Atomgespräche

Im eigenen Interesse

Verhandlungen über das Atomabkommen in Wien, 3. Dezember 2021 Foto: imago images/Xinhua

Während ihrer ersten USA-Reise als Bundesaußenministerin machte Annalena Baerbock unmissverständlich deutlich, die Bundesregierung erwarte, an den amerikanisch-russischen Gesprächen über das Schicksal der Ukraine beteiligt zu werden. Das Anliegen Berlins und der EU ist berechtigt. Denn Deutschland und die Europäische Union sind von den Ereignissen in ihren osteuropäischen Nachbarländern betroffen.

Dies sollte für Frau Baerbock, für die Bundesregierung und ihre europäischen Partner Anlass sein, auch ihre Haltung zu den Atomabrüstungs-Gesprächen mit Teheran über ein Abkommen zur Verhinderung des Baus iranischer Atomwaffen (JCPoA) strategisch zu überdenken.

vereinbarung Dies war das Ziel der 2015 abgeschlossenen Vereinbarung zwischen den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern plus Deutschland mit Teheran. Doch zahlreiche Informationen, unter anderem der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), verifizieren Anstrengungen Teherans, atomare Waffen zu konstruieren. Das unverhohlen verkündete Ziel des Mullah-Regimes ist die Vernichtung Israels.

Teheran weigert sich kategorisch, Israels Existenzrecht anzuerkennen oder auch nur mit dem jüdischen Staat zu verhandeln.

Die politische Logik hätte daher erheischt, das bedrohte Israel an den Verhandlungen zu beteiligen. Dies geschah jedoch vor und nach 2015 nicht. Denn Teheran weigert sich kategorisch, Israels Existenzrecht anzuerkennen oder auch nur mit dem jüdischen Staat zu verhandeln.

Die westlichen Verhandlungspartner vertreten dagegen öffentlich einen anderen Standpunkt. Speziell Deutschland. Den politisch-moralischen Rahmen setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 vor der Knesset. Dabei betonte die Regierungschefin in Bezug auf die Vernichtungsdrohungen Teherans gegenüber Jerusalem unmissverständlich die »besondere historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels«.

staatsräson Merkel konkretisierte ihre Worte: »Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.«

Merkel hatte ihre Worte im israelischen Parlament gewiss im Gedächtnis, als ihr Außenminister, der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Jahre später das JCPoA-Abkommen mit Teheran aushandelte. Die Absicht Deutschlands und zumindest seiner westlichen Partner war gewiss honorig: zu verhindern, dass Iran Nuklearwaffen erwarb, mit denen es Israel bedrohen, ja zerstören könnte. Aber gerade deshalb hätte man Zion als gefährdeten Staat, um dessen Schicksal es ging, an den Gesprächen beteiligen müssen. Ebendies hatte Merkel vor der Knesset versichert: »Die Sicherheit Israels ist für mich … niemals verhandelbar.« Worte, Worte …

Es steht zu befürchten, dass Rücksichtslosigkeit belohnt wird.

Das Verhalten Deutschlands glich 2015 dem der Vereinigten Staaten. Es bedeutete, wir Amerikaner und Deutsche – von Franzosen, Briten, Russen und Chinesen ganz zu schweigen – wissen besser, was für Israels Sicherheit entscheidend ist, als die Israelis selbst. Israel sähe gerne ein Abkommen mit Iran, das ein Ende der atomaren Pläne bedeutet hätte. Doch ebendies brachten die ständigen Sicherheitsratsmitglieder plus Deutschland nicht zustande.

trägerraketen Ihnen gelang lediglich eine zeitlich begrenzte technische Vereinbarung mit Teheran. Sie verpflichtet Iran nur für ein Jahrzehnt, Uran nicht über ein gewisses Maß anzureichern. Die Entwicklung von Trägerraketen für Atomsprengköpfe dagegen bleibt Teheran erlaubt. Ein politisches Abkommen kam nicht zustande, konnte nicht gelingen, denn dies wäre zumindest indirekt einer Anerkennung Israels durch Iran gleichgekommen.

US-Präsident Trump wollte durchaus zu einem »Deal« mit Teheran gelangen. Seine Bedingung: Ihr macht Frieden mit uns und erkennt Israel an, dafür geben wir euch eure eingefrorenen Milliarden plus Wirtschaftshilfe. Da Teheran sich nicht darauf einließ, kündigte Washington 2018 JCPoA und zog die Wirtschaftssanktionen an. Die übrigen Unterzeichner baten Teheran inständig, an dem Abkommen festzuhalten. Doch Iran dachte nicht daran. Teheran reichert seither Uran immer weiter an, es fehlt nicht viel zur Kernwaffenfähigkeit.

Israel hat deutlich gemacht, dass es nicht bereit ist, unter der Drohung iranischer Kernwaffen zu leben. Das ist ein legitimes Interesse.

Nun wird in Wien erneut über eine Erneuerung der JCPoA-Vereinbarung verhandelt. Israels als bedrohter Staat ist wieder nicht dabei – wie 1938 die Tschechoslowakei beim Münchner Abkommen. Das ermutigte Hitler zu weiteren Aggressionen. Ergebnis war der Zweite Weltkrieg. Heute erlaubt Teheran nicht einmal den USA, am Tisch zu sitzen. Die Verhandlungspartner, einschließlich der USA, nehmen es hin.

sanktionen Teheran könnte sofort den Deal bekommen, plus eine Freigabe der Gelder und eine Aufhebung der Sanktionen. Die marode Wirtschaft braucht es, mehr noch die verarmte Bevölkerung. Man müsste lediglich das eigene Atomwaffenprogramm aussetzen. Doch Iran pokert weiter. Es setzt darauf, dass die westlichen Beschwichtiger nachgeben werden. Es steht zu befürchten, dass diese Rücksichtslosigkeit belohnt wird.

Israel hat deutlich gemacht, dass es nicht bereit ist, unter der Drohung iranischer Kernwaffen zu leben. Das ist ein legitimes Interesse. Deutschland sollte, gerade im Licht der Bedrohung der Ukraine durch Russland, Verständnis für die Haltung Jerusalems haben. Berlin sollte sich im eigenen Interesse und in jenem des Weltfriedens der Sicherheit Israels verpflichtet fühlen.

Der Autor ist Historiker, Politologe und Schriftsteller. In Kürze erscheint der dritte Teil seiner Familiensaga »Rafi, Judenbub«.

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025