Der Berliner Kulturwissenschaftler Mathias Berek sieht Parallelen zwischen den heutigen Impfgegnern und der Impfkritik im 19. Jahrhundert. An den Argumenten habe sich seit Einführung der ersten Impfpflicht im deutschen Kaiserreich 1874 ebenso wenig geändert wie am Vorhandensein antisemitischer Inhalte, sagte Berek in einem am Dienstag von der Technischen Universität Berlin verbreiteten Interview. Berek arbeitet am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.
EINSTELLUNGEN Die Impfkritik sei durch die Demonstrationen der Corona-Leugner und Maßnahmenkritiker sichtbarer geworden: »Aber es ist wie mit den antisemitischen Einstellungen in allen Bereichen der Gesellschaft: Die waren nie weg«, sagte Berek.
Zugleich habe sich nichts an den inhaltlichen Überschneidungen geändert, »die dem Antisemitismus einen so fruchtbaren Boden in der impfkritischen Szene bereiten – vor allem Verschwörungsfantasien und ein mystischer Naturglaube, in dem nur der Stärkere das Recht zu überleben hat«.
OPFERSTATUS Heutzutage heiße es »nicht mehr wie früher, die Juden wären schuld an vermeintlichen Impfschäden, sondern sie erklären sich selbst zum Juden, um sich den ultimativen Opferstatus anzumaßen«, so Berek. »Wir haben das auf den Kundgebungen gesehen: Man trägt gelbe Davidsterne mit der Aufschrift ›Ungeimpft‹ oder setzt sich mit Anne Frank gleich. Das ist schon dadurch sekundärer Antisemitismus, weil damit das Leiden der Juden und Jüdinnen auf obszöne Weise heruntergespielt wird.«
So werde unterstellt, »die Nazis hätten der jüdischen Bevölkerung lediglich das Tragen von Masken und ein paar Kontaktbeschränkungen auferlegt«. epd