REDEZEIT

»Ein von Putin initiierter Schauprozess«

Herr Chodorkowskij, Sie stehen in regelmäßigem Kontakt zu Ihrem Vater Michail Chodorkowskij, der wegen angeblicher Geldwäsche und Betrugs erneut für schuldig befunden wurde. Wissen Sie, wie er die Verurteilung aufgenommen hat?
Ich habe mit meinem Vater nach dem Richterspruch noch nicht sprechen können, aber ich bin mir sicher, dass er sein Schicksal nach wie vor mit Stolz und Würde annehmen wird. Er hat sich vorab keinerlei Hoffnungen gemacht und nichts anderes als eine Verurteilung erwartet. Schließlich handelt es sich auch beim gegenwärtigen Verfahren um einen von Wladimir Putin und seinen politischen Freunden initiierten Schauprozess, bei dem das Ergebnis offenkundig schon vor Beginn feststand.

Der Ausgang des Gerichtsverfahrens galt als Lackmustest für Demokratie und Rechtssicherheit in Russland. Inwiefern profitiert Putin davon, dass Ihr Vater im Gefängnis sitzt?
Putin ist der festen Überzeugung, dass mein Vater politische Ambitionen hat und Präsident werden möchte. Das war ihm schon 2003 Grund genug, ihn ohne jegliche Beweise in ein sibirisches Gefängnis zu sperren. Zwecks Machtsicherung und mit Blick auf die Wahlen 2011 und 2012 schaltet Putin politische Gegner konsequent aus. Diese Skrupellosigkeit scheint er sich während seiner Zeit beim Geheimdienst KGB angeeignet zu haben. Seit der Verhaftung meines Vaters fallen die wirtschaftlich einflussreichsten Männer Russlands jedenfalls nur noch durch den Kauf von Fußballvereinen und Jachten auf.

Ihr Vater hingegen hat seinerzeit mehrmals öffentlich die staatliche Korruption kritisiert. Was ist dran an den Gerüchten, dass er nach seiner Freilassung in die Politik gehen möchte?
Mein Vater ist der Ansicht, dass man mit privaten Bildungsprogrammen und anderen philanthropischen Projekten politisch am meisten bewirken kann. Falls er überhaupt irgendwann entlassen werden sollte, würde er sich in dieser Form engagieren. Er wollte niemals und wird auch in Zukunft nicht in die Politik gehen – schon gar nicht träumt er davon, Präsident zu werden. Jeder weiß, dass die Russen nie einen Juden als Staatschef akzeptieren würden.

Glauben Sie, dass bei dem Prozess auch Antisemitismus eine Rolle spielt?
Hass und Neid auf Juden haben in Russland eine lange Tradition, daher wird es für viele sicherlich sehr befriedigend sein, dass Putin meinen Vater wegsperrt. Antisemitismus ist aber nicht sein zentrales Motiv. Es geht ihm einzig und allein um Machterhalt. Und der Erfolg gibt ihm leider recht: Trotz der Proteste vonseiten der russischen Opposition und aus dem Westen kann niemand Putin von seinem antidemokratischen Kurs abhalten.

Hat sich der Westen in ausreichendem Maße für ein faires Gerichtsverfahren eingesetzt?
Barack Obama und Hillary Clinton haben das Gerichtsverfahren klar und deutlich als parteiisch charakterisiert, was einmal mehr zeigt, dass die USA auf der Seite meines Vaters, auf der Seite der Wahrheit stehen. Was Deutschland betrifft: Zugegebenermaßen waren meine Familie und ich von der Bundesrepublik einige Jahre lang mehr als enttäuscht.

Warum?
Gerhard Schröder hat das Verfahren in der Vergangenheit mehrmals als »rechtsstaatlich« bezeichnet. Als er dann nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers auch noch einen Führungsposten bei Gazprom übernahm – nun ja, das sagt doch alles. Angela Merkel hingegen hat jedes Mal, wenn sie Putin oder Medwedew traf, den Prozess angesprochen und Gerechtigkeit angemahnt. Auch wenn das nicht allzu viel bewirkt hat, danke ich ihr dafür sehr.


Pavel Chodorkowskij wurde 1985 in Moskau geboren und ist der älteste Sohn des inhaftierten Putin-Kritikers und Öl-Milliardärs Michail Chodorkowskij. Im August 2003, einige Wochen vor der Verhaftung seines Vaters, verließ er aus Sicherheitsgründen Russland und lebt seitdem in New York. Dort arbeitet er als IT-Manager bei einer großen Internetgesellschaft. Als Präsident des Institute of Modern Russia setzt er das gesellschaftliche und soziale Engagement seines Vaters fort und unterstützt unter anderem den Aufbau der russischen Zivilgesellschaft.

Sein Vater Michail Borissowitsch Chodorkowskij wurde 1963 als Sohn einer jüdischen Familie in Moskau geboren. 1986 schließt er sein Chemie-Studium am Moskauer Mendelejew-Institut erfolgreich ab. Zwei Jahre später gründet und leitet er die in Russland ansässige Privatbank Menatep. 1993 steigt er zum stellvertretenden Minister für Brennstoffe und Energie auf. Als größter Einzelaktionär des ehemaligen staatlichen Ölkonzerns Yukos organisiert und finanziert er 1996 den Wahlkampf von Boris Jelzin. Im Jahr darauf wird Chodorkowskij Vorstandsvorsitzender von Yukos. Innerhalb kurzer Zeit macht er den Konzern zu einem Vorzeigeunternehmen, das durch drastisch gesenkte Produktionskosten hochprofitabel arbeitet. 2002 gründet er die Stiftung »Offenes Russland«, die mit jährlich rund 100 Millionen Dollar vor allem die Weiterbildung von Lehrern in der Provinz unterstützt. Chodorkowskij prangert zudem regelmäßig öffentlich die Korruption im Regierungsapparat an. Seitdem ist er dem Kreml ein Dorn im Auge. Am 25. Oktober 2003 wird er wegen Vorwürfen der Steuerhinterziehung und des Betruges verhaftet und im Mai 2005 zu neun Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt.

Rund vier Jahre später beginnt der zweite Prozess gegen Chodorkowskij. Ihm wird vorgeworfen, bei Yukos umgerechnet 20 Milliarden Euro unterschlagen zu haben. Obwohl der frühere russische Wirtschaftsminister German Gref sowie der russische Industrie- und Handelsminister Viktor Christenko den Angeklagten entlasten und die Vorwürfe als absurd bezeichnen, wird Chodorkowskij am 27. Dezember 2010 schuldig gesprochen und zu dreizehneinhalb Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025