Gespräch

»Bundesdeutsche Gründungslüge«

Adam Krzeminski Foto: JA

Herr Krzeminski, die Präsidentin des Vertriebenenbundes (BdV), Erika Steinbach, hat in der vergangenen Woche davon gesprochen, »dass Polen bereits im März 1939 mobilgemacht hat«. Wie wird das in Ihrer Heimat aufgenommen?
Seit Jahren hat die BdV-Präsidentin Spielchen mit der polnischen Öffentlichkeit getrieben. Sie wusste, mit welchen Formulierungen, Behauptungen und Unterstellungen man Empörung in den Medien provozieren kann, was ihr wiederum Beifall bei den deutschen Nationalkonservativen eintrug und ihre Position in der Partei sicherte. Seit einem Jahr ist sie bei uns nur noch ein Randthema. Der jetzige Eklat wurde in Polen als Anfang vom Ende einer politischen Karriere kommentiert. Die Schönhubers kommen und gehen, die CDU/CSU bleibt.

Der BdV hat umstrittene Mitglieder in die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung entsandt. Wie bewerten Sie das?
Es sieht ganz danach aus, dass der BdV selbst das Problem ist. Er entsendet in die Stiftung Leute wie Arnold Tölg und Hartmut Saenger, die die Geschichte verdrehen und dann mit Schmollmund und Rehaugen erklären, dass sie ja keine Historiker seien. Der Punkt an der ganzen Geschichte ist: Diese beide Herren und ihre Vorsitzende suchen in Polen einen moralischen Mitschuldigen am Kriegsausbruch. Eigentlich nagen sie bis heute daran, dass dieses Land, so altmodisch es war, es 1939 gewagt hatte, Hitler Widerstand zu leisten. Wie schön wäre die deutsche Welt gewesen, wenn sich die Polen – der Hackordnung entsprechend – damals geduckt hätten. Doch es gibt im BdV auch Leute, die längst aus diesem gedanklichen Mief herausgetreten sind. Wir waren schon mal viel weiter.

Wie konnte es zu einem solchen Rückfall in alte Zeiten kommen?
Nach 60 Jahren wird die Bundesrepublik bei einer ihrer Gründungslügen erwischt: dass man sich aus den Folgen des selbst verschuldeten Krieges mit dem Hinweis auf die eigenen Leiden irgendwie hinauswinden kann. Offiziell gab man Flüchtlingen, Deportierten und Ausgesiedelten den biblischen Begriff »Heimatvertriebe« – er galt ursprünglich nur für Deutsche; niemand sonst in Europa nannte seine »retornados«, »pieds-noirs« oder »Repatrianten« so wie die Westdeutschen, und nirgendwo sonst in Europa hatten die Zwangsumgesiedelten eine so mächtige Lobby. Mehr als 60 Jahre sind vergangen, aber der Status des »Vertriebenen« wird vererbt oder an Gleichgesinnte verliehen. Dabei könnten die deutschen Landsmannschaften doch tatsächlich eine wunderbare Brücke herstellen zwischen Deutschen und Polen.

Mit dem polnischen Journalisten und Publizisten sprach Katrin Richter.

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von 
janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025

Debatte

Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Der Sänger kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorfälle, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025

Aufarbeitung

Französische Entnazifizierungs-Dokumente erstmals online abrufbar

Neue Hinweise zu Leni Riefenstahl und Martin Heidegger in der NS-Zeit: Künftig können Forscher online auf französische Akten zugreifen. Experten erwarten neue Erkenntnisse

von Volker Hasenauer  10.12.2025

Deutschland

Wegen Antisemitismus und AfD: Schauspiellegende Armin Mueller-Stahl (95) denkt ans auswandern

Armin Mueller-Stahl spricht offen über seine Gelassenheit gegenüber dem Tod – und warum aktuelle Entwicklungen ihn dazu bringen, übers Auswandern nachzudenken

 10.12.2025

Justiz

Mutmaßlicher Entführer: Chef eines israelischen Sicherheitsunternehmens packt aus

Die Hintergründe

 10.12.2025

Fußball

Sorge vor Maccabi-Spiel in Stuttgart

Tausende Polizisten, Metalldetektoren beim Einlass, Sorge vor Gewalt: Warum der Besuch von Maccabi Tel Aviv in der Europa League beim VfB aufgrund der politischen Lage kein sportlicher Alltag ist.

 10.12.2025