Justiz

»Eine Lücke schließen«

Thorsten Frei Foto: imago images/Future Image

Justiz

»Eine Lücke schließen«

Thorsten Frei über Pläne zur Einführung des Straftatbestandes der »verhetzenden Beleidigung«

von Michael Thaidigsmann  29.04.2021 08:36 Uhr

Herr Frei, die Koalition will den Straftatbestand der »verhetzenden Beleidigung« einführen. Worum geht es?
Wir wollen eine Lücke im Strafrecht schließen und für Taten, die bislang weder als Volksverhetzung noch als Beleidigung geahndet werden können, eine Lösung finden. Die muss praktikabel sein. Sie darf aber nicht auf die generelle Bestrafung der »Kollektivbeleidigung« hinauslaufen, denn eine solche kennen wir im deutschen Rechtssystem nicht – mit einer Ausnahme: Hetze gegen die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden.

Könnte man nicht den Volksverhetzungsparagraphen erweitern?
Für uns als Unionsfraktion ist wichtig, dass man nicht einfach bloß den »Öffentlichkeitsbezug« aus dem §130 StGB rausstreicht. Sonst bekäme man einen extrem weit gefassten Tatbestand – ohne das bisherige Korrektiv, dass strafbare Äußerungen in der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Wir präferieren einen eigenen und enger gefassten Paragraphen.

Ihre Vorschläge wurden kritisiert, weil Sie nur Opfergruppen berücksichtigen wollen, die in der NS-Zeit verfolgt wurden, und beispielsweise nicht die Muslime.
So habe ich unsere Position nie vermittelt. Es geht uns nicht darum, bestimmte Gruppen bewusst außen vor zu lassen, im Gegenteil. Nur dürfen wir den Anwendungsbereich des neuen Paragrafen nicht uferlos gestalten, wir müssen ihn sachgerecht eingrenzen. Eine denkbare Möglichkeit – und mehr ist das nicht – wäre die Beschränkung auf im Nationalsozialismus verfolgte Gruppen, weil wir hier eine ganz besondere Verantwortung sehen. Wahrscheinlich läuft es aber auf eine andere Lösung hinaus.

Können Sie uns mehr verraten?
Die Gespräche mit dem Koalitionspartner SPD laufen noch, aber grundsätzlich haben wir uns aus meiner Sicht verständigt. Es gibt bestehende Anknüpfungspunkte im Strafrecht. So müsste eine verhetzende Beleidigung geeignet sein, die Menschenwürde anderer anzugreifen, weil sie einer bestimmten ethnischen, religiösen oder weltanschaulichen Gruppe angehören.

Gerichte haben jüngst umstrittene Urteile gefällt und der Meinungsfreiheit den Vorzug gegeben. Ändert ein neuer StGB-Paragraf daran etwas?
Die neue Regelung halte ich für geeignet, extreme Fälle der Beleidigung der genannten Gruppen zu erfassen. Ich denke allerdings nicht, dass wir über viele Fälle sprechen. Die meisten werden ja bereits anderweitig geahndet. Und die Gerichte müssen natürlich immer abwägen. Dazu gehört für mich allerdings auch, dass man nicht zulässt, Antisemitismus durch Israelkritik zu verbrämen. Mein Eindruck ist aber, dass die Rechtsprechung diese Gratwanderung bislang im Allgemeinen recht gut hinbekommen hat.

Kann man mit dem Strafrecht Antisemitismus überhaupt in den Griff kriegen?
Strafrecht ist immer nur Ultima Ratio und alleine nicht tauglich, das Problem zu lösen. Dennoch gibt man als Gesellschaft mit dem Strafrecht auch ein Werturteil ab und sagt klar, was gar nicht geht.

Kommt Ihre Reform noch in dieser Legislaturperiode? Es stehen ja nur noch vier Sitzungswochen des Bundestags an.
Wir haben den festen Willen dazu. Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen werden.

Mit dem stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag sprach Michael Thaidigsmann.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Deutschland

Massive Proteste gegen neuen AfD-Nachwuchs 

Die AfD organisiert ihren Nachwuchs - Gießen erlebt den Ausnahmezustand. Zehntausende haben sich nach Mittelhessen aufgemacht, um die Gründung der Generation Deutschland zu verhindern

von Christian Schultz  30.11.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  30.11.2025

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 30.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  29.11.2025