Essay

Geplatzte Hoffnung

In aller Öffentlichkeit gedemütigt: Wolodymyr Selenskyj (l.) mit Donald Trump im Weißen Haus Foto: picture alliance / Newscom

Der diplomatische Super-GAU, der sich während des Treffens zwischen den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump im Weißen Haus vor wenigen Tagen ereignete, sandte Schockwellen durch die ganze freie Welt. Vor allem in der Ukraine verfolgten die Menschen gebannt jedes Wort und jede Geste im Oval Office, wo vor laufenden Kameras der ukrainische Regierungschef von seinem amerikanischen Gegenüber gedemütigt wurde.

Es wäre gewiss übertrieben zu sagen, dass in diesen Minuten über das Schicksal des Landes entschieden wurde. Aber die Ukrainer werden nun mit den Folgen des Verlustes ihres wohl wichtigsten Verbündeten leben müssen.

Um die Reaktionen auf den spektakulären Clash in Washington besser verstehen zu können, muss man die Hoffnungen der Menschen im Land jedoch in einem größeren zeitlichen Kontext betrachten. Denn spätestens seit dem Moment, in dem klar wurde, dass Trump die Wahlen vom November gewonnen hat, befinden sich die Ukrainer auf einer emotionalen Achterbahnfahrt.

Positionen von Republikanern und Demokraten

Schon vor einem Jahr zeigte sich bei den Debatten im US-Kongress um die Waffenlieferungen, dass sich die Positionen von Republikanern und Demokraten auseinanderentwickelten. Man konnte also annehmen, dass es im Fall eines republikanischen Sieges im November zu einem Kurswechsel kommen könnte. Die vielen Äußerungen von Trump, J. D. Vance und Elon Musk gaben ebenfalls wenig Anlass zum Optimismus.

Es geschah kein Wunder: Trump entpuppte sich als Trump.

Gleichzeitig waren die Ukrainer so verzweifelt, dass sie sich an jeden Strohhalm klammerten. Auch Selenskyj wollte unbedingt den wichtigsten Partner seines Landes bei der Stange halten und bewies viel Kreativität, indem er auch die Themen Mineralien und Seltene Erden mit auf die Agenda setzte – man wollte das Weiße Haus überzeugen, dass ein Überleben der Ukraine wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt.

Selenskyj selbst zog alle Register, sprach Trump weiterhin mit einem Respekt an, der fast schon an Schmeichelei grenzte, und das trotz der lächerlichen Behauptungen, er sei ein »Diktator«, und anderer Lügen. In der Vergangenheit klagten die Ukrainer oft über unzureichende amerikanische Unterstützung, weshalb man sich daran gewöhnt hatte. Sie hofften einfach weiterhin, nicht im Stich gelassen zu werden.

Manche Analysten in der Ukraine argumentierten, Trump könne es sich gar nicht leisten, Wladimir Putin dabei zu helfen, alle seine Forderungen zu erfüllen. Der US-Präsident sei ohnehin nicht in der Lage, den Kremlchef zu beeinflussen. Auf jeden Fall sei er gezwungen, die Unterstützung der Ukraine wiederaufzunehmen, zumindest bis Russland an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Die Amerikaner würden es ohnehin nicht verstehen, wenn ihr Präsident vor dem Diktator klein beigäbe. Daher hatte man in der Ukraine trotz negativer Vorzeichen große Hoffnungen auf ein persönliches Treffen zwischen Selenskyj und Trump gesetzt. Doch es geschah kein Wunder: Trump entpuppte sich als Trump.

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In der Ukraine reagierte man auf das Fiasko im Oval Office geschockt, aber nicht verzweifelt. Fast alle Politiker brachten ihre Unterstützung für Selenskyj zum Ausdruck. Kritik gab es nur am Rande in den sozialen Medien. So hieß es, man solle sich vorstellen, wie der frühere Präsident und Oppositionspolitiker Petro Poroschenko die Situation gemeistert hätte, und sich besser auf den Verhandlungsstil von Trump einstellen sollen, so der Vorwurf. Poroschenko selbst aber betonte, dass er in einer solchen Krisensituation Selenskyj nicht kritisieren würde, und rief zur Einheit auf.

Ähnliches war auch von den Abgeordneten aus der Opposition zu hören. Selbst wenn manche Selenskyjs Reaktionen auf die absurden Unterstellungen seiner Gesprächspartner für übertrieben halten, so sieht die absolute Mehrheit in der Ukraine darin den Versuch, die eigene Würde zu bewahren. Sogar Gegner Selenskyjs sahen in den Beleidigungen gegen den Präsidenten einen Angriff auf den Staat. Im mittlerweile vierten Kriegsjahr reagiert man auf solche Angriffe empfindlich.

Das alles lässt die Bevölkerung und ihre Führung enger zusammenrücken. Sprach man vor wenigen Wochen noch von der Option eines bevorstehenden Waffenstillstandsabkommens, so ist das heute offensichtlich vergessen.

Im Talmud steht: Es ist besser zu wissen, als im Zweifel zu bleiben.

Anscheinend will niemand in Washington mehr Druck auf Putin ausüben. Trumps Plan, wenn es denn je einen gab, bestand wohl darin, die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen und alle Forderungen des Kreml zu akzeptieren. Jetzt erscheint die Aussicht auf einen Waffenstillstand äußerst unrealistisch. Und Amerika ist nicht mehr der Verbündete der Ukraine.

Sicherheitspartner Europas

Die USA wollen auch nicht mehr der Sicherheitspartner Europas sein. J. D. Vance hat in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, von der Trump begeistert war, deutlich gemacht, dass die neue Regierung in Washington nicht mehr glaube, mit den Europäern dieselben Werte zu teilen.

Im Talmud steht: Es ist besser zu wissen, als im Zweifel zu bleiben. Auch für die Ukrainer gilt, dass die Wahrheit der Ungewissheit vorzuziehen ist, so bitter jene auch sein mag.

Wir alle haben aus der Konfrontation im Oval Office mit Sicherheit etwas gelernt. Je schneller wir uns alle der neuen Realität bewusst werden, desto größer sind unsere Chancen, sie zu überleben.

Der Autor ist Historiker in Kyjiw und dokumentiert die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er sitzt im Expertenrat der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Menschenrechtsorganisation »Zentrum für bürgerliche Freiheiten«.

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