Meinung

Blutorden und Blasmusik

Unpolitische Volksmusik, die demokratische Partei CSU und der Nationalsozialismus: Aktuell ergibt dieses Dreigestirn ein recht befremdliches Bild, das wenig Gaudi für die Christsozialen verspricht. Denn wie sich jetzt herausgestellt hat, finanzierte und veranstaltete die parteinahe Hanns-Seidel-Stiftung ein urbayerisches Event, das ohne die Ideen und das Geld überzeugter Nationalsozialisten so nicht zustande gekommen wäre.

Überzeugte Nationalsozialisten – damit sind die Eheleute Wutz gemeint: Maria, die »die anmaßende Frechheit der Juden« als Grund für ihren NSDAP-Eintritt angab, und ihr Ehemann Max, ein früher Vertrauter Adolf Hitlers, der im Rahmen der Entnazifizierung 1946 als »schuldig« eingestuft wurde. Die beiden vermachten ein üppiges Geldvermögen und ihr Villengrundstück an die CSU-nahe Stiftung – verbunden mit der Auflage, die Mittel in die Pflege bayerischer Volksmusik zu investieren.

»Tag der Volksmusik« So entstand 1984 der von der Stiftung initiierte »Tag der Volksmusik«, in dessen Rahmen Künstler wegen ihrer Verdienste um die Volksmusik mit Preisen geehrt werden. Die Stiftung, so hieß es 2009, »erfüllt damit seit 25 Jahren ein Vermächtnis des Stifterehepaares Maria und Max Wutz«.

Dass die edlen Spender zugleich glühende Nationalsozialisten waren, sei in der Stiftung erst 2010 aufgefallen, heißt es jetzt. Doch anschließend zog man es vor, den Namen Wutz zu verschweigen; ebenso wie die Tatsache, dass die musikalische Gaudi braune Wurzeln hatte. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, genau wie seine Amtsvorgänger Erwin Huber, Edmund Stoiber und Theo Waigel Mitglied des erweiterten Stiftungsvorstands, hatte dazu angeblich keine Informationen erhalten.

aufklärung Erst unter dem Druck der Berichterstattung bemüht sich die Stiftung nun um Aufklärung. Ein externes Gutachten soll Licht in die Herkunft des Vermögens der Eheleute Wutz bringen. Zudem soll bis auf Weiteres auf die Vergabe des Volksmusikpreises verzichtet werden.

Unterdessen stellen sich weitere Fragen. Etwa, inwiefern es vereinbar ist, »im Dienst von Demokratie, Frieden und Entwicklung« unterwegs zu sein (so das offizielle Motto der Hanns-Seidel-Stiftung), zugleich jedoch mindestens zwei Jahre lang die braune Vergangenheit der Eheleute Wutz zu verschweigen.

Wer weiß, vielleicht hielten die Stiftungsmitarbeiter schon den 1983 in der Villa vorgefundenen Blutorden der NSDAP nur für ein authentisches Faschingsaccessoire? Zumindest den Verwendungszweck des gestifteten Vermögens zu überdenken, sollte aber möglich sein. Es gibt ja nicht nur Volksmusik. Eine Spende an Organisationen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, wäre da ein nicht gerade abwegiger Gedanke.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin.

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025