Berlin

Ein Jahr Ausnahmezustand

Die Empathie und Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland haben dramatisch abgenommen. Dieser Mangel an Solidarität sei eine Folge der Normalisierung einer neuen Dimension des Antisemitismus. Mit diesen eindringlichen Worten beschrieb Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, die Situation am 7. Oktober, ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel.

»Wer an so einem Tag wie heute nicht in der Lage ist, wenigstens ein Stück Empathie für Jüdinnen und Juden, für die Menschen Israels, zu empfinden, der wird es nie tun und der hat ein gewaltiges Problem.« Dann drohe die offene Gesellschaft, in der die Würde des Menschen über allem steht, zu fallen, sagte Schuster.

Er stellte gemeinsam mit dem Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann am Montag in Berlin das Lagebild zu den Auswirkungen des Krieges in Israel auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland vor. Bereits im Dezember des vergangenen Jahres hatte der Zentralrat ein erstes Lagebild präsentiert. Nun haben im August und September die Führungskräfte von 98 jüdischen Gemeinden an der Befragung teilgenommen.

Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann, Zentralratspräsident Josef Schuster und Ute Welty, Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz, bei der Vorstellung des LagebildsFoto: ddk
Handlungsfähigkeit der Gemeinden

Das Ergebnis dieser Umfrage sei zum Teil erschütternd, meinte der Zentralratspräsident. Fast die Hälfte der Gemeinden habe in diesem Jahr von antisemitischen Vorfällen berichtet. Die Lage ein Jahr nach dem 7. Oktober beunruhige ihn, sie sollte alle aufrütteln. Die Gemeinden seien personell, emotional und organisatorisch am Limit.

»Eine der größten Herausforderungen bleibt die Sicherheit. Die Sicherheitskräfte in den Gemeinden sind nach einem Jahr der permanenten Beanspruchung überlastet und kommen mental an ihre Grenzen«, warnte der Zentralratspräsident

Es fänden wieder mehr Veranstaltungen statt, man passe sich an. Doch auf dieser Gewöhnung an einen Ausnahmezustand liege ein Schatten. »Niemals darf ein solcher Zustand Normalität werden«, so Josef Schuster.

Das Lagebild zeige auch, dass »die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland dramatisch abgenommen hat«. Für Schuster sei dies »der bitterste Befund«.

Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann erläuterte, dass die Umfrage dem Zweck diene, die Situation in den Gemeinden zu erfassen und möglichen Unterstützungsbedarf zu identifizieren. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse sei der Zentralrat fest entschlossen, weiterhin Unterstützungsprogramme für die Gemeinden aufzulegen, um ihre Handlungsfähigkeit zu stärken. Besonders wichtig sei dabei die Verstärkung der Sicherheit, so Botmann.

Es sei Aufgabe und Pflicht des Zentralrats, die Debatte über den drohenden Rückzug der jüdischen Gemeinden in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. »Wenn wir es nicht tun, dann wird es irgendwann kein öffentliches jüdisches Leben in Deutschland mehr geben.« Das wäre der Anfang vom Ende eines Landes, das sich einen anderen Anspruch gesetzt habe, so Botmann weiter. »Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dies zu verhindern wissen werden.« Es gibt genug Menschen, die an der Seite jüdischen Lebens in Deutschland stehen. »Wir müssen sie nur aufrütteln.«

Das Bundesinnenministerium stuft seinerseits die Bedrohungslage als hoch ein. Ein Sprecher sagte in Berlin, seit dem 7. Oktober 2023 hätten sich die antisemitischen Straftaten verdoppelt. Von rund 8500 politischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt seien knapp 3500 als eindeutig antisemitisch eingestuft. ddk

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Verteidigung

Merz und Pistorius nicht bei Einführung von »Arrow 3«

Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, wie wichtig das israelische Raketenabwehrsystem für Deutschlands Sicherheit sei

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  02.12.2025 Aktualisiert

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  02.12.2025

Verteidigung

Deutschland stellt Arrow 3 in Dienst

Erstmals kommt das Raketenabwehrsystem außerhalb Israels zum Einsatz

 02.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Altersarmut bleibt«

Aron Schuster über das Ende des Härtefallfonds, Einmalzahlungen und Gerechtigkeit für jüdische Rentner

von Mascha Malburg  02.12.2025

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Berlin

Zentrum für Politische Schönheit errichtet »Walter Lübcke Memorial« vor CDU-Zentrale

Am Freitag soll außerdem eine Gedenkveranstaltung mit Michel Friedman durchgeführt werden

 02.12.2025