Hamburg

»Gefühl der Gemeinsamkeit«

Ein Wochenende zum Diskutieren und Debattieren, zudem eine Gelegenheit, das jüdische Hamburg kennenzulernen: Das war der Gemeindetag 2012 unter dem Motto »One people, one community«. Rund 240 Vertreter von Gemeinden aus dem
gesamten Bundesgebiet – darunter Bremen, Düsseldorf, Erfurt, Leipzig, Stuttgart, Würzburg – waren der Einladung des
Zentralrats der Juden zu dem dreitägigen Treffen gefolgt.

Zentralratspräsident Dieter Graumann sprach vom »Gefühl der
Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit«, vom »positiven, neuen jüdischen Spirit«, von dem das Wochenende geprägt gewesen sei. Der Gemeindetag, so Graumann, sei eine Ergänzung zur jährlichen Ratstagung, bei der es aufgrund des umfangreichen Programms kaum Möglichkeiten zum Austausch gebe. Doch dieser Austausch sei wichtig, er habe auch eine zutiefst politische Dimension.

In diesem Sinne wollte der Zentralrat Gelegenheit dazu bieten, um dem Versprechen nach mehr Kommunikation und Partizipation nachzukommen. »Wir bauen jetzt eine ganz neue jüdische Gemeinschaft auf – frischer moderner, positiver.« Der Gemeindetag sei dabei eine Investition in den Gestaltungswillen und die Gestaltungsmacht. Er sei ein »Fest mit Sinn und ein Fest für die Sinne« gewesen, resümierte Graumann.

Programm Der Gemeindetag hatte mit dem gemeinsamen Schabbat begonnen: Gottesdienst, Kiddusch, festliches Abendessen – musikalisch umrahmt von den »Six13«, sechs jungen Männern einer jüdischen A-cappella-Gruppe aus New York. Zum Schabbat gehörten weitere Gottesdienste nach liberalem und orthodoxem Ritus, später dann Vorträge und Workshops.

Dabei sprachen unter anderen Publizist Sergey Lagodinsky und
Welt-Korrespondent Alan Posener über den iranisch-israelischen Konflikt. Schauspielerin Adriana Altaras, Regisseur Leo Khasin und andere diskutierten Fragen jüdischer Kunst und Kultur. Rabbiner Julian Chaim Soussan und Professor Doron Kiesel debattierten mit anderen Podiumsteilnehmern das Thema »jüdische Identität heute«.

Unternehmensberater und Autor Thomas D. Zweifel stellte Ideen für eine moderne Gemeindeführung anhand seines Buches Der Rabbi und der CEO vor. Der ehemalige israelische Regierungsberater Gershon Baskin berichtete von den Verhandlungen zur Freilassung des entführten Soldaten Gilad Schalit. Yuri Kanner, Präsident des Russischen Jüdischen Kongresses, sprach über zukünftige mögliche Kontakte zwischen deutschen und russischen Gemeinden. Nach Ausgang des Schabbats unterhielt dann Sängerin Sharon Brauner mit Band die Teilnehmer.

Eindrücke Am Ende des Gemeindetages äußerte sich Liliana Goldstein de Kuehne, stellvertretende Vorsitzende der Braunschweiger Gemeinde, sehr positiv über das Wochenende. »Wir hatten gute Gespräche, es war bestens organisiert. Das Programm war anregend, die Treffen mit anderen
Gemeindevertretern sehr bereichernd.« Der Vorsitzende der Thüringer Landesgemeinde, Wolfgang Nossen, bezeichnete den Gemeindetag als »ein sehr angenehmes Ereignis«.

Besonders das große Interesse an den Gottesdiensten habe ihn beeindruckt. Die Freiburger Gemeindevorsitzende Irina Katz war ebenfalls davon angetan. Auch der Workshop zur jüdischen Identität habe ihr gefallen. »Insgesamt war das Programm inhaltlich sehr gut.« Darüber hinaus fährt Irina Katz auch mit einem konkreten Ergebnis nach Hause: »Wir haben eine engere Zusammenarbeit mit dem Rabbinerseminar zu Berlin vereinbart. Davon wird unsere Gemeinde sehr profitieren.«

Hamburgs Vorstandsmitglied Roy Naor bilanzierte: »Diese drei Tage waren für unsere Gemeinde eine hervorragende Chance, uns zu präsentieren und uns ins Gespräch zu bringen.«

Bürgermeister Am Sonntag hatte der Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, den Gemeindetag besucht. Er sagte, dass die Hansestadt ein guter Ort für dieses Treffen sei. Der SPD-Politiker erinnerte an Hamburger Jüdinnen und Juden, »die maßgeblich an der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gestaltung der Stadt« beteiligt waren: Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy, Bankier Salomon Heine, Reeder Albert Ballin. Und er verwies zudem auf die sich entwickelnde Jüdische Gemeinde.

Scholz erwähnte auch den Neonazi-Aufmarsch im Bezirk Wandsbek und die Demonstrationen gegen Rechts. Zentralratspräsident Dieter Graumann war am Samstagmittag selbst auf dem Rathausmarkt. Dort sprach er vor den rund 10.000 Kundgebungsteilnehmern und lobte deren Aktion unter dem Motto »Hamburg bekennt Farbe«, er drückte seine Hoffnung aus, dass dieses Engagement auch auf andere Städte abfärben möge. Mit Blick auf den zeitgleich abgehaltenen Gemeindetag sagte Graumann: »Wir haben uns nicht verscheuchen lassen, und wer darauf wartet, wird sein Ziel nicht erreichen.«

Bürgermeister Scholz betonte dann in seiner Rede vor dem Gemeindetag auch, dass das Aufstehen gegen den rechten
Ungeist eine Frage des Anstands sei: »Aber weil wir uns mit den rechten Gesinnungen nicht abfinden können, sollten wir uns doch über die Selbstverständlichkeit freuen, mit der sich das
jüdische Leben in all seinen Facetten als Teil der Gesellschaft darstellt.«

Mehr zum Gemeindetag, Impressionen, Fotos und die Rede von
Zentralratspräsident Dieter Graumann in der kommenden Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen.

Meinung

Es sollte uns beschämen, dass Juden in Deutschland sich nicht mehr sicher fühlen können

Ein Gastbeitrag von Adrian Grasse

von Adrian Grasse  11.12.2024

RIAS

Experten kritisieren Normalisierung antisemitischer Narrative

Sie sind überall verfügbar, im Internet und analog: Legenden, die gegen Juden und die Demokratie gerichtet sind. Das zeigt eine neue Studie - und nimmt speziell auch den Rechtsextremismus in den Blick

 11.12.2024

Bern

Schweiz verbietet Hamas

Ein neues Gesetz verbietet die Hamas, Tarn- und Nachfolgegruppierungen sowie Organisationen und Gruppierungen, die im Auftrag der Terrorgruppe handeln. Jüdische Organisationen begrüßen den Schritt

 11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Restitution

Familie verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Grundstück

85 Jahre lebt eine Familie in einem Haus in Brandenburg. Zuvor hatte es zwei jüdischen Frauen gehört, die schließlich von den Nazis ermordet wurden

 11.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Gelsenkirchen

Bekommt Bayern-Torhüter Daniel Peretz Konkurrenz?

Münchens Sportvorstand Max Eberl macht eine klare Ansage

 11.12.2024

Meinung

Syrien und die verfrühte Freude des Westens über den Sieg der Islamisten

Ein Gastkommentar von Ingo Way

von Ingo Way  11.12.2024

Porträt

Wer ist der Mann, der Assad gestürzt hat?

Abu Mohammed al-Golani hat sich oft gewandelt. Der Anführer des Aufstandes, der der jahrzehntelangen Diktatur der Familie Assad in Syrien binnen Tagen ein Ende setzte, hat jahrelang an seinem Image gearbeitet

von Kareem Chehayeb  10.12.2024