Landsberg

Bewegende Klänge

Diese Woche in Landsberg werden sie nicht vergessen, und die Terminkalender von Abba Naor (90) und Alexander Tamir (87) waren entsprechend voll. Die beiden Schoa-Überlebenden hatten eine Ausstellung über das Ghetto (Von Litauen nach Landsberg), einen Kinofilm über das Orchester des Landsberger DP-Camps, Vorträge, Podiumsdiskussionen und eine Besichtigung der KZ-Gedenkstätte Dachau zu absolvieren. Hinzu kam der erste jüdische Gottesdienst seit Auflösung des Camps für »Displaced Persons« (DP) in Landsberg. Dazu war Rabbiner Steven Langnas extra aus München angereist.

Der Höhepunkt der Jü­disch-Deutschen Festwoche aus Anlass des 70-jährigen Bestehens Israels am vergangenen Mittwoch aber war musikalisch: Zwei Jubiläumskonzerte, mit denen an den Auftritt des DP-Orchesters unter der Leitung von Leonard Bernstein vor 70 Jahren erinnert wurde. Und nicht nur das: Bei dieser Gelegenheit wurden auch neue Werke uraufgeführt und in einem neuen Kompositionswettbewerb prämiert.

Abba Naor, der heute in Israel und in München lebt, war 1948 Sänger des DP-Camp-Orchesters, das damals mit dem amerikanischen Stardirigenten für einen legendären Abend gesorgt hatte. Wie auch ihre Zuhörer hatten die Sänger Konzentrationslager, Todesmärsche, Hunger, Not und Erniedrigung überlebt. Bevor sie in Landsberg für die Überlebenden spielten, mussten sie in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten musizieren – zur Unterhaltung von SS-Leuten.

Wiederaufführung
Etliche Verwandte der Musiker waren 1948 zur Wiederholung des berühmten Konzertes nach Landsberg gekommen. Auch Janet Horvat gehört zu ihnen. Ihr Vater George war 1948 Mitglied in dem Orchester. Ihm war es später zu Jom Kippur außerordentlich wichtig, das Cello-Stück Kol Nidre von Max Bruch in der Synagoge zu spielen. Diese Tradition hat nun seine Tochter übernommen. Auch sie interpretiert es am Versöhnungstag immer wieder.

Am Mittwoch erzählte die Kanadierin Horvat diese Familiengeschichte – und spielte das Werk bei der Preisverleihung im Stadttheater Landsberg. Begleitet wurde Horvat vom Jugendsinfonieorchester Landsberg. Ebenso erklang Stiller, Stiller, ein Stück, das der Komponist Wolf Durmashkin, der 1944 in einem KZ in Estland ermordet wurde, kurz vor seinem Tod geschrieben hatte. Durmashkins Schwestern hatten 1948 in Landsberg im Orchester mitgespielt. Daher kommt der Name des nun erstmals verliehenen Wolf Durmashkin Composition Award (WDCA), mit dem zeitgenössische Werke zum Thema »Musik und Holocaust« ausgezeichnet werden.

Komponisten aus den USA, China, Frankreich, Brasilien, Iran, Japan und Österreich hatten sich um den Preis beworben. Schließlich setzte sich die 30-jährige Bracha Bdil aus Israel mit ihrem Werk Hayom (»Heute«) durch. Auf Platz zwei kam Rose Miranda Hall aus dem englischen York mit ihrer Komposition Mein Schatten. Platz drei erreichte der Tscheche Otto Wanka, der das Werk Vergiss, wer du bist schrieb. Einen Tag nach der Preisverleihung gab es die beiden Jubiläumskonzerte – mittags für geladene Gäste, unter ihnen Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern; am Abend wurde dann für alle Interessierten gespielt.

baby Das Licht im Saal des Landsberger Stadttheaters ging aus, und eine helle Männerstimme sang Hayom, begleitet vom zarten Klang eines Horns, das ein wenig wie ein Schofar klang. Die Bühne blieb dunkel. Erst nach dem Verebben der Musik folgten Ausschnitte von L’Arlésienne von Georges Bizet und Rhapsody in Blue von George Gershwin, beides Werke aus dem ursprünglichen Programm von 1948. Das Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie wurde von dem Dirigenten Mark Mast geleitet. Pianist war Guy Mintus. Vervollständigt wurde der Auftritt durch die Kompositionen der soeben ausgezeichneten drei Preisträger.

»Dank dieses Preises ist Wolf für unsere Familie wieder lebendig geworden. Sie können sich nicht vorstellen, was das für uns bedeutet«, sagten Verwandte des 1944 ermordeten Wolf Durmashkin, die aus Australien, Neuseeland und den USA angereist waren. Nun soll auch ein Baby aus der Familie nach dem Musiker benannt werden.

Sonia P. Beker, Tochter des Geigers Paul Beker und der Pianistin Fania Durmashkin – beide standen bei dem legendären Konzert gemeinsam mit Bernstein auf der Bühne – sagte: »Wider alle Hoffnungen erhält mein Onkel Wolf Durmashkin einen Teil seiner Würde zurück.« Das Instrument ihres Vaters hat Beker den »Violins of Hope« vermacht, ein Projekt, bei dem Geigen von Schoa-Überlebenden gesammelt und bei Konzerten wieder gespielt werden.

initiative Vor wenigen Jahren war der Journalistin Karla Schönebeck eine kurze Ankündigung in einer alten DP-Lagerzeitung aufgefallen: »›Der Gast-Dirigent begleitet alle Solisten‹, stand da. Der Gastdirigent war Leonard Bernstein, 1948 knapp 30 Jahre alt, damals auf Tournee durch Deutschland, und er hatte sein erstes Konzert in Deutschland dirigiert, mit dem Bayerischen Staatsorchester.«

Aber Bernstein wollte auch das Kammerorchester dirigieren, das ausschließlich aus jüdischen Überlebenden des Holocaust bestand. Später erinnerte er sich: »Mein Herz hat geweint. Es war schön, durch Musik sich den Menschen zu nähern, die vorher nur Hass empfunden hatten.« Damals sollen ihm Überlebende auch eine KZ-Jacke geschenkt haben, berichtete Karla Schönebeck. Angeblich habe er sie 50-mal gewaschen, doch der Lagergeruch sei nicht verschwunden. »Das Konzert muss noch einmal gespielt werden«, war der erste Gedanke der Journalistin. Dafür holte sie sich Wolfgang Hauck von dem Landsberger Kulturverein »dieKunstBauStelle« und Anat Rajber von der jüdischen Gemeinde München mit ins Team.

Doch die Vorstellung, nur das gleiche Programm von damals aufzuführen, gefiel den dreien nicht. »Dann doch auch einen Kompositionswettbewerb für jüngere Leute zum Thema Holocaust ausloben«, war ihre Idee. Als sie auf einem Foto sahen, wie Leonard Bernstein neben den Schwestern Durmashkins stand, hatten sie auch den Namen für den Preis gefunden. Die KunstBauStelle lobte die Auszeichnung in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München sowie der Bayerischen Philharmonie aus. »Es ist wichtig, Geschichte nicht nur nachzuerzählen«, sagen die Organisatoren. Sie wollen, dass sich junge Menschen in neuer Form mit der NS-Geschichte beschäftigen.

widerstand Die Schirmherrschaft für die Veranstaltung hatte Abba Naor übernommen. Der 90-Jährige hatte schon vor Gründung des DP-Camp-Orchesters viele Musiker gekannt, die er später in Landsberg wiedersah. Denn Naor musste im Ghetto im litauischen Kaunas für die Nazis singen. »Schon als kleiner Junge habe ich sehr gerne gesungen, zu Hause, in der Schule und in der Synagoge«, berichtete er am Rande des Erinnerungskonzerts. Doch im Ghetto und später im KZ von Kaufering/Landsberg war die Musik für ihn ein »Instrument des geistigen Widerstandes« geworden. »Ich sang für die SS, das war nicht zu meinem Vergnügen, sondern um zu überleben.«

Sein ebenfalls inhaftierter Musiklehrer bat ihn damals, im Orchester den Part des Sängers zu übernehmen. Der Vater von Naors Freund David Garant wiederum war Geiger im Bernstein-Orchester von 1948. »Immer wenn wir uns sahen, er ist leider verstorben, sprachen wir über die Musik und das Orchester.«
Das Landsberger DP-Camp durchliefen, bis es 1950 geschlossen wurde, 23.000 Menschen. 1946 lebten dort 5000 Juden. Auch an sie wurde mit der Wiederholung des Bernstein-Konzerts erinnert.

Für Abba Naor, heute Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, ist der Wolf Durmashkin Composition Award ein Hoffnungsschimmer: »Es ist hoffentlich erst der Anfang.« Karla Schönebeck, die Initiatorin, nimmt das ernst. Der Preis wird wieder ausgeschrieben, verspricht sie.

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