Kopftuch-Debatte

Gesetz für Mädchen

Österreichische Grundschülerinnen dürfen künftig im Unterricht kein Kopftuch tragen. Foto: imago images / imagebroker

Muslimische Mädchen bis zum zehnten Lebensjahr dürfen künftig in Österreich nicht mehr mit einem Kopftuch zum Unterricht erscheinen. Das Tragen von Kippa und Sikh-Turban ist hingegen weiterhin erlaubt. Das Gesetz wurde von der mittlerweile zerbrochenen Koalition von ÖVP und FPÖ noch gemeinsam auf den Weg gebracht. In liberalen Kreisen und von muslimischen Organisationen wird es heftig kritisiert – auch als einseitige religiöse Diskriminierung der in Österreich lebenden Muslime.

In Deutschland hoffen besonders Rechtspopulisten, dass die österreichische Regelung Schule macht. Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Götz Frömming, begrüßte das Gesetz, und die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sieht in ihm einen »vorbildlichen« Anfang: »Über ein Verbot auch in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, also beispielsweise an weiterführenden Schulen, Universitäten oder auch Behörden, muss nachgedacht werden.«

In Deutschland hoffen besonders Rechtspopulisten, dass die österreichische Regelung Schule macht.

Auch der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae, will ein Kopftuchverbot für Mädchen »nicht von vornherein ausschließen«. Das Tragen eines Kopftuches könne »die Integration in den Kreis der Spiel- und Schulkameraden erschweren und Mädchen unfreiwillig sexualisieren«, sagt Thomae. Das »Recht der Kinder auf freie Entfaltung« müsse der Staat im Zweifelsfall auch gegen die Eltern des Kindes verteidigen.

PUBERTÄT Nina Warken, Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfrak­tion, sieht aktuell Diskussionsbedarf, »weil sich muslimische Eltern anscheinend immer öfter dafür entscheiden, dass ihre Töchter bereits im Kindesalter ein Kopftuch tragen« – obwohl dies eigentlich »erst ab der Pubertät« üblich sei.

Angesichts »widerstreitender Grundrechtsgüter« mahnt die CDU-Politikerin jedoch vor einem Kopftuchverbot nicht nur eine sorgfältige Prüfung an, sondern auch eine Debatte, die »respektvoll miteinander« geführt werden soll.

Ablehnend äußert sich Konstantin von Notz, Fraktionsvize von Bündnis 90/Die Grünen. Er hat Bedenken, da es um eine »verfassungsrechtlich offenkundig unzulässige Stigmatisierung einer einzelnen Religion« gehe. »Das wäre integrationspolitisch höchst kontraproduktiv«, sagt von Notz. Linke und SPD im Bundestag beantworteten die Anfrage der Jüdischen Allgemeinen nicht.

kippa Der Sprecher des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten, Abraham de Wolf, lehnt ein Kopftuchverbot wie in Österreich ab. »Die Kippa und das Kopftuch sind gleichwertig als religiöses Brauchtum. Dieses Gesetz behandelt sie aber ungleich: Kippa erlauben und Kopftuch verbieten ist ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die jedes Parlament bindet«, sagt er. »Die Religionsfreiheit gilt auch für Kinder. Also, kein Kopftuchverbot in der Schule.«

Skeptisch zeigt sich auch Rabbiner Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK), gegenüber einer möglichen Einmischung des Staates in die Religion. »Der Staat ist gut beraten, sich nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen, soweit die Grundrechte aller respektiert bleiben«, gibt er als seine persönliche Meinung kund. Dass die Eltern die religiöse Erziehung der Kinder bestimmten, wenn »das Kindeswohl nicht eingeschränkt« wird, gehöre zur Reli­gionsfreiheit.

In dem Verbot vermutet
Rabbiner Andreas Nachama
einen Eingriff in die Religionsfreiheit.

Eine Gratwanderung in der Abschätzung beginnt für Nachama bei der Frage, wo eine Einschränkung des Kindeswohls anfängt und wieweit dies mit der Religionsfreiheit zu vereinbaren ist. Nachama, der auch jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist, hat seine Kinder nicht mit Kippa zur Schule geschickt. »Ein biblisches Gebot zum Tragen der Kippa gibt es nicht«, sagt er und plädiert gleichzeitig dafür, dass »staatliche Räume religiös unbesetzt bleiben«.

BURKA Ganzkörperschleier wie Niqab oder Burka seien für ihn nicht akzeptabel, sagt der Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst. Da könne er ein Verschleierungsverbot nachvollziehen. »Zu einer offenen Gesellschaft gehört ein offenes Gesicht«, betonte Fürst. Aber ein dem österreichischen vergleichbares deutsches Gesetz »ist ein völlig falsches Signal des Staates in die Gesellschaft«.

Zur Religionsfreiheit gehöre auch die Akzeptanz, dass die Religionsgemeinschaften ihre Regeln leben können. Und wenn dazu ein Kopftuch gehöre, so müsse dies als ein die übrige Gesellschaft nicht beeinträchtigender Teil der Religionsausübung erlaubt sein. Wenn schon religiöse Symbole verboten würden, frage er sich, wann es Kippaträger treffen werde. Dies könne schon die Vorstufe eines Schächtverbotes sein. Juden und Muslime müssten aufpassen, dass sie hier nicht auseinanderdividiert werden.

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG), die grundsätzlich gegen jede Einschränkung der Religionsfreiheit ist, hat zum »Kopftuch-Gesetz« bewusst nicht Stellung bezogen. Man wolle nicht in die Debatte eingreifen, da überhaupt nicht geklärt sei, ob muslimische Mädchen im Grundschulalter religiös verpflichtet seien, ein Kopftuch zu tragen, heißt es.

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  24.11.2025

Potsdam

BSW-Fraktionsvize tritt nach Reaktion auf AfD-Zitat zurück

Die Landtagsfraktion in Brandenburg ist nach vier Parteiaustritten in einer Krise. Nun tritt auch noch Fraktionsvize Dorst von seinem Amt zurück. Die Hintergründe

 24.11.2025

Soziale Medien

Plattform X: Israelfeindliche und antisemitische Inhalte aus Pakistan und der Türkei

Ein neues Transparenz-Feature zeigt: Angeblich von westlichen »Israelkritikern« betriebene Konten werden in Wirklichkeit aus anderen Teilen der Welt bearbeitet

 24.11.2025

Washington D.C.

Trump kündigt Einstufung der Muslimbrüder als Terrororganisation an

Der Organisation würde mit diesem Schritt der Zugang zu finanzieller Unterstützung verwehrt. Die Muslimbruderschaft wird immer wieder mit radikalen Ablegern in Verbindung gebracht

 24.11.2025

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025