Niederlande

Harter Schnitt

Ein Museum? Hier? Nein, danach sieht es nicht aus. Drüben in der Halle stapeln sich Roastbeef, Lammschultern und Koteletts in grauen Kisten, fertig verpackt für diese Woche sind Pökelfleisch und Ochsenwurst, und auch die Hackbällchen, eine Spezialität des Hauses. Mitarbeiter tragen die Ware in den Lagerraum, zwei Männer und eine Frau in weißen Overalls sind hinter einer Scheibe mit den letzten Zuschnitten beschäftigt. Radiomusik schallt herüber, leichter Sommerpop auf Niederländisch, und Luuk Koole, der in der winzigen Kantine sitzt, hat nicht gerade schlechte Laune.

Nein, er glaubt nicht, dass er seine Metzgerei bald dichtmachen muss. Und auch nicht, dass diese dann der Ort wird, wo früher einmal der letzte koschere Fleischer des Landes seinem Handwerk nachging.

betäubung Dabei ist es erst zwei Tage her, dass das Parlament in Den Haag einen Beschluss fasste, der für Luuk Kooles berufliche Zukunft verhängnisvoll werden könnte: Geschlachtet, so die Meinung der meisten Abgeordneten, wird von nun an nur noch mit Betäubung, keine Ausnahmen mehr soll es geben, nicht für die eine Million Muslime, auch nicht für die 50.000 Juden – es sei denn, sie können wissenschaftlich beweisen, dass ihre Schlachtmethoden den Tieren eben doch nicht mehr Leid zufügen als die herkömmlichen.

Ein Schockzustand lässt sich dennoch nicht feststellen bei Luuk Koole, dem Betriebsleiter der Fleischerei Marcus, der einzigen koscheren zwischen Groningen und Maastricht. »Es zeichnete sich ab, dass sie für ein Verbot stimmen würden.« Mit seinen Mitarbeitern verfolgte er die Abstimmung im Internet. Enttäuscht jedoch ist er sehr wohl. »So ein Stück Religionsfreiheit ist schon schön«, sagt er lapidar und nimmt einen Schluck Kaffee. Eingepackte Butterbrote liegen auf dem Tisch, daneben ein ausrangiertes Messer.

Ein Reiher sitzt auf dem Dach des städtischen Schlachthauses gegenüber, dort, wo die Schechita durchgeführt wird. Von einem Schechot der Gemeinde, im Übrigen, denn der Chef der Fleischerei könnte ja aus finanziellem Interesse eine entspanntere Definition koscheren Viehs anwenden.

Was macht Luuk Koole, 52 Jahre alt und seit gut zwei Jahrzehnten im Amt, so zuversichtlich, dass dies so bleibt? Der freundliche Blick unter den blonden Brauen wird bestimmt. »Immerhin gibt es eine Befreiung vom Verbot«, sagt er mit seinem schweren Amsterdamer Akzent. »Wir haben eine vorschriftsmäßige, eine ruhige, humane Art des Schlachtens. Und das muss zu beweisen sein!« Wie, das ist Luuk Koole noch nicht klar.

kontakte Die Amsterdamer Jüdische Gemeinde ist zur Zeit damit beschäftigt, zu forschen und entsprechende Kontakte zu knüpfen. Auch auf den Senat, die andere Parlamentskammer, setzt er noch Hoffnung. Und auf den Prozess, den der Verband orthodoxer Gemeinden gegen die Universität Wageningen angestrengt hat, laut deren Gutachten bei unbetäubtem Schlachten die Tiere unnötig leiden.

Abwarten – das ist die Devise auch bei den Mitarbeitern. Wie war das, vorgestern nach der Abstimmung? »Zuerst«, sagt Jan, ein Fünfziger mit Schirmmütze, »hielt ich natürlich mein Herz fest. Aber es gibt ja noch diese Ausnahmen.« Jan ist ebenso wenig Jude wie der Rest der achtköpfigen Belegschaft der Slagerij Marcus – »schon seit 50 Jahren ihre Adresse für die leckerste koschere Ochsenwurst und Pökelfleisch«, wie es ein Schild draußen über dem Eingang verkündet.

Warum arbeitet er eigentlich in einer koscheren Fleischerei? »Weil ich mich für jüdische Dinge interessiere«, kommt es selbstverständlich zurück. »Oder war es nur wegen der schönen Frau in unserem Geschäft?«, frotzelt sein Chef. Luuk Koole, der zuvor in einem nicht-jüdischen Betrieb arbeitete, räumt bereitwillig ein, einst vor allem des freien Samstags wegen bei der Firma Marcus begonnen zu haben. »Am Samstag nicht arbeiten zu müssen, das schien mir sehr angenehm.«

handwerk Dass seine Mitarbeiter bei ihm anheuerten, dafür hat Koole aber auch eine ernsthafte Erklärung. »Wir sind noch ein echter Fleischerbetrieb«, sagt er voll Überzeugung. »Alles wird hier handwerklich verarbeitet.«

Montags ist Schlachttag, dienstags wird das Fleisch mit Salz und Wasser koscher gemacht, Innereien wie Hühnerleber werden überm offenen Feuer behandelt, wovon der Rost zeugt, der noch neben der Eingangstür steht. Auch die Pökelmaschine, die nun in einem Nebenraum abgestellt ist, hat zu Wochenbeginn ihren Einsatz. Die übrigen Tage sind der Verarbeitung gewidmet: die groben Handgriffe in der Halle, in der eine große Wanne und eine massive rote Hackplatte stehen, die feineren in einem abgetrennten Raum.

»Sechs bis acht Kälber, fünf bis acht Jungstierchen, sieben bis acht Lämmchen« – das ist die Wochenproduktion imHause Marcus. Als Luuk Koole in den 80er-Jahren dort begann, gab es noch einen weiteren koscheren Fleischer in der Stadt, und dazu einen in Rotterdam. Für letzteren wurde die dortige Gemeinde bald darauf zu klein, und auch der einheimische Konkurrent gab etwas später auf. Seither ist die Slagerij Marcus wie eine Zentrifuge: das meiste Fleisch, das in jüdischen Haushalten der Niederlande auf den Tisch kommt, stammt aus ihren Räumen.

muslime Ganz in der Nähe auf dem Terrain des Amsterdam Food Center, einer Agglomeration von Großmärkten im Westen der Stadt, findet sich auch ein muslimischer Kollege Luuk Kooles. Beide Betriebe haben nicht sonderlich viel Kontakt; islamische und jüdische Organisationen hingegen protestierten in den letzten Monaten mehrfach gemeinsam und schickten einen offenen Brief an Politiker.

Unterzeichnet wurde dieser auch durch den Kooperationsverband der Marokkaner in den Niederlanden (SMN). Die Abstimmung nennt der SMN nun einen Eingriff in die Religionsfreiheit. Allerdings gibt man sich auch kämpferisch. »Der Ball liegt jetzt bei den religiösen Gemeinschaften.« Und dem stimmt wiederum Luuk Koole zu: »Das Verbot ist noch lange nicht wirksam.«

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