Sachsenhausen-Prozess

»Sagen Sie die historische Wahrheit«

Die Aussage von Leon Schwarzbaum sel. A. wurde am Freitag posthum im Prozess vorgetragen. Foto: picture alliance/dpa

Im Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann des KZ Sachsenhausen wurde am Freitag eine Zeugenaussage des zu Wochenbeginn verstorbenen ehemaligen Häftlings Leon Schwarzbaum verlesen.

Die Aussage wurde am 28. Verhandlungstag von Rechtsanwalt Thomas Walther am Verhandlungsort in Brandenburg an der Havel vorgetragen. »Ich möchte Sie auffordern, die historische Wahrheit zu sagen«, richtete sich darin Schwarzbaum an den 101-jährigen Angeklagten. Schwarzbaum schilderte in seiner schriftlichen Aussage Grausamkeiten und Brutalitäten der SS in den Konzentrationslagern.

MORD Der erste Mord vor seinen Augen dort habe sich »unauslöschlich« bei ihm eingeprägt, betonte er. Ein junges Mädchen, das versucht habe wegzulaufen, sei von einem SS-Mann aus nächster Näher erschossen worden. Er sei in den Lagern jahrelanger Todesangst ausgesetzt gewesen.

Leon Schwarzbaum appellierte in seiner Aussage an den Angeklagten Josef S., Leugnung und Verdrängung aufzugeben.

Schließlich sei er in einem vielfach überfüllten Lager bei Berlin angekommen, »in dem das Leben eines ausgehungerten Juden absolut nichts mehr zählte«. In Sachsenhausen seien sich alle sicher gewesen, dass sie irgendwann erschossen würden, die Welt sei für die Häftlinge »vom unausweichlichen Tod« bestimmt gewesen.

Er appelliere an den Angeklagten Josef S., Leugnung und Verdrängung aufzugeben und darüber zu sprechen, was er erlebt habe, hieß es in Schwarzbaums Aussage. Die »Missachtung jeglicher Menschenrechte, Gewalt und Hass« dürften nicht siegen. Auch der Angeklagte habe vermutlich viele Erinnerungen, damit werde er bis zum Schluss alleine sein. Josef S. bestreitet bislang, Wachmann in Sachsenhausen gewesen zu sein.

WÜRDIGUNG Das Internationale Auschwitz Komitee würdigte die Möglichkeit, die Aussage posthum vortragen zu lassen, am Donnerstag als besondere Geste des Gerichts. Schwarzbaum habe sich in seinen letzten Lebensjahren auf nichts »so akribisch und quälerisch« vorbereitet, wie auf seine Aussagen bei NS-Prozessen, erklärte der geschäftsführende Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, in Berlin: »Er wollte den Angeklagten ins Gesicht sehen, auch wenn sie den Blick zu ihm hin verweigerten, wie damals in den Lagern.« Schwarzbaum starb in der Nacht zu Montag mit 101 Jahren.

Die Aussage in Brandenburg an der Havel sei Leon Schwarzbaum sehr wichtig gewesen.

Die Aussage in Brandenburg an der Havel sei ihm sehr wichtig gewesen, betonte Heubner: »Er wusste, dass seine Tage gezählt waren und dass diese Worte sein Vermächtnis sein würden.« Immer wieder habe Leon Schwarzbaum die NS-Täter in Briefen und in direkter Anrede daran erinnert, dass auch sie bald vor dem Höchsten Gericht stehen würden, erklärte Heubner: »Jetzt wartet er dort auf sie und steht weiterhin als Zeuge bereit.«

Am Freitag wurden auch weitere Aussagen historischer Sachverständiger erwartet. Damit steht der Abschluss der Beweisaufnahme bevor. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 101-jährigen Angeklagten Josef S. Beihilfe zum Mord in mindestens 3518 Fällen vor. Den Ermittlungen zufolge war er in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 Wachmann in Sachsenhausen. (Az.: 11 Ks 4/21) Der Prozess hat Anfang Oktober begonnen und soll voraussichtlich im April abgeschlossen werden. epd

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

München

Bayern gibt NS-Raubkunst an Erben von Ernst Magnus zurück

Nach Jahrzehnten geht ein Renaissance-Gemälde an die Erben des jüdischen Bankiers. Warum die Entscheidung erst jetzt fiel und was das Bild mit NS-Verbrecher Hermann Göring zu tun hat

 12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Niedersachsen

Moscheen in Hannover mit »Israel«-Schriftzügen besprüht

Unbekannte haben »Israel«-Schriftzüge auf mehrere Moscheen in Hannover geschmiert. Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter und die jüdische Gemeinde reagieren entsetzt

 11.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von Janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025