Dokumentation

»Die documenta muss neu gedacht werden«

Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland Foto: Screenshot / Bundestag Mediathek

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland sehr herzlich für die Einladung Stellung zu beziehen.

Die documenta sollte als globales Ereignis eigentlich eine erfreuliche Angelegenheit sein. Zumindest für die jüdische Gemeinschaft war das die documenta15 leider nie. Am Anfang waren vor allem viele Fragen, danach kam der Ärger und am Ende das Entsetzen. Das Entsetzen über übelste antisemitische Darstellungen vor den Augen der Welt und der Schock über das unverzeihliche Verhalten der Leitung der documenta danach, namentlich von Frau Schormann und des Kassler Oberbürgermeisters, Herrn Christian Geselle.

Nach den ersten Berichten über israelfeindliche Einstellungen und die Nähe zur Boykottbewegung BDS von Personen aus der Kuratorengruppe und der Künstlerischen Leitung der documenta suchte der Zentralrat der Juden im Februar das Gespräch mit der Staatsministerin Claudia Roth. Auch, dass keine jüdisch-israelischen Künstler eingeladen worden waren, beunruhigte uns.

AUSLADUNGEN Den Boykott von Israelis in der Kunst und Kultur beobachten wir mittlerweile häufig. Israelische Künstler berichten von Nicht-Berücksichtigung und Ausladungen. Das betrifft auch übrigens muslimische Israelis! Eine der bekanntesten israelfeindlichen Kampagnen betraf 2017 und 2018 das Pop-Kultur Festival in Berlin. Auf Druck von BDS sagten mehrere Bands ab, weil die israelische Botschaft Hotel- und Reisekosten für israelische Bands übernahm.

BDS wirkt bereits in Deutschland, es ist ein »stiller« aber effektiver Boykott, der Existenzen zerstören kann. Es werden pauschal Künstler, Wissenschaftler, Sportler, boykottiert, weil sie aus einem bestimmten Land kommen, dem einzigen jüdischen Staat.

Die Bedenken des Zentralrats der Juden wurden von Anfang an beschwichtigt, weggebügelt und teils gar als rassistisch bezeichnet.

Es war uns ein Anliegen, dass die Verantwortlichen der documenta das Vorgehen von BDS im Blick haben und eine ehrliche Befassung mit den eigenen Einstellungen und denen der Kuratorengruppe und Künstler führen.

Unsere Bedenken wurden jedoch von Anfang an beschwichtigt, weggebügelt und teils gar als rassistisch bezeichnet. Am 7. Februar erklärte die Staatsministerin für Kultur und Medien in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Die Veranstalter und die Kuratoren haben sehr deutlich gesagt, dass sie jede Form von Antisemitismus und Rassismus ablehnen.« Unser Gefühl, dass dies leider nicht stimmt, wurde nicht ernst genommen. Die gewählte Repräsentanz des deutschen Judentums hat sehr deutlich diese Ängste signalisiert – sie wurden leider nicht gehört.

GREMIUM Bei dem Gespräch zwischen dem Zentralrat und Frau Staatsministerin Roth wurde vereinbart, dass eine miteinander abgestimmte kleine Expertengruppe beauftragt werden solle, die documenta-Vorbereitungen von Februar bis zur Eröffnung zu begleiten, um Gewähr zu haben, dass es im Rahmen der documenta keinen Antisemitismus gibt. Ein solches Gremium wäre, wie sich nun zeigt, auch im Interesse der documenta gewesen.

Doch die documenta-Leitung verweigerte sich. In einem Video-Gespräch mit mir machte Frau Schormann folgende Zusage: »Ich garantiere Ihnen, dass es auf der documenta keinen Antisemitismus geben wird«. Auf meine Nachfrage hin lehnte es Frau Schormann aber ab sich festzulegen, was sie als antisemitisch versteht, geschweige denn die weltweit anerkannte und durch die Bundesregierung angenommene IHRA-Antisemitismus-Definition anzuwenden.

Stattdessen wurde ein Gesprächsforum in Aussicht gestellt. Entgegen der Ankündigung wurde der Zentralrat nicht in die Planungen miteinbezogen. Im Gegenteil bekamen wir ein vollendetes Programm der Reihe »We need to talk!« vorgelegt, in dem Antisemitismus nicht mehr im Zentrum stand, sondern umrahmt war von postkolonialen Diskursen, der Auseinandersetzung mit Rassismus und einem sogenannten »anti-palästinensischen Rassismus«. Die Podien waren sehr einseitig besetzt. Vertreter der Jüdische Gemeinde Kassel oder des hessischen Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden fehlten, genauso Vertreter des Zentralrats.

BRIEF Offenkundiger kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass man die Perspektive der jüdischen Gemeinschaft für vernachlässigbar hält. Aus diesen Gründen sah sich der Präsident des Zentralrats, Herr Dr. Schuster, veranlasst, einen Brief an Frau Roth zu schicken. Einige Teilnehmer der Gesprächsreihe sagten daraufhin ihre Beteiligung ab, da sie wie wir den Affront gegenüber den Juden in Deutschland verspürten. Die Geschäftsführung der documenta musste die Gesprächsreihe schließlich absagen. Ihr totales Scheitern wäre zu offensichtlich geworden.

Nicht einmal die Intervention des Bundespräsidenten sorgte dafür, dass die documenta-Leitung ihrer Verantwortung nachgekommen wäre.

Dies führte dazu, dass es der Bundespräsident höchst selbst war, der sich, entgegen der Tradition, genötigt fühlte, bei der Eröffnung der documenta15 klar Stellung zu beziehen. Doch nicht einmal die Intervention des Bundespräsidenten sorgte dafür, dass die Leitung der documenta ihrer Verantwortung nachgekommen wäre. Nie hätten wir uns vorstellen können, dass ein Bild wie »People’s Justice« von Taring Padi auf dem zentralen Platz in Kassel auf der documenta gezeigt werden könnte.

Jede Diskussion zur Frage der Interpretation, der Kunstfreiheit oder des kulturellen Zusammenhangs erübrigt sich hier. Das ist Judenhass in reinster Form. Und leider ist im Rahmen der documenta15 dieses Bild als antisemitisches Werk kein Einzelfall. Bilder wie »Guernica Gaza«, Begleitvorträge sowie terroristische Propagandafilme mit antisemitischen Inhalten und Titeln wurden von den dargestellten Stürmer-Karikaturen völlig überschattet.

Wir sitzen heute hier und begutachten einen Scherbenhaufen. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, dass nicht noch mehr kaputtgeht. Nein – lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass es besser wird.

Bei einer solch massiven Entgleisung sollte man meinen, dass bei jedem mit ein bisschen Restanstand Einsicht und Demut einkehrt. Nicht so bei der documenta-Leitung und den Kuratoren beziehungsweise Künstlern. Die einen schwadronieren, das Bild sei angeblich falsch verstanden worden, und durch die Verhüllung würde das Bild zu einem »Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs«. Die andere bedauerte, dass Gefühle verletzt worden seien und man sich weitere Expertise holen wolle. Eindrücklicher kann man nicht unter Beweis stellen, wie wenig man bereit ist, zuzuhören.

Antisemitismus ist keine Meinung, über die man ausführliche Diskussionsveranstaltungen abhalten muss. Antisemitismus ist eine abscheuliche Haltung, die historisch und auch aktuell zu mörderischen Verbrechen führte und führen kann.

AUSEINANDERSETZUNG Meine Damen und Herren Abgeordnete, eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen antisemitischen Ressentiments kann unangenehm und mitunter schmerzhaft sein. Zu einer derartigen Auseinandersetzung war und ist in Kassel niemand bereit. Von den Kuratoren und Künstlern ganz zu schweigen, die sich hinter ihrem amorphen Status als Kollektiv verstecken.

Unser Gefühl, das auf langen Erfahrungen basiert, hat sich leider bestätigt: Wenn BDS-Aktivisten Einfluss haben im Kulturbereich, dann agieren sie dort antisemitisch. Die 2020 gegründete sogenannte »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«, die sich offen gegen den Anti-BDS Beschluss des Deutschen Bundestages stellte, hatte gebetsmühlenartig wiederholt, sie verurteile Antisemitismus. 2021 unterstützten die Unterzeichner der Initiative, darunter viele Verantwortliche aus dem Kulturbetrieb, die sogenannte »Jerusalem Declaration on Anti-Semitism«, die letztlich BDS hofiert.

Es gibt keine Rücktritte der verantwortlichen Personen, niemand übernimmt Verantwortung. Dass Frau Schormann immer noch im Amt ist, ist eine Zumutung.

Zu den Initiatoren und Unterstützern gehören unter anderem der Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, Herr Bernd Scherer sowie die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Frau Hortensia Völckers. Erst im Juni 2022 hat im Haus der Kulturen der Welt die Konferenz »Hijacking Memory« stattgefunden.

Sie war ein massiver Versuch, den deutschen Erinnerungsdiskurs über die Schoa zu verschieben und ähnlich wie auf der documenta waren auch Vertreter von postkolonialen Positionen dort besonders aktiv daran beteiligt, die Ängste und Befürchtungen der in Deutschland lebenden Juden lächerlich zu machen oder in den Dunstkreis rechtspopulistischer Gesinnung zu stellen. Die weltweite Erinnerung an koloniale Verbrechen wurde hier unweit des Denkmals für die ermordeten Juden Europas instrumentalisiert, um, wie es scheint, vor allem den Holocaust zu relativieren.  

SKANDAL Zurück zur documenta: Was ist also das Resultat? Ein antisemitischer Skandal, der über die Bundesrepublik hinausreicht, mit massivem Vertrauensverlust für uns Juden in Deutschland gegenüber der kulturellen Elite. Was machen Sie nun, um dieses verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen? Es gibt keine Rücktritte der verantwortlichen Personen, niemand übernimmt Verantwortung. Das können wir nicht akzeptieren! Unser Gefühl hat uns leider nicht getäuscht.

Wir erwarten, dass die Perspektive der jüdischen Gemeinschaft künftig zu ihrem Recht kommt.

Die documenta muss neu gedacht werden. Der Bund und das Land Hessen müssen wieder ein nichtübergehbares Mitspracherecht und Zugriffsrecht auf die handelnden Akteure bekommen. Dass Frau Schormann immer noch im Amt ist, ist eine Zumutung. Man fragt sich ernsthaft, wie hoch der Grad an Toleranz für Antisemitismus eigentlich sein kann.

Ferner ist offenkundig geworden, wie richtig und wichtig der Beschluss des Bundestages zu BDS war. Der Bundestag hat von der Bundesregierung unmissverständlich gefordert, keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen. Diese Forderung richtet sich auch an die Kulturaktivitäten des Bundes. Dem muss nun Folge geleistet werden. Direktoren und Intendanten, die der BDS Ideologie Vorschub leisten, sind Fehlbesetzungen. Es gäbe Anlass, unter anderem beim Haus der Kulturen der Welt genauer hinzusehen.

PERSPEKTIVE Wir erwarten, dass die Perspektive der jüdischen Gemeinschaft künftig zu ihrem Recht kommt. Die documenta15 wird in ein paar Wochen Vergangenheit sein, und es werden wieder andere Fragen in diesem Ausschuss diskutiert werden. Fragen der Restitution, zum Beispiel. Auch hier erleben wir, wie Kultureinrichtungen und Museen die Rechte von Jüdinnen und Juden übergehen.

Wir sitzen heute hier und begutachten einen Scherbenhaufen. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, dass nicht noch mehr kaputtgeht. Nein – lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass es besser wird.

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