Internationaler Gerichtshof

»Es wurden ungeheuerliche Behauptungen aufgestellt«

Israel hat am Freitag sein Recht auf Selbstverteidigung ausgeübt.

Nicht nur gegen die Hamas in Gaza, sondern auch vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen, dem Internationalen Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag. Nachdem sich die 17 Richter am Donnerstag die Argumente der südafrikanischen Regierung angehört hatten, die Israel nicht weniger als einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza vorwirft, waren heute die von der Regierung in Jerusalem bestellten Juristen an der Reihe, um zu versuchen, Südafrikas Argumente zu entkräften.

Grundlage des Verfahrens war die 1948 beschlossene und von 141 Staaten ratifizierte Völkermord-Konvention, für deren Einhaltung der IGH zuständig ist – im Gegensatz zu Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hierfür wäre allenfalls der ebenfalls in Den Haag ansässige Internationale Strafgerichtshof zuständig, dessen Jurisdiktion Israel jedoch nicht anerkennt und für dessen Arbeit andere Verfahren gelten als für den nur für Streitfälle zwischen Staaten anrufbaren IGH.

Nach der Rechtsprechung des IGH sind die Hürden für eine Verurteilung gemäß der Völkermord-Konvention hoch. Weil das so ist und weil sich das Verfahren voraussichtlich noch Jahre hinziehen dürfte, hat Südafrika nun vor dem IGH eine einstweilige Anordnung beantragt, um die israelische Militäroperation im Gazastreifen zu stoppen.

Vorläufige Maßnahmen

Die Anhörung der beiden Streitparteien am Donnerstag und Freitag im Haager Friedenspalast, der seit 1946 Sitz des Internationalen Gerichtshofs ist, bezog sich zunächst nur auf mögliche »vorsorgliche Maßnahmen«, die die Richter möglicherweise gegen Israel verhängen könnten.

Während die südafrikanische Seite versuchte, durch ausgewählte Zitate von rechten israelischen Politikern zu suggerieren, dass Israels eigentliches Kriegsziel die zumindest teilweise Vernichtung oder Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen sei, stellten die von Israel mit dem Plädoyer beauftragten Juristen – darunter die britische Völkerrechtskoryphäe Malcolm Shaw – die Glaubwürdigkeit Südafrikas in Zweifel.

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Shaw argumentierte, die Völkermord-Konvention sei nicht das angemessene Regelwerk, um die von Südafrika angeprangerten Handlungen und Ereignisse in Gaza zu bewerten. Vielmehr falle dies in den Bereich des humanitären Völkerrechts. Er zog auch die Motive Pretorias für die Klage in Zweifel: »Es wurden ungeheuerliche Behauptungen aufgestellt. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem vorsätzlich Gräueltaten begangen wurden, fällt eindeutig unter die rechtliche Definition von Völkermord. Die Reaktion Israels war und ist legitim und notwendig (…) und mit dem Völkerrecht vereinbar.«

»Südafrika unterstützt die Hamas«

Israel unternehme »beispiellose Anstrengungen«, um zu verhindern, dass die Zivilbevölkerung zu Schaden komme, auch wenn das mit beträchtlichen Kosten verbunden sei. »Hier liegt keine völkermörderische Absicht vor«, betonte der britische Rechtsprofessor.

Vielmehr habe die südafrikanische Regierung sich auf die Seite der Hamas geschlagen, der von zahlreichen Ländern als Terrororganisation eingestuften islamistischen Bewegung gar »Hilfe und Unterstützung gewährt«.

Pretorias Argument, einige Mitglieder der israelischen Regierung wie Finanzminister Bezalel Smotrich hätten genozidale Absichten durch ihre Äußerungen offenbart, ließ Malcolm Shaw nicht gelten. Das entspräche nicht Israels offen formulierten Kriegszielen, zuvörderst die Ausschaltung der Hamas als Bedrohung Israels und die Befreiung der Geiseln in Gaza.

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Shaw wies auch darauf hin, dass Israel eine klare Kommandostruktur habe, welche die Militäroperation steuere und überwache. »Der Krieg gegen Hamas wird von zwei Organen geführt: dem Ministeriellen Ausschuss für Nationale Sicherheit und dem Kriegskabinett ... Sie treffen alle wichtigen Entscheidungen«, sagte er.

Israel nehme sein Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta aus. Ziel der südafrikanischen Klage vor dem IGH sei hingegen, zu verhindern, dass Israel die Hamas ausschalte. »Israel trägt Verantwortung für den Schutz seiner Bürger, nicht nur derjenigen, die dem ständigen Bombardement aus dem Gazastreifen ausgesetzt sind, sondern auch und vor allem derjenigen, die im Zuge der Massaker vom 7. Oktober gefangen genommen und als Geiseln gehalten wurden. Diese Rechte sind vorhanden und können nicht missachtet werden.«

Von der Leyen wird zitiert

Zur Untermauerung seines Arguments ließ Shaw den Richtern auf den großen Bildschirmen im Gerichtssaal auch ein Zitat der deutschen Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, übermitteln, die am 19. November 2023 Israels Recht auf Selbstverteidigung unterstrichen hatte.

Natürlich, so der 76-jährige britische Jurist weiter, müsse auch Israel sich an internationales Recht halten und dürfe keinen Völkermord begehen. Es habe aber »jedes Recht, zu handeln und sich nach den Regeln und Grundsätzen des Völkerrechts zu verteidigen. Und das hat es auch getan«.

Zu Beginn der Anhörung hatte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, betont, dass für Israel die Einhaltung der Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen selbstverständlich höchste Priorität habe. »In Anbetracht der Geschichte des jüdischen Volkes ist es nicht überraschend, dass Israel zu den ersten Ländern gehörte, die sie angenommen hat.«

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Das Regelwerk, so Becker weiter, könne aber auf den Konflikt mit der Hamas keine Anwendung finden, weil Israel den Krieg nicht begonnen und auch nicht gewollt habe. Während die Hamas bestrebt sei, den Schaden für israelische und palästinensische Zivilisten zu maximieren, versuche Israel, ihn zu minimieren. Die von Pretoria verwendete Rhetorik sei von der der Hamas kaum zu unterscheiden, wetterte er. Südafrika versuche so, den Völkermordvorwurf als politische Waffe gegen Israel einzusetzen, was nicht der Konvention entspreche und was das Gericht nicht zulassen dürfe.

Weitere Juristen traten nach Becker und Shaw ans Rednerpult, um Israel zu verteidigen und dem Antrag Südafrikas zu widersprechen. Ob die 17 Richter den Anträgen auf insgesamt neun vorläufige Anordnungen (darunter eine Forderung nach einem sofortigen Stopp der israelischen Militäroperation im Gazastreifen) mehrheitlich zustimmen werden und bis wann die Entscheidung getroffen wird, ist unklar.

Das Hauptsacheverfahren vor dem IGH wird erst im Anschluss daran stattfinden und dürfte frühestens im kommenden Jahr abgeschlossen sein. Klar ist jedoch, dass der Richterspruch – egal, wie er ausfällt – massive Auswirkungen haben dürfte, nicht nur auf die öffentliche Meinung weltweit, sondern auch auf den Umgang mit anderen gewaltsamen Konflikten.

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