Gesellschaft

»Dieser Tag ist eine Blackbox«

Jürgen Richter Foto: Rafael Herlich

Herr Richter, warum sollte man den 1. Mai feiern?
Ich denke, dass das Ungleichgewicht zwischen den Menschen, die arbeiten, die nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, und denen, die mehr Möglichkeiten haben, weltweit immer noch besteht. Auch wenn es von Land zu Land unterschiedlich ausgeprägt ist. Der 1. Mai ist seit dem Haymarket-Aufstand in den USA im Jahr 1886 ein Symbol dafür, dass Menschen immer noch in prekären Arbeits- oder Lebensverhältnissen sind. Wobei der 1. Mai in Deutschland etwas schwierig besetzt ist: 1919 ist es gescheitert, ihn zum Feiertag zu machen, und 1934 ist er durch die Nazis zum gesetzlichen Feiertag geworden, die ihn mit anderen Inhalten gefüllt haben.

Welche Themen sollten für Sie heute im Mittelpunkt stehen?
Der 1. Mai ist ein Tag, der über nationale Grenzen hinausgeht - er wird ja in vielen Ländern gefeiert. Deshalb wäre er, wenn er heute mit Inhalten zu füllen wäre, ein Tag, an dem man an prekäre Arbeitsverhältnisse denkt, an Menschen, die am Rande der Wohlstandsgemeinschaft stehen, und an gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Für Deutschland sollte der 1. Mai auch ein Tag sein, der zeigt, dass die Integration der Menschen, die hier leben, eine bedeutsame Aufgabe ist. Und dass auch internationale Solidarität wichtig ist. Man sollte daran denken, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die kein Auskommen haben und nicht genug zu essen. Ich will den Tag nicht ideologisch überfrachten, aber er könnte all das sein. Letztlich ist er eine Blackbox. In den ehemaligen sozialistischen Ländern war er ein Staatsfeiertag. In der alten Bundesrepublik war der 1. Mai der Tag der Gewerkschaften.

Gibt es einen jüdischen Aspekt am 1. Mai?
Die Arbeiterbewegung spielte im Judentum immer eine wichtige Rolle. Der Kampf für Gleichberechtigung war nicht auf die Tatsache beschränkt, dass Menschen ihrer Religion wegen diskriminiert wurden, sondern dass Menschen auch Teilhabe an gesellschaftlichem Reichtum verweigert wurde. Deswegen könnte man ihn durchaus mit jüdischen Inhalten füllen, wenn man das wollte. Der Glanz des 1. Mai ist im Verlauf der Jahre ziemlich abgeblättert, aber das galt auch für Feiertage wie den 17. Juni, und das gilt für den 3. Oktober nicht minder. Die Frage ist immer, was man aus so einem Tag macht.

Wie gestalten Sie diesen Tag?
Ich bin hauptberuflich bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt, und dort gibt es ein Maifest, auf dem ich Menschen treffe, die ich sonst das ganze Jahr über nicht sehe. Es ist wie ein großes Familienfest. Man politisiert, erzählt und verbringt einen schönen Tag miteinander. Vielleicht gehe ich auch zur Maikundgebung, das kommt ganz auf meine Stimmung an. Ich stecke mir auch gern eine Mai-Nelke oder das Mai-Abzeichen der Gewerkschaften an. Ich bin zwar Geschäftsführer, aber das bedeutet nicht, dass man mit Gewerkschaften nicht eine gute Beziehung haben kann.

Welche Bedeutung haben die Gewerkschaften heute noch?
Wenn es sie nicht gäbe, würde man ihr Fehlen sehr schnell bemerken. Die Gewerkschaften in Deutschland waren immer ziemlich staatstragend, wenn man sie mit anderen westeuropäischen Ländern vergleicht. Wenn ich an die lange Periode des Lohnverzichts unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen denke, so sind die Gewerkschaften hierzulande nicht gerade streiklustig. Aber sie hatten in ihrer Tarifpolitik immer sehr viel Augenmaß. Im Laufe der Jahre sind ihnen einige Mitglieder weggelaufen, aber ein bisschen wendet sich das nun wieder. Eines ist klar: Die Übermacht der Kapitalseite wäre sehr groß, wenn es keine machtvollen Organisationen mehr gäbe, in der sich Aberitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisieren.

Mit dem Vorsitzenden des Landesausschusses der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Frankfurt/Main, sprach Katrin Richter.

Berlin

Reiche will Wirtschaftsbeziehungen mit Israel ausbauen

Die Wirtschaftsministerin will bei einem Besuch über Hightech und die Industrie sprechen - und auch über den Schutz wichtiger Versorgungsbereiche

 16.12.2025

Japan

Lodge lehnt israelische Gäste ab – Jerusalem protestiert

Israels Botschafter in Tokyo, Gilad Cohen, legt formell Protest ein

 16.12.2025

Sydney

Terrorattacke in Bondi Beach: Ermittler finden Sprengsätze und IS-Propaganda

Im Fahrzeug der Täter entdecken Ermittler auch improvisierte Sprengvorrichtungen

 16.12.2025

Vatikanstadt

Papst Leo XIV. verurteilt Terroranschlag in Sydney

Bei einem Terroranschlag auf eine Chanukka-Feier in Australien gibt es mindestens 15 Todesopfer. Der Papst findet deutliche Worte

 15.12.2025

USA

Ministerin: Silvester-Terrorattacke in Kalifornien vereitelt

Eine »linksextreme, propalästinensische, regierungsfeindliche und antikapitalistische« Gruppe soll Terroranschläge an der Westküste der USA vorbereitet haben

 15.12.2025

Australien

Faktencheck zum Terroranschlag in Sydney

Nach dem Blutbad am Bondi Beach ist noch vieles unklar. Solche Situationen nutzen Menschen in sozialen Netzwerken, um Verschwörungsmythen zu verbreiten

 15.12.2025

Faktencheck

Ahmed Al Ahmed hat einen Angreifer am Bondi Beach entwaffnet

Ein Passant verhindert Schlimmeres - und wird im Netz umbenannt. Angeblich soll Edward Crabtree einen der Täter von Sydney entwaffnet haben. Doch die Geschichte stammt von einer Fake-Seite

 15.12.2025

Dresden

Hauptverfahren gegen »Sächsische Separatisten«

Acht Mitglieder einer rechtsextremistischen Gruppe sollen sich vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden verantworten. An einem »Tag X« wollten sie laut Anklage gewaltsam an die Macht

 15.12.2025

Oranienburg

Gedenken an NS-Völkermord an Sinti und Roma

Bei der Gedenkveranstaltung wollen Schülerinnen und Schüler Textpassagen aus Erinnerungsberichten verfolgter Sinti und Roma vortragen

 15.12.2025