Justiz

»Das sind Nazigesetze«

Frau Ministerin, Sie wollen sogenannte NS-Paragrafen aus dem deutschen Strafrecht entfernen. Worum geht es?
Wir haben uns vorgenommen, als ersten Schritt die Paragrafen 211 und 212 des Strafgesetzbuches zu reformieren. Da geht es um Mord und um Totschlag. Das sind, so wie sie formuliert sind, dezidierte Naziparagrafen. Das geht nicht zuletzt aus Erläuterungen hervor, die 1941 der damalige Staatssekretär im Justizministerium, Roland Freisler, geschrieben hat. Was Freisler, der ja später Präsident des Volksgerichtshofs war, da formulierte, zeigt zweifelsfrei, dass sich diese Gesetzespassagen mit der Naziideologie decken.

Können Sie das genauer erklären?
Nehmen Sie den Paragrafen 211. »Mörder ist, wer ...« heißt es da, und dann werden die Motive aufgezählt: Mordlust, niedere Beweggründe et cetera. Dort wird also nicht vom Straftatbestand Mord ausgegangen, sondern es wird eine Art Mörderprofil erstellt. Ein solches Täterprofil passte haargenau zur Rassentypologie der Nazis.

Seit Jahrzehnten werden in der Bundesrepublik nach Paragraf 211 Urteile gefällt: Ist das vorher noch niemandem aufgefallen?
Doch, der Befund ist ja nicht neu. Es hat auch schon einige Bestrebungen gegeben, das zu ändern, aber aus sehr unterschiedlichen Gründen waren die nie erfolgreich.

Was macht Sie jetzt optimistisch?
Wir fangen klein an: Unsere Initiative ist ein erster Schritt. Dann sollen andere Paragrafen überprüft und geändert werden.

Spielt denn die im Paragrafen durchschimmernde NS-Ideologie in der Rechtspraxis eine Rolle?
Nein, überhaupt nicht. Aber es ist nicht hinnehmbar, dass wir immer erst Strafrechtsparagrafen interpretieren müssen, damit sie mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Besser ist es, wenn der Wortlaut des Strafgesetzbuchs nicht problematisch ist.

Wie haben Ihre Kollegen auf die Initiative reagiert?
Auf der regelmäßigen Konferenz der Länderjustizminister habe ich sie vorgestellt, und man hat den Antrag zur Kenntnis genommen. Ich hätte mir ein etwas deutlicheres Bekenntnis gewünscht. Von einer Seite war zu hören, es sei zu wenig, man müsste die Tötungsdelikte doch inhaltlich überprüfen.

So, wie ich Sie verstanden habe, ist der Hinweis doch in der Sache richtig.
Ja, damit rennen sie bei mir ja auch offene Türen ein. Aber wir verstehen die Änderung der Paragrafen 211 und 212 bewusst nur als ersten Schritt.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben der Justizministerkonferenz mitgeteilt, dass wir beabsichtigen, Anfang nächsten Jahres eine Bundesratsinitiative zu starten, damit das Anliegen ins Gesetzgebungsverfahren kommt.

Einmal abgesehen von den Justizministern: Wie sind die Reaktionen auf Ihre Initiative bislang?
Es gibt viel Zuspruch: nicht nur aus den Medien, sondern auch aus vielen Gesprächen, die ich geführt habe.

Nun gilt die deutsche Justiz als konservativ. Gab es von dort keinen Widerspruch?
Einmal erhielt ich den Hinweis, dass die Paragrafen 211 und 212 ja nicht von Roland Freisler formuliert worden seien, sondern von einem »glänzenden Juristen«, Erich Schmidt-Leichner, der später in der Bundesrepublik als Strafverteidiger eine bedeutende Rolle spielte. Aber dem ist entgegenzuhalten, dass zum einen Freisler wirklich federführend war. Zum anderen zeigt der Fall ja auch, dass es für die Justiz in Deutschland keine Stunde null gab.

Mit der Ministerin sprach Martin Krauss.

Anke Spoorendonk ist seit 2012 schleswig-holsteinische Ministerin für Justiz, Kultur und Europa. Sie ist Mitglied des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) der dänischen Minderheit. Die Historikerin ist die einzige Nichtjuristin auf einem Justizministerstuhl in Deutschland.

9. November

Erinnerung ohne Empathie ist leer

Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben

von Tobias Kühn  09.11.2025

Deutschland

Auschwitz-Komitee: Demokratie vor Attacken schützen

Das Internationale Auschwitz Komitee sieht mit Sorge einen Rechtsruck. Zum Jahrestag der Reichspogromnacht fordert es Solidarität mit den Schoa-Überlebenden

 09.11.2025

Berlin

Israels Botschafter: Linker Antisemitismus am gefährlichsten

Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland, differenziert zwischen linkem, rechtem und islamistischem Antisemitismus. Und erläutert, welchen er für den gefährlichsten hält

 09.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 08.11.2025

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  08.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Berlin

Sarah Wedl-Wilson räumt Defizite bei Fördermittel-Vergabe ein

Wurden Gelder für Projekte gegen Antisemitismus rechtswidrig verteilt? Das werfen Grüne und Linke der Kultursenatorin vor. Nun äußert sie sich

 07.11.2025