Redezeit

»Feingeistiger Aufklärer und ruhmsüchtiger Militarist«

Herr Wolffsohn, in diesen Tagen jährt sich der Geburtstag Friedrich des Großen zum 300. Mal. Inwiefern unterscheidet sich der Preußenkönig von anderen Herrschern seiner Zeit?
Friedrich war im Denken weitaus fortschrittlicher als viele seiner Zeitgenossen. Wer seine Schriften heute liest, ist tief beeindruckt. Das Gros seiner Gedanken ist zeitlos, weil durch und durch humanistisch. Vergleichsweise modern waren auch seine Förderung der Wirtschaft und die Reformierung des Rechtswesens. Insgesamt aber muss man feststellen, dass es zwischen seinem Denken und tatsächlichem Handeln eine große Kluft gibt.

Inwiefern?
Er war nicht nur Feingeist und Aufklärer, sondern auch ein ruhmsüchtiger Militarist. 1740 überfiel er überraschend und ohne jeden Grund Schlesien. Er gestand später: Ich wollte den Ruhm. Seine Untertanen und gekaufte ausländische Soldaten mussten dafür bluten. Alle folgenden Kriege waren die logische Folge dieses Überfalls, und 1756 löste der wieder von ihm begonnene Siebenjährige Krieg eine weltweite Lawine aus, bis nach Amerika und Indien.

Als Friedrich II. 1786 starb, waren seine kriegsmüden Untertanen erleichtert. Wie erklärt sich die posthume Legendenbildung des Preußenkönigs?
Friedrich war ein anstrengender König mit zweifellos überragenden intellektuellen und politischen, auch militärischen Fähigkeiten. Er hatte von seinen Untertanen und Militärs viel zu viel verlangt. Die waren nach seinem Tod allesamt froh, mal wieder Ruhe zu bekommen. Bedenken Sie: Die Menschheit will überall und immer bestenfalls Durchschnitt. Was und wer überragt, wird nur in Krisenzeiten gerne hingenommen. Dann jedoch ohne wenn und aber. Beim aktuellen Friedrich-Trubel spielt vermutlich Unkenntnis und Verklärung eine wichtige Rolle.

Berühmt geworden ist Friedrich für seine Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten und dem viel zitierten Urteil: »Jeder soll nach seiner Façon selig werden.« Ist er der Religionsfreiheit mit seinem Handeln als Politiker gerecht geworden?
Das ist eine nette Legende, mehr nicht. Er war religiös scheinbar tolerant, weil ihn keine Religion interessierte oder gar überzeugte. Den religiösen Gruppen gegenüber, allen voran Juden und Muslimen, strotze er vor geradezu dämlichen Vorurteilen, die eigentlich seines sonstigen Niveaus unwürdig waren. Da dachte der große Friedrich wie der kleine Moritz.

War Friedrich ein glühender Antisemit, wie so manche Äußerung von ihm vermuten lässt?
Als Judenhasser würde ich ihn nicht bezeichnen, dazu war Friedrich denn doch viel zu intelligent. Aber er war alles andere als ein Freund oder gar Förderer der Juden. Das Judentum als Religion verachtete er; den Islam noch mehr, wie sein zeitweiser Freund Voltaire.

Was ist mit der Vertreibung von rund 60.000 polnischen »Betteljuden« nach der Annexion Westpreußens 1772?
Jene armen Juden vertrieb er aus wirtschaftlichen Gründen. Klar, das war Blödsinn und unmoralisch dazu, aber er war davon überzeugt. Schon in seinen Politischen Testamenten von 1752 und 1768 erklärte er das.

1750 erließ Friedrich das »Revidierte General-Privileg«. Wie ist dieses Judenedikt einzuordnen?
Von Privilegien konnte keine Rede sein, Diskriminierung wäre die passendere Beschreibung. Aber nochmals: Er verachtete das Judentum als Religion, »die« Juden hielt er für wirtschaftlich schädlich – außer den reichen Juden, versteht sich.

Friedrich finanzierte seine Kriege mit Hilfe der jüdischen Münzpächter Moses Isaac, Daniel Itzig und Veitel Ephraim durch Inflation. Gleichzeitig distanzierte er sich von ihnen. Das klassische Sündenbock-Prinzip?
Dass sie Juden waren, war ihm wurscht. Aber es war politisch praktisch, denn als Juden waren sie in den Augen seiner Untertanen automatisch unredlich – und er unschuldig. Da handelte der Verfasser des »Anti-Machiavel« nach Machiavellis Muster.

Wie wirkte sich Friedrichs Judenpolitik auf die jüdische Gemeinschaft in Preußen aus?
Negativ. Die vermeintliche oder tatsächliche preußisch-deutsch-jüdische Symbiose begann deutlich nach dem Alten Fritz. Zu seiner Zeit durfte nicht einmal der größte jüdische Geist seiner Zeit, Moses Mendelssohn, Mitglied der Akademie der Wissenschaften werden, weil Friedrich das verhinderte.

Viele Regime des 19. und 20. Jahrhunderts haben Friedrich für ihre eigenen Zwecke vereinnahmt. Auch die Nationalsozialisten. Führt eine gerade Linie von Friedrich zu Adolf Hitler, wie es die Nazis behaupteten?
Nein. Er hatte zwar Vorurteile gegen Juden und das Judentum. Gemäß dem alten »Risches«, der dumm und ärgerlich, aber nicht tödlich ist. Friedrich diskriminierte Juden, Hitler liquidierte sie.

Wie fällt Ihr Fazit bezüglich Friedrichs Lebenswerkes aus?
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Es kann doch gar kein Zweifel darüber bestehen, dass der Alte Fritz, trotz judenpolitischer und einiger anderer Dämlichkeiten ein bis heute herausragender politischer Denker und Lenker war. Ich wünschte mir, dass nicht nur deutsche Politiker der Gegenwart sein Pflichtgefühl und Niveau hätten.

Das Gespräch führte Philipp Peyman Engel

Michael Wolffsohn, 1947 in Tel Aviv geboren, ist Historiker. Er lehrt Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München.

Meinung

Die »Staatsräson« mit neuem Leben füllen

Umfragen zeigen, dass Israel hierzulande alles andere als beliebt ist. Dabei sollte allen Deutschen das Schicksal des jüdischen Staates am Herzen liegen - gerade angesichts der Bedrohung aus dem Iran

von Nikolas Lelle  16.06.2025

Terror

Sorge vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen

Die Auswirkungen des Kriegs gegen den Iran könnten auch in Deutschland zu spüren sein, warnt Felix Klein. Auch Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer rechnet mit erhöhter Terrorgefahr

von Christoph Arens  16.06.2025

Luftfahrtmesse

Frankreich schließt israelische Stände

Die Betreiber sollen entgegen der Auflagen Angriffswaffen ausgestellt haben

 16.06.2025

Krieg gegen Iran

Exodus aus Teheran

Der Krieg gegen das iranische Regime und dessen Atom- und Raketenprogramm treibt Bewohner der Hauptstadt in die Flucht

von Aref Taherkenareh, Arne Bänsch  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025

Brüssel

EU-Chefdiplomatin organisiert Krisenschalte zu Nahost-Krieg

Kann die EU einen Beitrag zur Deeskalation des Konflikts zwischen Israel und dem Iran leisten? Am Dienstag soll es eine Videokonferenz der zuständigen Außenminister geben

 16.06.2025

Nahost

Krieg gegen Iran: EU will mit USA Energiemarkt sichern

Seit dem Angriff Israels auf das iranische Atomprogramm steigen die Rohölpreise und in der Folge die Sprit- und Heizölpreise. Die EU und die USA sind alarmiert - und wollen notfalls handeln

 16.06.2025

Berlin

Karin Prien: »Ich gestatte mir keine Ängstlichkeit«

Die Bundesbildungsministerin spricht in einem Interview über ihre jüdischen Wurzeln. Und geht bei manchen Themen auf Distanz zu ihrem Parteivorsitzenden

von Alexander Missal  16.06.2025

Iran

Iran: Geheimdienstchef der Revolutionsgarden und sein Vize getötet

Israel hat seit Beginn des Krieges mit dem Iran bereits etliche führende Militärs getötet. Nun sind bei einem weiteren Angriff Geheimdienstvertreter der nationalen Eliteeinheit getötet worden

 15.06.2025