Debatte

Eine Standortfrage

Die Einrichtung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks wurde im September 2022 vereinbart. Foto: Getty Images/iStockphoto

Es wirkt wie eine Debatte zur Unzeit: Obwohl die seit Jahren andauernden Verhandlungen zwischen Berlin und Jerusalem zur Errichtung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks (DIJW) noch längst nicht abgeschlossen sind, ist jetzt eine Diskussion darüber entbrannt, wo die noch zu gründende Institution ansässig sein soll.

Während Thüringen die Stadt Weimar ins Gespräch gebracht hat, haben sich andere für die Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt ausgesprochen. Dort hat Con­Act, das Koordinationszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, seinen Sitz. Diese Einrichtung führt seit 2001 deutsch-israelische Jugendbegegnungen durch und fördert pro Jahr rund 300 Projekte dieser Art. Träger von ConAct sind allerdings nicht staatliche Stellen, sondern eine kirchliche Einrichtung, die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt.

Aussöhnung Bereits vor einigen Jahren gaben die Regierungen Deutschlands und Israels bekannt, die Zusammenarbeit auf eine ganz neue Stufe heben zu wollen. Ein Deutsch-Israelisches Jugendwerk soll geschaffen und damit künftig wesentlich mehr jungen Menschen die Möglichkeit gegeben werden, das jeweils andere Land besser kennenzulernen.

Für Israel wäre ein bilaterales Jugendwerk ein Novum, bislang gibt es dort ein solches Format nicht. In Deutschland hingegen wurde schon vor 60 Jahren das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet, als praktisches Zeichen der Aussöhnung der beiden Länder. Anfang der 90er-Jahre folgte dann das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Auch mit anderen Ländern bestehen Austauschprogramme, häufig sind deren Träger aber private Vereine oder kirchliche Gruppen.

Das DIJW soll jedoch eine zwischenstaatliche Angelegenheit werden. Doch noch ist man weit von der Ziellinie entfernt – trotz einer im vergangenen Jahr in Israel unterzeichneten Absichtserklärung. Eine bilaterale Arbeitsgruppe hat seitdem bereits mehrmals getagt, aber noch keine konkreten Ergebnisse vorgelegt. Insider gehen nicht davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Übereinkunft zwischen den beiden Seiten erzielt werden kann.

auseinandersetzung Dennoch tobt schon eine heftige Auseinandersetzung darüber, in welcher Stadt die neue Institution angesiedelt werden soll. Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, hat sich gegen Wittenberg ausgesprochen und zur Begründung die mittelalterliche »Judensau«-Plastik an der dortigen Stadtkirche angeführt. Über deren Entfernung hat bereits der Bundesgerichtshof beraten.

Auch die Figur des Kirchenreformators Martin Luther, der vor 500 Jahren in Wittenberg seine 95 Thesen anschlug und mit virulentem Judenhass enormen Einfluss auf nachfolgende Generationen ausübte, sehen viele als zu problematisch an. »Es ist schwer zu vermitteln, dass nun gerade Wittenberg zu einem Ort der deutsch-israelischen Verständigung werden soll«, meint Felix Klein. Zumindest die »Judensau« müsste vorher verschwunden sein, findet er.

Dem Vernehmen nach bevorzugt die israelische Seite Weimar.

Kleins bayerischer Amtskollege Ludwig Spaenle hingegen hat München als möglichen Standort des Jugendwerks auserkoren. In seiner Zeit als Kultusminister im Freistaat sei ein sehr erfolgreicher Schüleraustausch mit Israel initiiert worden, sagte der CSU-Politiker der »Süddeutschen Zeitung«. Dass aber München als einstige »Hauptstadt der Bewegung«, Sitz der NSDAP sowie als Ort des Terroranschlags auf die israelische Olympiamannschaft 1972 nicht als unbelastet gelten dürfte, wird auch Spaenle nicht entgangen sein.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) präferiert Weimar. Und das, obwohl die Stadt an der Ilm nicht nur für Goethe, Schiller und die nach ihr benannte erste deutsche Republik bekannt ist, sondern mit dem nur wenige Kilometer entfernt gelegenen früheren KZ Buchenwald auch für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte steht.

Ein gewichtiges Argument für Weimar hat Ramelow allerdings: Es gäbe schon ein geeignetes Gelände. Dort, wo bis 2015 die Viehauktionshalle stand, soll schon bald eine nagelneue Jugendherberge entstehen. Das Jugendwerk würde gut dazu passen. Auch ein direkter Bezug zur deutschen Geschichte besteht: In der Auktionshalle wurden im Zweiten Weltkrieg Juden vor ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager zusammengetrieben. So könnte das Gedenken an schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit dem Gedanken der Völkerverständigung verbunden werden.

diplomaten Bislang war die Diskussion um das Jugendwerk eher eine deutsche Debatte, aus Israel war dazu wenig zu hören. Doch dem Vernehmen nach bevorzugt auch die israelische Seite Weimar. Das erfuhr die Jüdische Allgemeine aus Diplomatenkreisen in Berlin. Diese betonten jedoch auch, dass noch nichts entschieden sei und man sich erst einmal auf grundsätzlichere Aspekte des neuen Jugendwerks einigen müsse, bevor man die Sitzfrage besprechen könne.

Ein Sprecher des zuständigen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teilte mit, eine bilaterale Arbeitsgruppe befasse sich derzeit »mit der künftigen Organisationsform, die den Interessen beider Seiten gerecht werden soll. Damit verbunden sind ebenfalls Fragen der weiteren Ausgestaltung der jugendpolitischen Zusammenarbeit«.

Erst wenn diese Fragen geklärt seien, werde die Ansiedlung der neuen Organisation in Deutschland zu entscheiden sein. Wie lange der Prozess noch dauern wird, wollte der Ministeriumssprecher nicht kommentieren.
2025 wäre sicherlich ein guter Anlass, das Projekt in trockene Tücher zu bringen: Dann feiern Deutschland und Israel den 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Hans-Jürgen Papier

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