Im Februar 2024 besuchte eine Delegation der Kurdischen Gemeinde Deutschlands die Orte der Massaker vom 7. Oktober 2023. Das Entsetzen über den Massenmord im Kibbuz Nir Oz und auf dem Gelände des Nova-Festivals ist unauslöschlich in unser Gedächtnis eingebrannt.
Rund zwei Millionen Kurden leben hierzulande. Die Auswirkungen der Geschehnisse im Nahen und Mittleren Osten spüren auch wir am eigenen Leib. So wie Juden in Deutschland die bittere Erfahrung machen müssen, dass der Krieg gegen die Hamas in Gaza vielen einen Vorwand gibt, um ihren Antisemitismus offen auszuleben. Kurden und Juden sind zwei Minderheiten, deren Erfahrungen sich ähneln. Sowohl Juden als auch Kurden in Deutschland stehen für Vielfalt, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und für eine offene Gesellschaft. Diese Werte verbinden uns.
Strategische Partnerschaft
Aber es ist natürlich nicht möglich, die aktuellen Spannungen im Nahen Osten auszublenden. Hinzu kommt: Viele Kurden weltweit wünschen sich eine strategische Partnerschaft mit dem Staat Israel. Sie unterstützen den jüdischen Staat, sehen ihn als Vorbild für einen künftigen Staat Kurdistan. Diese Nähe zu Israel liegt auch darin begründet, dass dort rund 300.000 Juden mit kurdischen Wurzeln leben.
Während viele Regierungen neuerdings auf die Anerkennung eines Staates Palästina drängen – das wäre dann schon der 23. arabische Staat –, wird den Kurden immer noch das Recht auf einen eigenen Staat abgesprochen. Und das, obwohl sie zu den indigenen Völkern der Levante zählen.
Schlimmer noch: Die Welt schaut weg, wenn Kurden den islamistischen Wölfen gleichsam zum Fraß vorgeworfen werden.
Sie sagt nichts dazu, dass sie im Irak und in Syrien von türkischem Militär bombardiert und im Iran an Baukränen erhängt werden. Sie schweigt, wenn Städte wie das einst kurdische Afrin im Nordwesten Syriens durch die Hilfsarmeen der Türkei ethnisch gesäubert werden, um Platz zu schaffen für die Ansiedlung islamistischer Araber. Und in der Türkei, immerhin ein NATO-Mitgliedsland, werden Millionen von kurdischen Bürgern nach wie vor massiv diskriminiert und verfolgt.
Der Westen sollte endlich verstehen: Wenn Israel fällt, fällt die freie Welt.
Und was macht Deutschland? Politiker aller Parteien und auch zivilgesellschaftliche Organisationen werden nicht müde, dem Staat Israel zu erklären, wie er sich gegen den islamistischen Terror zu verteidigen habe. Auf den Straßen und Plätzen der Republik wird munter demonstriert. Nicht etwa gegen Judenhass, gegen die Hamas, gegen den Terror. Nein, gegen Israel. Was für eine Heuchelei!
Einhaltung des Völkerrechts
Trotz der schrecklichen Massaker vom 7. Oktober übersteigt die Kritik an Israel im öffentlichen Raum die Solidarität mit dem jüdischen Staat um ein Vielfaches. Von Israel wird die Einhaltung des Völkerrechts gefordert, von der Hamas und den anderen palästinensischen Gruppen hingegen so gut wie nie.
Die Kurdische Gemeinde Deutschland, deren Mitglieder mehrheitlich Muslime sind, steht in diesen schweren Zeiten hingegen an der Seite Israels und der Juden weltweit. Sie dürfen in Zeiten von steigendem Juden- und Israelhass nicht alleingelassen werden. Wer sich nur an offiziellen Gedenktagen an die Seite der Juden stellt und »Nie wieder ist jetzt« ruft, sie dann aber im Stich lässt, wenn es darauf ankommt, der meint es nicht ernst mit dem Kampf gegen Antisemitismus.
Der Kampf der Kurden gegen den »Islamischen Staat« hat gezeigt, dass wir gegen fanatischen Islamismus keinen Millimeter zurückweichen dürfen. Und auch das muss allen klar sein: Wenn Israel fällt, fällt die freie Welt. Das hätte negative Auswirkungen nicht nur für die Juden, sondern für uns alle. Gerade deshalb unterstützen die meisten Kurden Israel, und das nicht erst seit dem 7. Oktober.
Kampf gegen religiösen Fanatismus
Der Kampf gegen religiösen Fanatismus ist ein gemeinsamer. Niemand versteht die Gefahren, die von dieser speziellen Form des Extremismus ausgehen, besser als Kurden und Juden. Es ist auch kein Zufall, dass das kurdische und das jüdische Volk mit den Mullahs in Teheran, mit der Hamas in Gaza und mit ihrem Unterstützer in Ankara dieselben Gegner haben.
Auch in Deutschland gilt es nun, die Öffentlichkeit wachzurütteln und Strategien zu entwickeln, wie der Hass wirksam bekämpft werden kann. Wir Kurden sind der Überzeugung: Gemeinsame Probleme erfordern gemeinsame Lösungen. Wir Kurden hoffen, dass sich unsere beiden Gemeinschaften noch stärker miteinander verbinden, um unsere Anliegen noch kraftvoller vertreten zu können, und dass wir zusammen und konsequent gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Extremismus eintreten werden.
Der Autor ist Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland.