Augstein-Debatte

Hass hat Zukunft

»Mit seinem Gedicht ›Was gesagt werden muss‹ liegt Günter Grass richtig«: Diesem Satz von Jakob Augstein pflichten viele bei. Foto: dpa

In der guten alten schlechten Zeit, als es noch Kaiser und Könige gab, war Antisemitismus kein Schimpfwort. Die Antisemiten nannten sich selbst so. Im Deutschen Reich gab es die »Antisemitenliga« des Wilhelm Marr; in der Donaumonarchie gingen die »Alldeutschen« des Georg von Schönerer auf Stimmenfang.

Die sogenannte Judenfrage wurde in Zeitungen und Journalen diskutiert wie heute das Ehegattensplitting oder die Zukunft des Euro. Nicht nur die Antisemiten, auch viele Juden waren der Meinung, dass es ein »Judenproblem« gebe. Diese Offenheit hatte mindestens einen Vorteil: Sie ließ erkennen, dass es sich beim Antisemitismus schon immer um einen moralisierenden Diskurs gehandelt hat.

shylock Dieser sprach von Anfang an im Tonfall der Entrüstung. Am schönsten erkennt man dies vielleicht in Shakespeares Stück Der Kaufmann von Venedig. Im Namen welches Gutes wird der Jude Shylock dort verurteilt? Im Namen der »quality of mercy«, also der christlichen Milde und Güte. Shylock dagegen hält das Messer in der Hand und will sein Pfund Menschenfleisch – er verkörpert das Böse, Satanische, die »alttestamentarische« Rachsucht. Am Schluss muss er im Staub kriechen und sagen: »Ich bin zufrieden.« Denn die christliche Milde ist gnadenlos.

Mit diesem – sit venia verbo – unschuldigen Antisemitismus war es im selben Moment vorbei, als nach dem Zweiten Weltkrieg in den Wochenschauen die Bilder von den lebenden Skeletten in der gestreiften Häftlingskleidung auftauchten. Man könnte mit einer gehörigen Portion Sarkasmus sagen: Die Nazis haben dem Antisemitismus einen Bärendienst erwiesen. Seit 1945 wird mit diesem Begriff nur noch eines assoziiert: Massengrab, Krematorium, Gaskammer. Das Ressentiment gegen die Juden wurde darum zum »crime that dare not speak its name«.

paradox Mit diesem Ausdruck bezeichneten die Engländer früher die Homosexualität; sie galt ihnen als dermaßen schrecklich, dass es noch nicht einmal einen richtigen Ausdruck dafür gab. Manche nannten sie »Sodomie«, was eigentlich »Geschlechtsverkehr mit Tieren« hieß. Diese übertriebene Abscheu hatte einen paradoxen Effekt: Schwule konnten in England eine Zeit lang beinahe guten Gewissens schwul sein. Denn wenn »Sodomie« etwas dermaßen Schreckliches und Abscheuliches war, dann hatte das, was man da gerade trieb, doch ganz offensichtlich nichts damit zu tun!

Einen ähnlichen Effekt kann man heute beim Antisemitismus beobachten. Seit er zum »crime that dare not speak its name« wurde, kann man ihn ungehemmt betreiben, wenn man sich nur gleichzeitig tapfer genug von ihm distanziert. Zumal dem Antisemitismus ein moralisierender Diskurs geblieben ist.

logik des ultimatums Der deutsche Journalist Jakob Augstein wurde nicht mit überragenden Geistesgaben gesegnet. Er ist darum gewiss ehrlichen Herzens überzeugt, er sei kein Antisemit. Augstein junior hat nur geschrieben, dass Israel der Welt eine »Logik des Ultimatums« aufgedrängt habe, dass die Gewalt in Libyen, im Sudan und im Jemen den amerikanischen Republikanern und der israelischen Regierung nütze, dass Israel durch eigene Schuld seine Legitimität, also sein Lebensrecht, verliere, dass die Ultrafrommen in Israel auf derselben moralischen Stufe stünden wie mordende islamische Fanatiker, dass der Gazastreifen ein Lager sei und dass Israel seine eigenen Gegner ausbrüte. (Mit dem Verb »ausbrüten« wird der Judenstaat endgültig in den Bereich des Tierischen, Krokodilhaften gerückt.)

Nun gibt es jene, die Jakob Augstein mit dem Hinweis verteidigen, bei dem, was er geschrieben habe, handle es sich einfach um Unsinn. Das stimmt zwar, man sollte aber doch auf der Feststellung beharren, dass es antisemitischer Unsinn ist.

kritik Man kann Jakob Augstein nicht kritisieren, denn er ist unter aller Kritik. Kritikwürdig sind lediglich seine Gegner. Henryk M. Broder etwa: Er ist mit diesem Mann am Anfang viel zu nett, viel zu nachsichtig umgegangen. Der offene Brief, den er ihm in der »Welt« geschrieben hat, war eigentlich ein Liebesbrief.

Kritisieren kann man auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles, das ihn auf eine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten des Jahres 2012 gesetzt hat. Zu viel der Ehre! Machen wir uns aber nichts vor: Jakob Augsteins Meinungen werden von einer Mehrheit der Deutschen, wahrscheinlich auch der Europäer, geteilt.

schande Im gesamten Œuvre dieses Mannes gibt es nur einen Satz, über den nachzudenken sich lohnt: »Früher war es eine Schande, für einen Antisemiten gehalten zu werden. Heute muss man einen solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen.« Hiermit sei eine Prophezeiung gewagt. Das Wort »Antisemit« wird noch zu Lebzeiten des Schreibers dieser Zeilen (Jahrgang 1965) in Europa rehabilitiert werden. Die Feinde der Juden werden sich also künftig wieder stolz dazu bekennen, welche zu sein.

»The crime that dare not speak its name« wird aus der Namenlosigkeit auftauchen. Das Einzige, was dies verhindern könnte: wenn dem Staat der Juden – was Gott und die israelischen Streitkräfte verhindern mögen – etwas Ernsthaftes zustoßen, also an der Stelle, wo heute Tel Aviv liegt, morgen eine radioaktive Kuhle gähnen sollte. In diesem Fall gäbe es hinterher wieder circa eine Generation lang Krokodilstränen.

Israel

Steinmeier verteidigt Treffen mit Netanjahu

Der Bundespräsident erteilt den Forderungen von Amnesty International eine klare Absage

 13.05.2025

Meinung

Bruch von Weimer mit Roths Politik: Ein notwendiger Neuanfang

Selten haben so viele kultivierte Menschen einen Kulturstaatsminister so heftig kritisiert wie Wolfram Weimer. Dabei hat er innerhalb von wenigen Tagen gleich zwei wichtige Zeichen gesetzt

von Maria Ossowski  13.05.2025

Budapest

Acht Israelis von deutschen Touristen angegriffen

Eines der Opfer: »Mein Gesicht war zerkratzt und meine Brille und Kippa waren weg.«

 13.05.2025

Debatte

CSU-Landesgruppenchef nennt Linke »antisemitisch«

In der vergangenen Woche hat die Union bei der Kanzlerwahl in einer Verfahrensfrage zusammen mit der Linken gestimmt. Das soll aber die absolute Ausnahme bleiben

 13.05.2025

Jubiläum

Steinmeier beginnt zweitägigen Besuch in Israel

Erst besucht Israels Präsident Herzog Berlin, jetzt Bundespräsident Steinmeier Jerusalem. Er will sich dort auch mit Israels Regierungschef Netanyahu treffen – obwohl ihm davon abgeraten wird

 13.05.2025

Prozess

Verfahren um Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge beginnt

Der Angeklagte ist vermutlich psychisch schwer erkrankt und war zur Tatzeit unter Umständen schuldunfähig

 13.05.2025

Den Haag

Bericht: Khan beantragte Haftbefehle aus politischen Motiven

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs wollte durch seine Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant Druck auf Israel ausüben, so ein westlicher Diplomat der »Jerusalem Post«

 13.05.2025

Berlin

Dobrindt verbietet »Königreich Deutschland«

Laut Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sind die von den Reichsbürgern verbreiteten antisemitischen Verschwörungsmythen einer der Gründe für das Verbot

 13.05.2025

Meinung

Die Linkspartei, ihr Bundesparteitag und der Abschied vom Eintreten gegen Judenhass

Wer sich als vorgeblich sozialistische Partei mit einer Bewegung solidarisiert, die Frauen steinigt, Homosexuelle verbrennt und den Judenmord als oberstes Ziel ihrer Bemühungen proklamiert, hat keine Ehre. Ein Kommentar von Andrej Hermlin

von Andrej Hermlin  13.05.2025 Aktualisiert