will dieses Unrecht fortsetzen«, kritisiert Korte. Mit dem Gedenktag zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung und dem parallel entstehenden Museum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Erinnerung finde genau der Paradigmenwechsel statt, vor dem Knoch im Januar gewarnt habe.

Auch Volker Beck geht mit der Gedenkpolitik von Schwarz-Rot hart ins Gericht. Der Jüdischen Allgemeinen sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, die Erinnerung an die NS-Verbrechen spiele in der Großen Koalition »eine immer geringere Rolle«. Man müsse die Bundesregierung davor warnen, das Schicksal der deutschen Vertriebenen zu dekontextualisieren und sich von geschichtsrevisionistischen Thesen aus dem Umfeld von Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach instrumentalisieren zu lassen.

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  04.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Innere Sicherheit

Dschihadistisch motivierter Anschlag geplant: Spezialeinsatzkommando nimmt Syrer in Berlin-Neukölln fest 

Nach Informationen der »Bild« soll der Mann ein Ziel in Berlin im Blick gehabt haben

 02.11.2025 Aktualisiert

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  02.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Ich kann euch nicht hören

Während im Sudan die schwerste humanitäre Krise der Welt tobt, schweigen die selbst ernannten Menschenrechts-Demonstranten in Europa und auf der Welt

von Sophie Albers Ben Chamo  02.11.2025

Berlin/München

Nach Terror-Skandal beim ZDF: ARD überprüft Mitarbeiter in Gaza

Alle in Gaza tätigen Mitarbeiter hätten versichert, keinerlei Nähe zu Terrororganisationen zu haben, sagt der zuständige Bayerische Rundfunk

 02.11.2025 Aktualisiert