Baden-Württemberg

»Böse Mächte«

Der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume Foto: Chris Hartung

Herr Blume, die lokale Initiative »Querdenken« hat Sie eingeladen, an diesem Wochenende in Konstanz bei ihrer Kundgebung gegen Corona-Auflagen zu sprechen. Was versprechen sich die Veranstalter davon?
Das ist nicht die erste Einladung an mich. Nachdem Ken Jebsen, der nach Antisemitismusvorwürfen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) entlassene Journalist, zu einer Kundgebung von »Querdenken« in Stuttgart eingeladen wurde, gab es viel Kritik. Daraufhin hatten sie mich schon einmal eingeladen. Jetzt versuchen sie diesen Trick nochmal. Meine Antwort darauf ist klar: Ich spreche gerne in Konstanz, aber sicher nicht bei Verschwörungsverkündern, sondern bei den jüdischen Gemeinden und den vom Volk Gewählten. Es betrübt mich, dass wir in Zeiten der Corona-Pandemie öffentliche Massenveranstaltungen nicht vermeiden können.

Wie weit verbreitet sind die »Theorien« der QAnon-Bewegung über eine angeblich weltweit agierende »satanistische Elite« bei Gegnern der Corona-Maßnahmen?
Eine aktuelle Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt: Ein Drittel der Menschen in Deutschland ist noch immer für Verschwörungsmythen zugänglich. Wir sind von unserer Religionspsychologie her dazu prädestiniert, uns die Welt durch Mythen zu ordnen. Man kann an Gott und Engel glauben, an das Gute und die Vernunft. Man kann aber genauso glauben, dass böse Mächte die Welt regieren, und dann landet man ganz schnell beim Antisemitismus.

Der war ja nie weg.
Aber infolge von Digitalisierung, Flüchtlingskrise und Pandemie taucht er wieder sehr sichtbar auf. Von Anfang an war es derselbe Vorwurf: Wenn etwas Schlimmes passiert, müsste jemand schuld sein. Das Judentum war die erste Religion des Alphabets, der Bildung. Bis heute benutzen wir ja den Ausdruck Alefbet, die ersten beiden hebräischen Buchstaben, für diese Revolution in der Informationstechnologie. Und wenn Leute heute glauben, eine Weltverschwörung sei im Gange, dann verbindet sich das früher oder später immer mit Jüdinnen und Juden. In der Geschichte hatten wir die sogenannten Pestpogrome – die haben wir heute, Gott sei Dank, nicht mehr. Aber wir haben leider eben immer noch Millionen Menschen, die nicht ertragen können, dass ein Virus mutiert, sondern die versuchen, George Soros oder die Rothschilds oder Bill Gates als Synonym für Digitalisierung dafür verantwortlich zu machen.

Wie kommt es dazu?
Die erste Stufe ist, das haben wir hier in Baden-Württemberg schon bei den Demonstrationen gegen die Dieselfahrverbote gesehen, also vor Covid-19, der Aufmarsch mit »Ungeimpft-Judensternen«. Man setzt sich also mit den Opfern des Holocaust gleich und geriert sich selbst als »Verfolgter«. Auch Verschwörungsmythen gegenüber der »Schulmedizin« sind in Kreisen von Corona-Maßnahmen-Gegnern sehr verbreitet. So wurde der Virologe Christian Drosten als »Jude« gegoogelt, weil man ihn, wie auch die Bundeskanzlerin, im »Verdacht« hat, »heimlich Jude« zu sein.

Welche Rolle spielt die AfD in der Szene?
AfD-Anhänger sind bei Demonstrationen der »Querdenker« vor Ort, aber Versuche, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, scheitern immer wieder. Es gab ja auch kurzlebige Widerstandsparteien. Im Moment fallen verschiedene QAnons und »Querdenker« übereinander her. Immer mehr QAnon-Anhänger sind außerdem ernüchtert, weil US-Präsident Trump sich doch nicht als Erlöser herausstellt. Doch leider wissen wir aus der Geschichte, dass es beim Zerfall neben stillem Rückzug auch immer wieder Radikalisierungen bis zur Gewalt gibt. Die Gefahr ist also nicht vorbei.

Werden Verschwörungsmythen im Zuge der Corona-Pandemie stärker verbreitet als früher?
Sie werden seit vielen Jahren zum Beispiel von Tilman Knechtel verbreitet, einem Baden-Württemberger, der jetzt in der Schweiz lebt. Laut Knechtel haben die »Rothschilds« angeblich den Zweiten Weltkrieg und die Schoa ausgelöst, um die Gründung des Staates Israel zu erzwingen. Leute wie Knechtel leugnen den Holocaust nicht einmal mehr, sondern beschuldigen Juden als Urheber. Heute radikalisieren sich Antisemiten und vernetzen sich sogar per Amazon-Rezensionen, und dann gehen sie in die Öffentlichkeit. Immerhin: Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle an Jom Kippur 2019 haben sich zwei Politiker bei mir entschuldigt, die meine Warnungen zuvor als alarmistisch bezeichnet hatten.

Wer waren diese Politiker?
Vertraulichkeit werde ich immer wahren. Zu meinen Aufgaben gehört es auch, viele Hintergrundgespräche zu führen, bei denen Fragen in einem geschützten Raum besprochen werden können. Denn es gibt keine Menschen ohne Vorurteile, und das betrifft natürlich auch Politiker und Juristen. Ich freue mich, dass inzwischen Gewählte aller demokratischen Parteien von der Möglichkeit zum vertraulichen Austausch Gebrauch machen.

Ist es Ihrer Ansicht nach legitim, wenn jemand, der kein Antisemit ist, aber die Corona-Maßnahmen kritisiert, sich an Demonstrationen von »Querdenken« beteiligt?
Andere politische Bewegungen wie »Fridays for Future« suchen sich derzeit vernünftige Formen des Protestes, ohne sich und andere zu gefährden. Wer sich an einer Demons­tration beteiligt, hat die Verantwortung zu prüfen, mit wem er sich gemein macht. Ich bin ein Freund des Demonstrationsrechtes, und Menschen haben auch das Recht, mal Fehler zu machen. Aber wer Ken Jebsen nach Baden-Württemberg einlädt und danach ohne Distanzierung treuherzig verkündet, mit Antisemitismus habe er nichts am Hut, der braucht sich nicht zu wundern, wenn ich das öffentlich anspreche.

Mit dem Antisemitismusbeauftragten der Landesregierung von Baden-Württemberg sprach Ayala Goldmann.

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