Der Bundestagsabgeordnete und CDU-Innenexperte Christoph de Vries hat vergangenes Jahr ein Positionspapier seiner Fraktion zum politischen Islam angestoßen. Der neuen Bundesregierung wirft er eine gefährliche Gleichgültigkeit im Kampf gegen den Islamismus vor und lässt im Interview auch kein gutes Haar an der geplanten Migrationspolitik der Ampel.
Herr de Vries, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht den Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Demokratie. Wie bewerten Sie dagegen die Wahrnehmung des Islamismus?
Die Ampel blendet dieses Thema in ihrem Koalitionsvertrag komplett aus, und das ist besorgniserregend. Terrorgefahr und politischer Islam sind keine Randerscheinungen, die man unter ferner liefen behandeln kann. Natürlich müssen wir den Rechtsextremismus mit allen gebotenen Mitteln bekämpfen - aber das gilt für jeden Extremismus, und hier lässt die neue Bundesregierung jede Wachsamkeit vermissen. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, dass wir 550 islamistische Gefährder in Deutschland haben und 75 rechtsextremistische. Zur Gefahrenabwehr und zum Schutz der Bürger brauchen unsere Sicherheitsbehörden bessere rechtliche Befugnisse wie etwa die Überwachung von Messenger-Diensten auf richterlichen Beschluss. Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, dass Anschlagsplanungen wie zuletzt in Hamburg nur durch Hinweise ausländischer Partnerdienste verhindert werden können.
Wie sieht es beim Umgang mit dem politischen Islam aus, der sich gesetzestreu gibt?
Hier ist die neue Bundesregierung auf beiden Augen blind. Dabei ist der Politische Islam auf dem Vormarsch. Vor kurzem wurde mit vier Millionen Euro aus dem Umfeld der radikalen Muslimbrüder in Großbritannien eine Immobilie in Berlin-Wedding erworben, die zum Zentrum der Islamisten in Deutschland werden könnte. Der Leiter des Verfassungsschutzes in NRW, Burkhard Freier, bezeichnet die Aktivitäten der Muslimbrüder sogar als größte Gefahr für die offene Gesellschaft. Daneben haben wir es mit Moscheeverbänden zu tun, die aus dem Ausland gesteuert werden. Allen voran die türkische Ditib, die unter Erdogan immer fundamentalistischer und nationalistischer geworden ist. Der intolerante Einfluss solcher Moscheen wirkt sich inzwischen schon bis in die Schulen aus. Das darf man nicht einfach ignorieren.
Warum geschieht dies aus Ihrer Sicht?
Die linke politische Szene in Deutschland ist oft befremdlich gut vernetzt mit Lobbygruppen aus dem Dunstkreis des Politischen Islam. Zum Beispiel sitzen in der politisch geförderten »Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit - CLAIM« auch Personen mit engen Bezügen zu islamistischen Gruppierungen. Und gerade in der Wählerschaft der SPD gibt es viele streng konservative Muslime, mit denen es sich die Partei nicht verscherzen will. Ein weiterer Grund ist die irrwitzige »woke«-Ideologie im linken Spektrum, die alle Übel dieser Welt auf den »weißen Kolonialismus« zurückführt und jede berechtigte Religionskritik an radikal-islamischen Gruppierungen als »antimuslimischen Rassismus« mundtot machen will. Mit dem bizarren Ergebnis, dass die Linke damit antiliberales Denken und Frauenfeindlichkeit fördert, gegen die sie ja angeblich kämpft. Aber diesen Widerspruch gesteht sie sich nicht ein.
16 Jahre lang stellte die Union den Bundesinnenminister. In dieser Zeit ist der politische Islam in Deutschland erst großgeworden. Kein Grund zur Selbstkritik?
Sicherlich auch. Die Politik hat insgesamt zu wenig Sensibilität in diesem Bereich gezeigt und die Dynamik unterschätzt. Man hat sich vom freundlichen Gesicht des legalistischen Islamismus zu oft täuschen lassen. Aber es wurden auch dutzende islamistische Vereine in der Regierungszeit der Union verboten. 2021 haben wir als Unionsfraktion außerdem ein Positionspapier beschlossen, das konkrete Maßnahmen gegen den Politischen Islam und seine Steuerung aus dem Ausland fordert. Im ersten Schritt haben wir einen Expertenkreis beim Bundesinnenministerium eingesetzt, der Regierung und Parlament über islamistische Einflüsse und Aktivitäten berichten soll. Welche Rolle er unter Ministerin Faeser spielen kann, muss sich noch zeigen. Wir werden in jedem Fall die Umsetzung aller Maßnahmen hartnäckig einfordern. Wichtig ist mir der Hinweis, dass der überwältigende Teil der Muslime in Deutschland keinen fundamentalistischen Islam will. Das Problem ist, dass diese Menschen in den Islamverbänden weitgehend nicht repräsentiert sind.
Welche Impulse sehen Sie bei der neuen Regierung für eine bessere Integration von Muslimen?
Gar keine, im Gegenteil. Integration ist für die links-gelbe Koalition einzig und allein eine Bringschuld von Staat und Mehrheitsgesellschaft. Anforderungen an Aufenthaltsdauer, Integrationsleistungen und Sprachkenntnisse zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft will die Ampel massiv absenken. Gleichzeitig soll Zuwanderung erleichtert werden. Deutschlands Sogwirkung für Wirtschaftsmigranten wird damit weiter zunehmen. Die Mehrheit kommt aus islamisch geprägten Ländern und erhält hier das Signal, dass eine Anpassung an westliche Werte und die freiheitlich-pluralistische Gesellschaft kaum erforderlich ist. Von Fördern und Fordern ist keine Rede mehr. Ich halte das für einen integrationspolitischen Irrweg, der gefährlich ist.
Befürchten Sie eine weitere gesellschaftliche Polarisierung?
Wenn sich diese Naivität der Ampel in der Migrationspolitik durchsetzt, ist das in der Tat zu befürchten, denn dafür gibt es keine Mehrheit in der Bevölkerung. Seit 2015 erleben wir bei diesem Thema eine fortgesetzte Spaltung und mit der AfD das Aufkommen einer rechtsradikalen Partei. In der letzten Legislatur waren wir bei der Steuerung und Begrenzung der Migration sehr erfolgreich. Wer nationalistische Kräfte bekämpfen will, muss auch eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik betreiben und für ein Gleichgewicht von Humanität und Ordnung sorgen. Schon heute haben wir Teile der urbanen muslimischen Jugend an fundamentalistische Einpeitscher verloren. Da müssen wir konstruktiv aber klar gegensteuern.
Besteht nicht die Gefahr, Islamdebatte und Migrationsdebatte pauschal zu vermengen und Feindbilder zu nähren?
Deshalb sage ich ja: Die Mehrheit der Musliminnen und Muslime vertritt keinen extremistischen Islam, sondern will in einer liberalen Gesellschaft leben. Viele Migranten wollen ja gerade Fanatismus und Intoleranz entkommen. Umso wichtiger ist es, dass der Staat sie hier nicht mit Hasspredigern und islamistischen Parallelgesellschaften alleine lässt. Wir müssen die Etablierung eines liberalen Islam fördern und einfordern und den politischen Islam und seine ausländischen Geldgeber und Ideologen in die Schranken weisen. Wir brauchen Verbände und Vereine, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sich Deutschland zugehörig fühlen und so als Ansprechpartner für den Staat und Verbündete für die Integration fungieren.
Mit dem Bundestagsabgeordneten und CDU-Innenexperten sprach Christoph Schmidt.