Essay

Der Weltkirchenrat auf Abwegen

Daniel Neumann Foto: Gregor Matthias Zielke

Essay

Der Weltkirchenrat auf Abwegen

Die Organisation mit mehr als 350 meist protestantischen Kirchen stimmt in den Chor all derer ein, die ein antiisraelisches Lied nach dem anderen singen. Immer lauter. Immer wütender. Immer obsessiver

von Daniel Neumann  29.06.2025 00:07 Uhr

Jetzt also auch die Kirche. Oder wieder die Kirche?! Genauer gesagt, der Weltkirchenrat. Oder der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK). Also der weltweite Zusammenschluss von gut 350 größtenteils protestantischen Kirchen.

Diese Organisation hat am 22. Juni 2025 in Johannesburg, Südafrika, eine Erklärung veröffentlicht, die ein Skandal ist. In dieser Erklärung wird Israel Apartheid vorgeworfen. Neben Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, gegen Menschenrechtskonventionen, gegen die grundlegendsten Prinzipien der Moral  und vieles mehr.

Sie stimmen damit also ein in den Chor all derer, die ein antiisraelisches Lied nach dem anderen singen. Immer lauter. Immer wütender. Immer obsessiver. Und stets unter dem Siegel der Sorge um die Palästinenser. Also derjenigen Araber, die in den Augen der meisten Menschen nur in Form einer Verzerrung erscheinen. Schwach, arm, hilflos. Als Opfer. Als ultimative Opfer. Nicht als Subjekte, sondern stets als Objekte.

Nicht als Akteure, die mit ihren Entscheidungen und Handlungen Geschichte beeinflussen, sondern als Spielball anderer. Und die deshalb die Unterstützung des großen Bruders benötigen. Des barmherzigen Samariters. Also der Kirche, mit all ihren heiligen und moralischen Anhängern. 

Wenn der Vorsitzende eines solchen internationalen Kirchenrates nun einen Beschluss mit den begleitenden Worten veröffentlicht, dass dieser nichts mit Antisemitismus zu tun habe, sind Zweifel angebracht. Erhebliche Zweifel. Und es spricht Bände. Schließlich war die Kirche über Jahrhunderte hinweg der Nukleus des europäischen Judenhasses. Sein Zentrum und seine Energiequelle.

Dies scheint den beschlussfassenden Gremien auch bewusst gewesen zu sein. Weswegen sie vorsichtshalber einen Haftungsausschluss in dem Beschluss formuliert haben. So heißt es: »Wir erkennen einen klaren Unterschied zwischen dem jüdischen Volk, unseren Glaubensgeschwistern, und den Handlungen der israelischen Regierung an und bekräftigen, dass der ÖRK entschieden gegen jede Form von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, antiarabischem Rassismus und Islamfeindlichkeit, eintritt.«

Mal abgesehen davon, dass der Antisemitismus keine Form des Rassismus ist, ebenso wenig wie Islamfeindlichkeit, stellt sich die Frage, wie eine Trennung der israelischen Regierung vom jüdischen Volk gelingen soll? Sicher: Die israelische Regierung ist nicht das israelische Volk. Sondern deren politische Repräsentanz. Also auch derjenigen, die sie nicht gewählt haben und sie vehement ablehnen oder politisch bekämpfen. Aber sie sind zweifellos Teil des jüdischen Volkes. Also der Glaubensgeschwister.

Wobei: Nicht alle Juden glauben, während sie trotzdem Teil des jüdischen Volkes sind. Während andere die Idee eines jüdischen Volkes ablehnen, obwohl sie glauben. Aber sei es drum - der Weltkirchenrat ist nicht der Erste, der auf dem jüdischen Glatteis ins Schlingern gerät.

In jedem Fall möchte ich deutlich machen, dass ich hiermit keinen christlichen Antisemitismus unterstelle. Denn ich erkenne einen klaren Unterschied zwischen den Christen in aller Welt, also meinen Glaubensgeschwistern, und den Erklärungen des Weltkirchenrats, der nach eigenen Angaben läppische 580.000 Millionen Christen weltweit repräsentiert. Außerdem bin ich natürlich gegen Rassismus, einschließlich Christenhass und vieles mehr. Soweit mein persönlicher Disclaimer.

Doch zurück zu der Erklärung. Denn diese ist ein Skandal. Und zwar nicht wegen der berechtigten Sorge um das Leid palästinensischer Zivilisten. Und nicht wegen der Sorge um die Verletzung des humanitären Völkerrechts. Und nicht wegen der Sorge um die Beeinträchtigung der Rechte von Palästinensern. Sondern wegen der Einseitigkeit der Erklärung. Wegen des Missbrauchs völkerrechtlicher Regeln und juristischer Begriffe. Wegen der Erfindung palästinensischer Rechte. Und wegen der Forderungen, die aufgestellt werden.

Denn die Verdammung der israelischen Regierungspolitik und ihrer Militäraktionen samt all der behaupteten Verstöße gegen »völkerrechtliche Normen, darunter die Charta der Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen, internationale Menschenrechtsverträge und zahlreiche Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung« kommt ohne eine einzige Erwähnung der palästinensischen Terrororganisation Hamas aus. Ohne Erwähnung der Massaker vom 7. Oktober 2023.

Ohne Erwähnung der israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Hamas befinden. Ohne Erwähnung der Entwicklung Gazas seit der Machtübernahme der Hamas in 2006. Ohne Erwähnung der barbarischen und menschenverachtenden Kriegsstrategie der Hamas. Ohne Erwähnung der fortgesetzten Angriffe auf israelische Zivilisten in Israel inklusive der Westbank. Ohne Erwähnung des jahrzehntelangen palästinensischen Terrors. Ob durch Raketen, die stets auf die Zivilbevölkerung zielen oder Terroranschläge mit Autos, Messern, Sprengstoff, Schusswaffen, Entführungen und vielen mehr.

Ganz so, als wären die Palästinenser nur Opfer. Und die Israelis nur Täter. Oder genauer: die israelische Regierung, die Militärs und die Siedler. Also nicht das jüdische Volk. Und nicht die Glaubensgeschwister versteht sich. Es raubt einem immer wieder den Atem, wenn man mit diesen einseitigen Anklagen konfrontiert wird. Mit der Täter-Opfer-Umkehr. Mit der Unfähigkeit, die Dinge einzuordnen. Und mit der Unfähigkeit dem Bösen ins Auge zu sehen.

Stattdessen nun auch noch der Apartheidsvorwurf gegen Israel. Perfekt inszeniert und beschlossen in der Sitzung des Weltkirchenrates in Südafrika. Also dem historisch prägnantesten Beispiel für ein real gelebtes Apartheidssystem. Damit muss kaum mehr etwas begründet werden. Und die Parallele drängt sich unmittelbar auf.

Südafrika war ein Apartheidsstaat und damit böse. Israel ist ein Apartheidsstaat und damit böse. Oder wie es in der Erklärung formuliert ist: »Wir erkennen das von Israel gegen das palästinensische Volk verhängte Apartheid-System an, das gegen das Völkerrecht und das moralische Gewissen verstößt, und verurteilen es.«

Ist der Vorwurf begründet? Darauf kommt es eigentlich nicht mehr an, oder? Doch! Darauf kommt es an.

Es ist sogar entscheidend, wenn ein solch schwerer Vorwurf erhoben wird. Und da wird es spannend. Denn erstens bewegt sich der Apartheidsvorwurf auf zwei Ebenen. Einer juristischen und einer politischen. In der Praxis werden diese allerdings entweder verwechselt oder vermischt, so dass es auf die eigentlichen Voraussetzungen für das tatsächliche Vorliegen eines Apartheidssystems gar nicht mehr ankommt, sondern stattdessen die politische oder aktivistische Bewertung dominiert. Der Begriff wird also politisch in Stellung gebracht. Und aktivistisch missbraucht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Denn der Vorsitzende des Kirchenrates, Bedford-Strom, gab ersten zu: »Man kann in der Diskussion um diesen Begriff nach wie vor unterschiedlicher Meinung sein.« Es gebe Analogien zum Apartheid-Regime, aber auch Unterschiede. »Ein von einem nach wie vor unfassbaren Völkermord traumatisiertes Volk, das nach aller Verfolgung endlich einen Ort findet, wo es sicher leben kann, lässt sich nicht einfach gleichsetzen mit den weißen Kolonialisten, die das System der Apartheid in Südafrika errichtet haben«, so Bedford-Strom in einem Statement vom 25.06.2025.

Dass Juden bereits seit 1882 auf der Flucht vor dem Judenhass ihrer Herkunftsländer in zunehmender Zahl in das spätere Israel einwanderten und über sechs Jahrzehnte im Schweiß ihres Angesichts die Voraussetzungen für einen eigenen Staat schufen und nicht erst seit der Schoa kamen, lassen wir ihm mal durchgehen. Jedenfalls gebe es auch Stimmen, die dem Gebrauch des Begriffes »Apartheid« für die Situation in Israel skeptisch gegenüberstehen, räumte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in einem Statement ein.

Doch dann kam er zu dem entscheidenden Punkt, als er eingestand: »Dass diese Stimmen die Gesamterklärung am Ende mitgetragen haben, «liegt in dem Erschrecken über das unermessliche Leid begründet, das die Bombardements der israelischen Armee im Gazastreifen angerichtet haben und das durch keine noch so legitime Selbstverteidigung mehr zu rechtfertigen ist».

Mit anderen Worten: Die Ratsmitglieder haben den Apartheidsvorwurf nicht formuliert, weil sie alle davon überzeugt sind, dass Israel ein System der Apartheid unterhält, sondern sie haben ihn mitgetragen, weil sie über die Art der israelischen Kriegsführung empört sind.

Das bedeutet, dass der Weltkirchenrat den schwerwiegenden Apartheidsvorwurf aus politischen Gründen erhebt. Und aus emotionalen Gründen. Also nicht auf Basis von Fakten, von Realität oder einer fairen juristischen Bewertung, sondern auf Basis innerer Aufruhr, nagender Gefühle und dem Ziel, Israel international anzuklagen. Und selbst wenn dabei von Bedford-Strohm beteuert wird «Mit Antisemitismus hat der Beschluss nichts zu tun», so fällt es nicht leicht, sich dieses Eindrucks bei einer derart missbräuchlichen Verwendung des Apartheidvorwurfes zu erwehren. Ein Hauch von Dämonisierung jedenfalls scheint dabei durch Südafrikas heilige Hallen geweht zu sein.

Apropos heilig: ganz so heilig ist der Weltkirchenrat selbst nicht. Schließlich wähnt er die russisch-orthodoxe Kirche in seiner Mitte, die durch ihren höchsten Vertreter nicht nur den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigte, sondern den «Feldzug» gegen die Ukraine gar zu einem heiligen Krieg erklärte. Sicher: in den meisten Körben finden sich auch faule Äpfel. Aber ein Hauch von Doppelstandard weht auch hier.

Jedenfalls fordert der WKR dann Sanktionen, Desinvestitionen und Waffenembargos. Diese dreifaltige Forderung klingt verdächtig nach den Forderungen der israelfeindlichen BDS-Bewegung. BDS bedeutet: Boykott, Desinvestition und Sanktion. Und die BDS-Bewegung ist als antisemitisch eingestuft. Fällt irgendjemandem etwas auf?

Nun und zu guter Letzt bekräftigt die Erklärung die Rechte der Palästinenser. Unter anderem das unveräußerliche Menschenrecht der Palästinenser auf Rückkehr. Sprich das sogenannte Rückkehrrecht. Ein Klassiker israelfeindlicher Rhetorik, sowie juristischen und politischen Erfindungsreichtums. Denn es gibt kein kollektives Recht auf Rückkehr. Stattdessen ist es eine propagandistische Erfindung, um die dauerhafte Sehnsucht der Palästinenser nach einer kollektiven Rückkehr in ein Palästina zu speisen, dass so nie existierte.

Außerdem ist es ausgerechnet das Festhalten an einem angeblichen Rückkehrrecht für «die Palästinenser», das bisher allen Friedenslösungen mit Israel im Weg stand. Und schließlich wird das sogenannte Rückkehrrecht nie friedlich gedacht. Nie harmonisch. Nie zivilisiert. Nie in Form eines Miteinanders. Sondern in Form eines «Wir statt Ihr». Und in Form einer brutalen, gewaltsamen Eroberungsfantasie. Der 7. Oktober war Ausdruck dieser Verblendung. Er hat aller Welt vor Augen geführt, wie die sogenannte «Rückkehr» aussieht. Euphorisch, gewaltsam und brutal. Das der Weltkirchenrat dieses angebliche Recht bekräftigt ist mehr als irritierend.

Ihre eigene Klientel mag der Weltkirchenrat befriedigt haben. Und viele andere Sänger in dem antiisraelischen Chor ebenfalls. Sie schwimmen mit dem Strom und heulen mit den Wölfen. Aber das Vertrauen «des jüdischen Volkes, ihrer Glaubensgeschwister» in die Kirche und ihre Vertreter hat mit dieser Erklärung schweren Schaden genommen. Und dieser Schaden wird so schnell nicht zu beheben sein. Ob es das wert war?

Der Autor ist Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

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