US-Wahl

Die Entscheidung

Joe Biden oder Donald Trump: Amerika hat die Wahl. Foto: dpa

Biden oder Trump – das ist nicht wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Sondern wie eine Wahl zwischen Pest und Hühnersuppe, wie zwischen Plumpsklo und Chagall-Gemälde. In der amerikanischen Wahl des Jahres 2020 geht es überhaupt nicht um »Republikaner oder Demokraten«.

Es geht nicht um Bierpreise oder Steuern, nicht einmal um die – für viele Amerikaner allerdings lebenswichtige – Frage, ob es morgen noch eine Krankenversicherung gibt. Diesmal geht’s um die Wurst: um die Frage, ob die amerikanische Demokratie überlebt. Und damit auch um die Frage, ob die liberale Demokratie überhaupt noch eine Chance hat auf der Welt.

hysterie Wer das für Hysterie hält, der hat sich in den vergangenen vier Jahren die Ohren zugehalten, wenn Donald Trump sprach. Und hat jedes Mal die Hände über die Augen gelegt, wenn Trump einen seiner irren Tweets auf die Menschheit losließ. Dieser amerikanische Präsident hat weiße rassistische Terrorgruppen ermutigt. Er hat Diktatoren von Putin bis zu Kim Jong-un gepriesen. Er hat erklärt, dass er die Gegenkandidaten im Gefängnis sehen möchte. Er hat Journalisten als »Volksfeinde« bezeichnet – eine stalinistische Vokabel.

Trumps Leute wissen, dass sie keine Chance haben, wenn sie fair spielen, also spielen sie unfair.

Trump hat gesagt, dass er nicht bereit ist, eine friedliche Machtübergabe zu garantieren. Bei dieser Wahl versteckten die Gefolgsleute der Präsidenten kein kleines bisschen, dass sie jeden miesen Trick benutzen werden, damit möglichst wenige Amerikaner ihre Stimme abgeben. Sie wollen die Herrschaft einer weißen Minderheit über die bunt durchmischte Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung sicherstellen. Trumps Leute wissen, dass sie keine Chance haben, wenn sie fair spielen, also spielen sie unfair: Sie benehmen sich wie ein Schachspieler, dessen einziger Spielzug darin besteht, dass er seinem Gegner das Schachbrett über den Kopf haut.

monstrum Nein, Joe Biden und Kamala Harris sind nicht das kleinere Übel. Sie sind überhaupt kein Übel, sondern Menschen, im jiddischen Sinn dieses Wortes. Donald Trump dagegen ist ein Monstrum: ein Ku-Klux-Klan-Chef im Weißen Haus. Das amerikanische Volk wird ihm – hoffentlich, hoffentlich! – eine überwältigende Wahlniederlage bescheren.

Die meisten amerikanischen Juden sehen das genauso. 67 Prozent der jüdischen Wähler sind laut einer Umfrage des Jewish Electorate Institute gegen Trump – 15 Prozent mehr als die nichtjüdischen Amerikaner. 70 Prozent der jüdischen Wähler in Amerika wünschen sich einen Präsidenten Joe Biden – 20 Prozent mehr als der Durchschnitt. 90 Prozent der jüdischen Amerikaner sagen, dass die Coronaseuche und die Art, wie Trump mit ihr umging, sie bei ihrer Wahlentscheidung beeinflussen wird. Schlechte Nachricht für einen Präsidenten, der konsequent über die Gefährlichkeit des Virus gelogen hat.

67 Prozent der jüdischen Wähler sind laut einer Umfrage gegen Trump.

80 Prozent der jüdisch-amerikanischen Wähler halten den Rassismus der Weißen für ein wichtiges Thema. Zwei Drittel glauben, dass Biden scharf gegen Antisemitismus vorgehen wird. Nur ein Viertel der jüdischen Wähler möchte sich in dieser Hinsicht lieber Trump anvertrauen.

illusion Und Israel? Der Historiker Jeffrey Herf hat vor Kurzem sehr eindringlich vor der »Trump ist gut für Israel«-Illusion gewarnt. Herf ist gewiss ein unverdächtiger Zeuge – er war ein entschiedener Gegner von Obamas Iran-Deal, hat ein viel beachtetes Buch über den Großmufti von Jerusalem und die antisemitische Politik der DDR geschrieben und sich immer wieder mit Gusto der antisemitischen BDS-Bewegung in den Weg gestellt.

Jetzt schreibt Jeffrey Herf: Gerade als überzeugter Anhänger Israels stelle er sich ohne Wenn und Aber an die Seite von Joe Biden und Kamala Harris. Trumps Wiederwahl wäre eine Katastrophe nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für Israel. Gewiss, Trump würde schroffe Sanktionen gegen den Iran verhängen – gleichzeitig würde er aber das westliche Bündnis schwächen.

Trumps Parole »Amerika zuerst«, so Herf, werde auf ein Amerika hinauslaufen, das mutterseelenallein dastehe »und ohne seine wichtigsten Alliierten in den Wind heult«. Außerdem lüge Trump unaufhörlich, und Lügen haben kurze Beine – mit ihnen komme man in der Weltpolitik nicht weit.

Juden in aller Welt haben jeden Grund, Biden die Daumen zu drücken.

Noch eine Sache ließe sich hinzufügen, an die sich kein Mensch mehr erinnert. Kurz bevor die Seuche über uns kam, hat Trump noch schnell einen diabolischen Verrat begangen: Er hat von einem Tag auf den anderen die Kurden im Stich gelassen. Die Kurden waren die tapfersten Kämpfer gegen den »Islamischen Staat«.

dummheit Sie sind völlig unfanatische Muslime, die gegen das Virus des islamischen Antisemitismus erfreulich immun sind. Gäbe es je einen Kurdenstaat im Nahen Osten, wäre er bestimmt der wärmste Verbündete Israels. Dass Trump gerade diesen Leuten in den Rücken fiel, ist unverzeihlich – es ist nicht nur grotesk unmoralisch, sondern eine ungeheuerliche Dummheit.

Wenn Trump das aber mit den Kurden macht, wer garantiert dann, dass er Israel morgen nicht genauso verrät?

Noch sehen die Umfragen ermutigend aus. Die Wahlbeteiligung geht durch die Decke – ein gutes Zeichen für die Demokraten. Juden in aller Welt haben jeden Grund, Biden die Daumen zu drücken. Und sollte Trump verlieren (wir wollen es nicht verschreien!), so wäre das ein Grund, eine Flasche koscheren Sekt zu köpfen.

Der Autor ist deutsch-amerikanischer Journalist und Korrespondent der »Welt« in New York.

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