Leitkultur

Du sollst nicht Burka!

»Unser Land ist christlich geprägt«: Bundesinnenminister Thomas de Maizière sorgt für Debatten. Foto: imago

Jens Spahn ist parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium und wagt sich gerne mit steilen Thesen hinaus. »Wer sagt, ich gebe Frauen nicht die Hand, weil das unrein ist«, hat er gesagt, mit dem habe er ein Problem. »Das möchte ich ausschließen.« Gegen wen sich sein Statement richtet, sagte Spahn dem Deutschlandfunk auch: Es sei ihm gleich, »ob es ein orthodoxer Jude ist, ob es ein Imam ist, ob es jemand aus ganz anderen Gründen ist«.

Der Grünen-Politiker Volker Beck reagierte schnell und scharf. »Es hat nur fünf Tage gebraucht, bis sich die Debatte über das Deutschsein auch wieder gegen Juden wendet.« Beck rief zu einem Ende der Debatte auf, da sie »zu Entgleisungen« neige.

hände Das Zehn-Punkte-Papier, mit dem Innenminister Thomas de Maizière eine Diskussion über Leitkultur anschieben möchte, fand auch andere Reaktionen. De Maizière spricht von einem christlich geprägten Deutschland, in dem Toleranz gegenüber anderen Religionen herrscht, in dem man sich zur Begrüßung die Hand gibt, Rassismus und Antisemitismus nicht geduldet werden und das »nicht Burka« sei.

»Er selbst hat seinen Text als Diskussionsbeitrag bezeichnet«, sagt Elio Adler zu de Maizières Papier. »Und dazu ist er meiner Meinung nach hervorragend geeignet.« Der Berliner Zahnarzt hatte 2014 die »Werteinitiative« gegründet, eine jüdische Gruppe, deren Ziel die Stärkung freiheitlich-demokratischer Grundwerte und die Beziehung Deutschlands zu Israel ist. Angesichts der vielen Flüchtlinge aus Syrien müsse auch darüber gesprochen werden, welche Werte ihnen als Basis des Zusammenlebens vermittelt werden sollen, sagt Adler. »Wir erleben derzeit eine Enthemmung, die von vielen Seiten ausgeht, von rechten Parteien, die Bürger ermutigen, rassistisch zu agieren, von Linksextremen, die ihre Judenfeindlichkeit mit Verschwörungstheorien über das Kapital untermauern, und von Muslimen, die ihre religiösen und kulturellen Vorurteile auszuleben versuchen. Man weiß gar nicht, wogegen man zuerst etwas unternehmen soll.« Da begrüße er die Leitkulturdebatte. Es ginge doch nicht um »das Mindestmaß dessen, was alle machen müssen«, betont er, »sondern eher um eine Art Kompass, der die Richtung anzeigt«.

christlich Adler berichtet, dass die meisten Juden in seiner Initiative sehr positiv auf die zehn Punkte reagiert hätten. »Einige wenige haben sich an der starken Betonung der christlichen Prägung gestört – aber das ist nun einmal faktisch in Deutschland so.«

Scharfe Kritik kommt aus dem Umfeld der neuen Zeitschrift »Jalta«, die im Untertitel »Positionen zur jüdischen Gegenwart« verspricht. Deren Mitherausgeber Lea Wohl von Haselberg, Max Czollek und Hannah Peaceman schreiben, de Maizières Betonung nationaler Identität gehe »mit der Ablehnung des Fremden, des Nicht-Identischen, der Verschiedenheit einher«. Wer auf »der einen Kultur« beharre, sehe nicht »den Unterschied zwischen Wagner und Schönberg, Heidegger und Benjamin«.

Zurückhaltend reagiert Küf Kaufmann auf de Maizière. Der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, der auch dem Präsidium des Zentralrats angehört, sagt: »Ich weiß wirklich nicht, ob man die Äußerungen des Bundesinnenministers als die ›Zehn Gebote der Integration‹ betrachten soll, oder nur als eine private, spontane Äußerung zum Schmunzeln.« Manches, was da stehe, sei doch eine Selbstverständlichkeit, anderes hingegen klinge provozierend.

»Zweifelsfrei steht jedoch für mich fest, dass Bildung und Respekt gegenüber den Mitmenschen vor dem unbedingten Hintergrund des deutschen Grundgesetzes eine unumstößliche Voraussetzung für das Miteinander in Deutschland darstellen«, sagt Kaufmann und verweist auf die guten Erfahrungen des Zentralrats mit der Integration von Zuwanderern aus Russland, der Ukraine, Usbekistan, Georgien und anderen früheren Sowjetrepubliken. Der Zentralrat habe den »richtigen Weg zur Integration jüdischer Menschen gefunden, bei dem die eigene Identität beibehalten wird und dennoch eine Sozialisation als vollständiges Mitglied des deutschen Staates gegeben ist, ohne mit dem Habitus der in Deutschland gelebten Richtwerte zu kollidieren«. Das, so Kaufmann, wünsche er sich auch für andere Kultur- und Religionskreise.

höflichkeit Unumwundene Zustimmung findet de Maizières Papier auch bei Elio Adler nicht. Problematisch findet er, »dass Religion als Kitt der Gesellschaft bezeichnet wird«. Das schließe areligiöse Menschen aus, »von denen es in Deutschland doch sehr viele gibt«. Gemeinsame Werte als »wahrer Kitt«, das ist Adler lieber.

Und wie man sich in Deutschland begrüßen sollte, sieht Adler nicht so eng. »Wenn jemand zum Beispiel aus religiösen Gründen nicht die Hand geben möchte, gehört es zur Höflichkeit, kurz zu erklären, warum das so ist. Und dann zur Toleranz gegenüber Religionen, dies zu akzeptieren.«

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025

Urteil

»Impfen macht frei«-Bild ist Volksverhetzung

Ein 65-Jähriger hatte während der Corona-Pandemie die Schutzmaßnahmen der Regierung mit dem Holocaust verglichen

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025